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Schlaflos in Schweden DHB-Team leckt seine Wunden

Mit der unnötigen Niederlage gegen Spanien setzt sich die deutsche Handball-Nationalmannschaft vor den verbleibenden WM-Vorrundenspielen unter Druck. Die hilflosen Angriffsbemühungen in der Schlussphase und die desolate Form von Weltmeister Michael Kraus lassen Bundestrainer Heiner Brand ratlos zurück. Nun wartet Topfavorit Frankreich.

Frust auf der deutschen Bank: Bundestrainer Heiner Brand muss mitansehen, wie seinem Team der Sieg noch entgleitet.

Frust auf der deutschen Bank: Bundestrainer Heiner Brand muss mitansehen, wie seinem Team der Sieg noch entgleitet.

(Foto: REUTERS)

Als noch zwölf Minuten zu spielen waren in Lund, schien ein WM-Halbfinale mit deutscher Beteiligung plötzlich mehr als eine theoretische Möglichkeit zu sein. Im dritten Vorrundenspiel lag das DHB-Team gegen die favorisierten Spanier mit 21:18 in Führung. Das deutsche Tor hatte Johannes Bitter mittlerweile komplett vernagelt, die Abwehr arbeitete sich konzentriert am Gegner ab und Adrian Pfahl war bei einem Tempogegenstoß auf dem Weg zur Vier-Tore-Führung. Auf dem Weg zum Bonuspunkt, den sich Kapitän Pascal Hens aus dem Schlüsselspiel gegen die Iberer erhofft hatte.

Als die Partie in Lund beendet und mit 24:26 verloren war, ließen die deutschen Spieler kollektiv die Köpfe hängen. Der Wurf von Pfahl war nicht zur Vorentscheidung im Tor gelandet. Er landete, obwohl in Kopfhöhe geworfen, am rechten Fuß von Spaniens Torhüter Arpad Sterbik. Es war eine grandiose Parade. Es war die Schlüsselszene im Schlüsselspiel und ein herber Rückschlag im Kampf um das Halbfinale. Das ist nun wieder, was es vor dem Turnier war: eine theoretische Möglichkeit.

"Haben den Kopf verloren"

"Was wir für eine Chance vergeben haben, ist unglaublich", klagte Linksaußen Dominik Klein später. "Am Ende haben wir den Kopf verloren und nicht mehr an uns geglaubt. Wenn wir auf vier Tore davongezogen wären, wäre das die Entscheidung gewesen", jammerte Spielmacher Michael Kraus, der als vermeintlicher Führungsspieler selbst fast alles schuldig blieb. Kapitän Hens versuchte sich an einer Erklärung: "Wir haben auf die Anzeigetafel gesehen, als wir mit drei Toren geführt haben, und versucht, das Ergebnis zu verwalten."

Torhüter Johannes Bitter zeigte gegen Spanien 20 Paraden.

Torhüter Johannes Bitter zeigte gegen Spanien 20 Paraden.

(Foto: dpa)

Handball und verwalten, das geht selten gut. Vor allem nicht, wenn im Angriff plötzlich gar nichts mehr geht. Gegen die in der Schlussphase nicht mehr nur aggressiv, sondern auch offensiv verteidigenden Spanier fanden die nach zwei roten Karten (Kaufmann, Preiß) und der Verletzung von Rechtsaußen Christian Sprenger dezimierten Deutschen acht Minuten lang kein Mittel mehr. "Da wünscht man sich, dass jemand das Herz in beide Hände nimmt und das Ding auf die Kiste knallt", sagte der überragende Hamburger Torhüter Johannes Bitter, der die Iberer mit 20 Paraden zur Verzweiflung getrieben hatte. Bitter war danach ebenso enttäuscht wie seine Kollegen. Einige verschwanden wortlos auf ihre Zimmer, andere suchten noch die Gespräche mit ihren Kollegen. "Es hat sehr lange gedauert, bis ich einschlafen konnte", sagte Kapitän Pascal Hens. Seinen Mitspielern erging es nicht anders, Bundestrainer Brand wohl auch.

Zu viele technische Fehler

"Es war möglich, die Spanier zu schlagen. Wir waren nah dran, aber haben uns im Angriff eine zu hohe Zahl an technischen Fehlern geleistet", resümierte er nach der unnötigen Niederlage und meinte damit unter anderem Spielmacher Kraus. Der Weltmeister von 2007 sollte, nachdem Spanien seine Deckung von einem 6:0 auf 5:1 umgestellt hatte, mit seiner unbestrittenen Finesse und Schnelligkeit das deutsche Angriffspiel beleben. Der Plan ging nicht auf. Der Weltmeister von 2007 blieb ohne Tor aus dem Spiel heraus und haderte am Ende bekanntlich mit dem Fehlwurf von WM-Debütant Pfahl.

Brand haderte mit Kraus und forderte: "Er muss zu sich selbst finden. Es ist wichtig, dass er die notwendige Konzentration findet und ins Spiel mitnehmen kann." So wie in den Vorbereitungsspielen, als Kraus als Vollstrecker und Vorbereiter glänzte. Dass er in Schweden noch nicht ins Turnier gefunden hat, bestreitet Kraus nicht. Gleichzeitig beklagt er aber auch mangelnde Unterstützung: "Ich bin ein Typ, der vom Selbstbewusstsein lebt. Ich hatte schon gedacht, dass ich im ersten Spiel gegen Ägypten anfange. Danach war ich schon enttäuscht."

Spielmacher Michael Kraus war im Rückraum ein Totalausfall.

Spielmacher Michael Kraus war im Rückraum ein Totalausfall.

(Foto: dapd)

Nächster deutscher Gegner ist nun am Mittwoch ab 18.15 Uhr Titelverteidiger Frankreich. Dann wird wahrscheinlich auch Rechtsaußen Patrick Groetzki von den Rhein-Neckar Löwen zum DHB-Kader gehören, weil Sprengers Muskelverletzung aus dem Spanien-Spiel nachwirkt. Der amtierende Weltmeister, Europameister und Olympiasieger Frankreich ist auch in Schweden der Topfavorit auf den Titel – und bereits nach drei Spieltagen mit ungefährdeten Siegen gegen Ägypten, Tunesien und Bahrain für die Hauptrunde qualifiziert. Gegen Deutschland und Spanien wollen die Franzosen nun jene Punkte einfahren, die sie im Kampf um das Halbfinale in die nächste Runde mitnehmen würden.

"Bin da ein bisschen im Nebel"

Frankreichs Thierry Omeyer ist seit Jahren der beste Keeper der Welt.

Frankreichs Thierry Omeyer ist seit Jahren der beste Keeper der Welt.

(Foto: REUTERS)

"Alle wissen, dass es ein Dreikampf um die ersten drei Plätze ist", sagte Thierry Omeyer. Der Torhüter vom Champions-League-Sieger THW Kiel ist bestens vorbereitet auf die beiden kommenden Kontrahenten. "Wenn man sieht, dass wir bei der EM im vorigen Jahr unentschieden gespielt haben gegen Spanien und nur mit zwei Toren gegen Deutschland gewonnen haben, erwarte ich zwei enge Spiele", meinte der ehemalige Welthandballer. Kreisläufer Bertrand Gille vom HSV Hamburg zollt der deutschen Mannschaft ebenfalls Respekt, gestand aber auch ein: "Ich weiß nicht, in welchem Zustand die deutsche Mannschaft ist. Ich bin da ein bisschen im Nebel." Aber das gilt nach dem frappierenden Leistungsabfall gegen Spanien wohl auch für Heiner Brand.

Torwart Johannes Bitter hofft dennoch auf einen Coup gegen die Franzosen, um nicht mit 0:4-Punkten in die Hauptrunde starten zu müssen. Er sagt unverdrossen: "Der Bundestrainer hat die richtigen Worte gefunden. Wir dürfen nicht wieder die gleichen Fehler machen. An einem guten Tag können wir Frankreich schlagen." Nebel sollte im deutschen Angriff dann aber nicht herrschen.

Quelle: ntv.de, mit dpa und sid

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