Bekanntheit: mickrig, Kulisse: einmalig DEB-Team eröffnet Heim-WM
07.05.2010, 08:30 UhrPucks und Popcorn stehen bereit: Deutschland ist startklar für die 74. Eishockey-Weltmeisterschaft, Bundespräsident Horst Köhler wird das Heimturnier heute eröffnen. Bekannt ist das hierzulande zwar kaum und die Gastgeber sind auch krasse Außenseiter. Dafür kommt in der Fußballnation Deutschland gut an, wo das WM-Auftaktspiel stattfindet: Auf Schalke, vor einer Weltrekordkulisse.
Der Adrenalinspiegel steigt, die Knie werden weich, nur das Herz soll nicht in die Hose rutschen: Wenn die deutschen Eishockey-Nationalspieler heute vor der Weltrekordkulisse von 76.152 Zuschauern in der Schalker Arena in ihre Heim-WM starten, kämpfen sie nicht nur gegen die USA um die ersten Punkte, sondern auch gegen ihre Nervosität. "So was erlebt man nicht jeden Tag. Natürlich ist man nervös und aufgeregt", gab Torjäger Michael Wolf vor dem Eröffnungsspiel ab 20.15 Uhr zu.
"Das ist einfach gigantisch", schwärmt Routinier Sven Felski, der in Gelsenkirchen in seine achte Weltmeisterschaft geht. Die große Bühne ist der 35-Jährige gewohnt, spielt er doch mit den Eisbären Berlin regelmäßig vor mehr als 14.000 Fans. "Aber das wird das Fünffache sein", rechnet der Stürmer vor und sagt seinen jungen Teamkollegen: "Man darf im Spiel keine zittrigen Knie bekommen."
Einen ersten Eindruck vom monumentalen Rahmen der WM-Ouvertüre gewannen Felski und Co. am Donnerstagnachmittag, als sie erstmals im Stadion von Schalke 04 trainierten. "Es ist erstaunlich, wie sie das hingezaubert haben", sagte Felski. In nur vier Tagen hatten knapp 100 Arbeiter rund um die Uhr den Fußball-Tempel des Vizemeisters in die größte Eishalle der Welt verwandelt. Ein Problem ist jedoch die Eisfläche, sie ist noch nicht WM-reif. Dieses Urteil fällten die deutschen Eishockey-Profis nach ihrem Abschlusstraining. "Das ist ganz schlecht. Es brechen große Stücke heraus. Das muss noch ein bisschen besser werden", urteilte Stürmer Felski stellvertretend für seine Teamkollegen. Die Hoffnung ruht nun auf den Eismeistern, die bis zum ersten Bully am Freitagabend eine Spielfläche im optimalen Zustand versprochen haben.
Dann stehen die Spieler von Bundestrainer Uwe Krupp zunächst für dreimal 20 Minuten im Mittelpunkt der Sportwelt. "Die ganze Welt schaut drauf", sagt Torhüter Dennis Endras, der gegen die USA zwischen den Pfosten stehen wird. Neben der Weltrekordkulisse in der Arena, die für den Eintrag im Guinness-Buch sorgen wird, blicken auch Millionen Fans an den Fernsehgeräten in 78 Ländern auf das frisch bereitete Eis im Fußball-Stadion.
"Das ist eine Riesenchance für das deutsche Eishockey", sagt Endras: "Da bringt man den einen oder anderen auch wieder zu unserem Sport und vielleicht auch dazu, selbst Eishockey zu spielen." Die einmalige Gelegenheit, aus der Nische in die breite Öffentlichkeit zu kommen, sieht auch NHL-Profi Marcel Goc, der als Kapitän aufläuft: "Vielleicht kann man mit diesem Spiel mehr Zuschauer für Eishockey interessieren, vielleicht auch die, die normalerweise zum Fußball gehen. Wir können junge Leute begeistern, die sonst kein Eishockey schauen."
Drei Drittel lang im Rampenlicht
Das Auftaktspiel vor der Rekordkulisse ist ein reines Marketingevent, gibt auch DEB-Sportdirektor Franz Reindl unumwunden zu: "Es bringt uns in die Medien, in denen wir sonst nicht vorkommen." Weil ARD und ZDF abgewunken haben, ist die Heim-WM nur auf Sport1 zu sehen. Über zu viel Aufmerksamkeit können sich die Randsportler auf Kufen nicht beklagen. Laut einer vor zwei Wochen veröffentlichten repräsentativen Umfrage wussten trotz Weltrekords auf Schalke nur 13,9 Prozent der Befragten, dass überhaupt eine Eishockey-Weltmeisterschaft in Deutschland stattfindet. Extrem gering ist der Bekanntheitsgrad der aktuellen Nationalspieler und des Bundestrainers, obwohl erst im Februar bei Olympia in Vancouver ihre Spiele live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen wurden. Dass Uwe Krupp Chefcoach des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) ist, wussten nur 5,7 Prozent der 1191 per Zufallsstichprobe ausgewählten Befragten. 95,7 Prozent konnten keinen aktuellen DEB-Spieler nennen.
Damit die Weltrekord-Wirkung nach dem Spektakel auf Schalke nicht sofort verpufft, braucht die deutsche Mannschaft bei der Heim-WM aber auch sportlichen Erfolg. Gegen den Olympia-Zweiten USA, der in Jack Johnson (Los Angeles Kings) nur einen Silbermedaillengewinner von Vancouver im WM-Aufgebot hat, ist das Krupp-Team allerdings klarer Außenseiter. Bei den Olympischen Spielen in Vancouver verlor die DEB-Mannschaft alle Spiele. Dabei ist Deutschland bei der WM ohnehin nur, weil man als Gastgeber automatisch gesetzt ist. Sportlich qualifizieren konnte sich Deutschland im vergangenen Jahr als Vorletzter nicht.
Fußball-Deutschland ist zuversichtlich

Wenn Eishockey in Fußballstadien gespielt wird, kommt der Sport auch in Deutschland gut an.
(Foto: dpa)
Dennoch spekulieren die DEB-Cracks auf einen erfolgreichen WM-Start. "Wir gehen nicht rein und sagen: Okay, lass uns ein gutes Ergebnis erzielen", sagt Felski und fragt: "Warum soll denn nicht eine Überraschung möglich sein?" Weil das letzte Testspiel gegen Kanada mit 1:4 verloren ging, muss als gutes Omen ein Spiel im Ruhrpott vor 17 Jahren herhalten: Ihren letzten WM-Sieg gegen die Amerikaner feierte die DEB-Auswahl nämlich 1993 in der Dortmunder Westfalenhalle. Beim 6:3 in der Vorrunde führten Dieter Hegen, Gerd Truntschka und Co. bereits nach dem ersten Drittel 5:0. Ein ähnlicher Spielverlauf auf Schalke wäre eine Sensation, aber auch ohne fünf Tore im ersten Drittel träumen die DEB-Cracks von starker Unterstützung von den Rängen.
"Ich hoffe, dass der Funke überspringt", sagt Felski. Die Begeisterung, die das DEB-Team auf Schalke entfachen will, soll die deutsche Mannschaft durch die gesamte Vorrunde tragen. Am Montag (20.15 Uhr) gegen Finnland und am Mittwoch (16.15 Uhr) gegen Dänemark werden Erinnerungen an die WM 2001 wach, als die DEB-Auswahl in der ausverkauften Kölnarena eine Euphorie-Welle auslöste, die sie bis ins Viertelfinale spülte. Die K.o.-Runde haben die Spieler diesmal zwar auch im Hinterkopf, doch darüber reden will nach dem WM-Debakel des letzten Jahres in der Schweiz mit dem Absturz auf Platz 15 niemand. "Ziel ist die Zwischenrunde", sagt Wolf, "und dann müssen wir schauen, was möglich ist."
Geht es nach den vor zwei Wochen Befragten, wird es bei der WM gut laufen für den Gastgeber. Obwohl kaum einer einen einzigen Nationalspieler kennt, glauben nur 6,3 Prozent an den Abstieg des Krupp-Teams. 42,2 Prozent trauen der DEB-Auswahl mindestens den Einzug ins Viertelfinale zu. Das Interesse an der WM ist allerdings bescheiden. Nur 2,7 Prozent sind sehr interessiert, 11,6 Prozent eher interessiert. Weniger interessiert sind 35,8 Prozent. 49,5 Prozent wollen von der Heim-WM überhaupt nichts wissen.
Immerhin: 62,3 Prozent der Befragten loben aber, dass die WM auf Schalke eröffnet wird. Eishockey im Fußballstadion finden eben auch die Deutschen gut.
Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid