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Steffi Graf spricht Das Interview

Steffi Graf ist wieder aufgetaucht. Im weltweit ersten Interview nach der Geburt ihres Sohnes Jaden Gil vor gut eineinhalb Jahren erzählt sie von ihrem Familienglück, ihrem Leben und ihrem ungebrochenen Interesse am Sport. Hier das Interview, das sie der Nachrichtenagentur dpa gab, im Wortlaut:

dpa: Der Tennis-Star Steffi Graf ist Sport-Geschichte. Darf ich Sie trotzdem noch Steffi nennen, oder trete ich dann ins Fettnäpfchen?

Steffi Graf: „Um Gottes Willen, nein. Mir ist es völlig egal, ob man mich nun mit Stefanie oder Steffi anspricht.“

dpa: Welcher Name steht denn in Ihrem Pass?

Graf: Stefanie Maria Graf.

dpa: Was macht Ihr Sohn jetzt während wir hier miteinander reden?

Graf: Der Papa ist eingesprungen und passt auf ihn auf. Jaden Gil ist wirklich ein ganz Ruhiger, ein Engel. Er wird gern getragen, möchte alles sehen und immer in Bewegung sein. Und er lacht viel.

dpa: Knapp drei Jahre ist Ihr Abschied von der Tennis-Bühne her. Vermissen Sie Wimbledon und die anderen Top-Turniere?

Graf: Ehrlich gesagt: nein. Das gehört zu einem Abschnitt meines Lebens, der vorbei ist.

dpa: Ganz ohne Reue?

Graf: Ja. Ich habe mich darauf gefreut, nach meiner Profikarriere die Zeit zu haben, um mich mit anderen Dingen beschäftigen zu können. Trotzdem hat es mich überrascht, dass es so einfach war.

dpa: In ein Loch, wie viele andere, sind Sie also nicht gefallen?

Graf: Nein, überhaupt nicht.

dpa: Das ist doch beneidenswert.

Graf: Natürlich. Ich weiß das auch zu schätzen. Aber ich glaube, es hat auch sehr viel damit zu tun, dass mich immer neben meinem Tennis auch viele andere Dinge fasziniert haben. Und dann kam natürlich hinzu, dass ich genau zu dem Zeitpunkt, als ich mit dem Tennis aufgehört habe, Andre kennen gelernt habe.

dpa: Steffi Graf das Glückskind?

Graf: Ja, das kann ich schon so sagen.

dpa: Sie haben viele Verletzungen gehabt. Spielen Sie noch Tennis?

Graf: Ich habe in den letzten zwei Jahren relativ wenig gespielt. Aber die letzten Tage habe ich mit Andre einige Male Bälle geschlagen, weil er sich nach seiner Handverletzung wieder ganz langsam ans Spielen rantastet. Das macht mir einen Riesenspaß.

dpa: Mit Andre können sie also noch mithalten?

Graf: Zum Bälleschlagen reicht's noch. Wenn wir zusammen Tennis spielen, strenge ich mich natürlich auch ganz besonders an.

dpa: Und dann können Sie wie früher keinen Ball verloren geben?

Graf: Ich will verständlicherweise einigermaßen gut spielen und dann ärgere ich mich, wenn es nicht ganz so klappt. Aber ich bin schon viel gelassener geworden. Nein, das ist lange nicht mehr so wie es früher war.

dpa: Spielen Sie auch Basketball wie andere Tennisspieler?

Graf: Nein. Wenn, dann halte ich mich noch fit mit Joggen, Fahrrad fahren oder Krafttraining. Aber im Moment ist es mit dem Kleinen sowieso nicht so einfach.

dpa: Sie sind also immer noch topfit?

Graf: Na ja, topfit würde ich nicht sagen. Nach der Geburt fehlt mir auch etwas die Zeit. Der Kleine bestimmt natürlich den Zeitplan. Aber so zwei bis drei Mal die Woche versuche ich schon, mich ein bisschen sportlich zu betätigen. Das brauche ich auch für mich.

dpa: Boris Becker spielt Show-Turniere; Michael Stich ist Daviscup-Kapitän. Können Sie sich Vergleichbares auch vorstellen?

Graf: Nein, eigentlich weniger. Vielleicht mal ein Show-Turnier spielen. Aber an einer Senioren-Tour teilzunehmen, kann ich mir unmöglich vorstellen. Genauso sehe ich in meiner Zukunft nicht, Teamchefin der Federationcup-Mannschaft zu werden oder mich da stärker zu engagieren. Mir fehlen dazu das Interesse und die Zeit. Wenn, dann wollte ich es auch professionell machen. Das aber würde bedeuten, auch bei den großen Turnieren dabei zu sein. Und das kann und will ich nicht.

dpa: Spüren Sie beim Aufstehen Ihre Knochen und alle Verletzungen?

Graf: Nein. Ich bin froh, dass sich der Körper endlich ein bisschen erholen konnte. Das merke ich auch im täglichen Leben, seit ich aufgehört habe. Vom Rücken her habe ich überhaupt keine Probleme mehr. Früher musste ich mich täglich behandeln lassen und war ständig in Sorge.

dpa: Das hört sich gut an.

Graf: Na ja. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Probleme mit 50 oder 60 Jahren kommen. Wenn man so harten professionellen Sport treibt, wird man sicher viel früher Verschleißerscheinungen haben. Aber momentan geht es mir prima.

dpa: Sie und Jaden Gil haben Andre nach Australien begleitet. Wie lange soll das noch so weitergehen?

Graf: Das werden wir sehen. Das hängt von Jadens Entwicklung ab. Wenn das irgendwann zum Stress für ihn werden sollte, dann bringt es nichts.

dpa: Ihr Sohn ist fast vier Monate alt und liebt das Reisen?

Graf: In dem Alter, in dem Jaden jetzt ist, kann man noch leicht mit ihm reisen.

Er war ein absoluter Engel auf allen Flügen. Die Leute sind sogar auf uns zugekommen und haben gesagt, wir haben gar nicht gemerkt, dass ein Baby an Bord war. Wir sind natürlich froh, weil gerade auf langen Flügen hat man schon seine Bedenken, dass man andere stört. Nach Australien und zurück hat er vielleicht 30 Sekunden geschrien, aber auch nur, weil er Hunger hatte.

dpa: Wie ist es mit der Zeitumstellung?

Graf: Nach Australien waren es nur fünf Stunden. Das war überhaupt kein Problem und er hat sich schon nach zwei Tagen an die Zeitumstellung gewöhnt.

dpa: Verfolgen Sie das Geschehen im deutschen Damen-Tennis?

Graf: Ein gewisses Interesse habe ich natürlich immer noch. Nicht mehr mit den Argusaugen von früher, verständlicherweise. Da ich noch häufig bei den großen Turnieren vor Ort bin, schaue ich auch nach dem Abschneiden der deutschen Spielerinnen, aber einige kenne ich kaum noch.

dpa: Bei der Suche nach Ihren Nachfolgerinnen darf das deutsche Tennis auf Ihre Hilfe nicht hoffen?

Graf: Ich habe ja ein paar Jugendliche unter meinen Fittichen. Aber letztendlich ist es schwer. Wenn Du nämlich wirklich Einfluss auf eine Spielerin nehmen willst, dann musst Du ständig dabei sein. Vor allem in der wichtigen Phase, wenn sie am Anfang ihrer Karriere steht.

dpa: Und wie ist es mit einem Job als Beraterin?

Graf: Das mache ich ja für meine Jugendspielerinnen. Sicher habe ich einen gewissen Einfluss, aber letztendlich sind Trainer und Eltern die entscheidenden Leute.

dpa: Olympia ist ganz in ihrer Nähe. Waren Sie in Salt Lake City?

Graf: Nein.

dpa: Aber Wintersport interessiert die Olympiasiegerin schon?

Graf: Auf jeden Fall. Ich versuche, mich täglich über die Ereignisse bei den Olympischen Spielen zu informieren. In den USA wird aber nicht sehr viel live von Salt Lake City übertragen. Das ist nicht wie bei uns in Deutschland, aber Claudia Pechsteins Sieg und Georg Hackls Silbermedaille etwa wurden auch hier gezeigt.

dpa: Kennen Sie auch Sven Hannawald und Martin Schmitt?

Graf: Aber sicher. Ich verfolge alle Sportarten. Das ist ja auch der Grund, warum ich immer gerne an Olympischen Spielen teilgenommen habe. Es war etwas ganz Besonderes, die Atmosphäre im Olympischen Dorf oder die vielen unterschiedlichen Wettkämpfe hautnah erleben zu können. Sport ist mein Leben gewesen und wird auch immer ein Teil meines Lebens bleiben.

dpa: Und Sie kümmern sich um seelisch traumatisierte Kinder. Bleibt Ihnen genug Zeit für Ihre Stiftung Children for Tomorrow?

Graf: Für mich ist es ja keine direkte, tägliche Arbeit. Es sind meistens gezielte Veranstaltungen. Aber ich halte auch aus der Entfernung Kontakt zu den Ärzten und anderen Verantwortlichen unserer Stiftung, weil mir die Arbeit für die Kinder sehr wichtig geworden ist.

dpa: Die Stiftung läuft gut?

Graf: Ja, sehr gut sogar. Wir haben die Zahl der betreuten Kinder verdreifacht. Wir haben sehr viel Erfolg und das steigert natürlich die Motivation, weiter zu machen. Wie wichtig und notwendig die Arbeit ist, sieht man jetzt gerade wieder. Schon seit Jahren betreuen wir in unserer Hamburger Flüchtlingsambulanz Kinder aus Afghanistan, die mit ihren Familien vor dem Taliban-Regime fliehen konnten. Afghanische Flüchtlinge waren nebenbei in Hamburg immer schon die größte Volksgruppe, die in der Ambulanz behandelt wurde.

dpa: Gibt es Berührungspunkte zu der Stiftung Ihres Mannes, die sich gleichfalls um benachteiligte Kinder kümmert?

Graf: Natürlich. Wir besuchen oft gemeinsam die von ihm und seiner Stiftung eingerichteten Schulen und Ausbildungsstätten. Und natürlich drehen sich auch unsere Gespräche häufig um diese Themen.

dpa: Was gibt es neues von der Leder-Designerin Steffi Graf?

Graf: Da geht es richtig vorwärts. Meine erste Lederkollektion wird noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. Sie besteht aus zwei Bereichen: zum einen aus Reisegepäck und zum anderen aus modischen Taschen, hergestellt aus wunderschönem Material. Für das Kreieren und Designen hatte ich schon immer ein Faible und es macht mir unglaublich viel Spaß. Ich bin schon ganz gespannt, wie meine erste Kollektion auf dem Markt ankommen wird.

dpa: Hat sich Ihr Leben durch den 11. September geändert?

Graf: Eigentlich nicht. Es war eine bewegende Zeit. Vorher haben wir uns nie Gedanken darüber gemacht, wenn wir über die Golden Gate Brücke gefahren sind. Die Gedanken gehen immer wieder zurück und im Unterbewusstsein bleiben auch die schockierenden Bilder. Gerade war ja wieder Warnung, dass irgendetwas passieren könnte. Aber im täglichen Leben hat sich nicht viel verändert.

dpa: Auch vor dem Fliegen haben Sie keine Angst bekommen?

Graf: Nein. Man ist natürlich froh über die Kontrollen am Flughafen, die noch schärfer geworden sind. Doppelt und dreifach wird man durchsucht. Ich bin froh, dass die Leute dies mittlerweile akzeptieren und dass jeder jetzt auch endlich die Notwendigkeit versteht.

dpa: Wie sieht der Tagesablauf im Hause Graf/Agassi aus?

Graf: Den Tagesablauf bestimmt momentan natürlich unser Sohn. Zum Glück komme ich mit wenig Schlaf aus; teilweise weniger als sechs Stunden. Das Gute ist, dass der Trick mit dem Autositz bei Jaden sehr gut klappt. Wenn er nicht einschlafen kann und die Augen schon ganz rot sind, dann drehen wir ein paar Runden - und schon schläft er ein.

dpa: Müssen Sie das in Las Vegas genau so heimlich machen wie in Brühl, Heidelberg oder Mannheim?

Graf: Manchmal ist es einfacher. Aber auch hier werden wir von Fotografen verfolgt. Es sind professionelle Teams, drei vier Autos, die sich ständig abwechseln. Manchmal merken wir's, manchmal nicht.

dpa: Aber hohe Mauern müssen Sie auch in den USA haben?

Graf: Andre hatte früher vor seinem Haus kein Tor. Als ich das erste Mal in sein Haus kam, und man direkt reinfahren konnte, ohne irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen, war ich total baff. Damals hatte er noch nie einen Fotografen da gehabt.

dpa: Damals; und heute?

Graf: Klar, nach wenigen Wochen war das natürlich vorbei. Man hat nachts bei uns durchs Haus fotografiert; über die Mauer, aus einem Baum, durch unser Wohnzimmer hinein in die Küche. Jetzt sind in unserem Garten überall Planen gespannt. Das ist die einzige Möglichkeit, dass du dich im Haus normal aufhalten kannst. Klar, es sieht scheußlich aus, aber man möchte ja auch irgendwo ein gewisses Privatleben haben. Das ist auch in Amerika nicht so einfach.

dpa: Wie stellen Sie sich Normalität vor?

Graf: Keine Planen mehr im Garten. Und ins Auto steigen, ohne schauen zu müssen, ob Dir jemand nachfährt.

dpa: Welche Normalität wünschen Sie sich für Ihre Kinder?

Graf: Nun mal langsam. Erstmal ist es nur ein Kind.

dpa: Wie viele Geschwister soll Jaden Gil denn bekommen?

Graf: Da gibt es noch keine Planungen.

dpa: Zurück zur Normalität für ihr Kind.

Graf: Er soll möglichst ungestört und frei in seinen Entscheidungen aufwachsen.

dpa: Woher kommt der Name Jaden Gil?

Graf: Mir hat Jade immer unheimlich gut gefallen. Um es etwas männlicher zu machen, wurde Jaden daraus. Aber wir wussten nicht, ob es den Namen überhaupt gibt. Gil kommt von Andres Freund Gil Reyes, der seit 13 Jahren sein Training betreut.

dpa: Kluge Leute haben gesagt, Jaden bedeute: von Gott erhört?

Graf: Das habe ich auch gelesen. Und wir fanden das ganz interessant. Aber das war nicht der Grund für die Namensgebung.

dpa: Reden Sie Zuhause deutsch oder englisch?

Graf: Mit dem Kleinen beides. Wir versuchen, ihn auf jeden Fall zweisprachig aufwachsen zu lassen. Ich fand immer, dass das von Vorteil ist.

dpa: Kann Andre schon ein bisschen Deutsch sprechen?

Graf: Es kommen immer mehr Brocken dazu. Er hat eine unheimlich gute Aussprache, was Amerikanern nicht unbedingt leicht fällt. Beim Versuch, etwas zu lesen, spricht er es auf Anhieb richtig aus.

dpa: Wo fühlen Sie sich Zuhause?

Graf: Vorrangig natürlich dort, wo Andre und Jaden sind. Aber genauso auch in Deutschland. Ich sage immer wieder: wenn ich zu Hause bin - und meine Deutschland damit. Obwohl ich ja dort keine eigenen vier Wände mehr habe. Aber dort bin ich groß geworden und dort sind fast alle meine Erinnerungen an Zuhause.

dpa: Keine vier Wände mehr in Deutschland. Heißt das, dass Sie Ihr Leben ausschließlich in den USA planen?

Graf: Mein privates, ja.

dpa: Wie muss das Leben aussehen, damit Sie sich wohlfühlen?

Graf: Das kann ganz einfach sein: Mit einem Schrei meines Sohnes geweckt zu werden etwa. Und wenn man dann noch ein großes zahnloses Strahlen bekommt, ist sowieso alles in Ordnung.

dpa: Fühlen Sie sich glücklicher als zu besten Tennis-Zeiten?

Graf: Ja. Aber es ist auch eine ganz andere Art von Glück. Als Sportler bleibt dir nie die Zeit, das Glück oder die Zufriedenheit lange zu genießen.

dpa: Weil nach einem Finalsieg gleich das nächste Turnier folgt?

Graf: Ja, es gibt meiner Meinung nach einfach zu viele Turniere. Es war immer eine gewisse Spannung; keine Zeit, den Moment des Erfolges festzuhalten. Bei dem ständigen Auf und Ab gibt es keine Kontinuität in Sachen Glück. Du bist in einem ständigen Auf und Ab deiner Emotionen und kommst eigentlich nie innerlich zur Ruhe.

dpa: Das hat sich geändert?

Graf: Im Gegensatz zu früher fühle ich heute eine innere Ruhe und Zufriedenheit, die ich als aktive Sportlerin nie kannte. Die Zeit mit meinem Mann zu verbringen und dem Lachen unseres Sohnes zuzuhören, sind unvergleichlich schönere Momente, als man sie im Sport erleben kann.

dpa: Kochen, Hausarbeit, Windeln wechseln. Machen das die Nannys?

Graf: Ach Du liebe Zeit. Nein, natürlich nicht. Schade nur, dass meine Mutter und mein Vater so weit weg wohnen. Für Australien hatten wir eine Hilfe, eine Krankenschwester. Sie hat den Kleinen über Nacht genommen, damit wir beide unseren Schlaf bekamen - vor allem Andre. Aber tagsüber haben wir noch nie jemanden gehabt.

dpa: Machen Sie im Haushalt alles selber?

Graf: Ja, das meiste. Ein großes Hobby von Andre und mir ist es, gemeinsam zu kochen, wann immer wir die Zeit dazu haben.

dpa: Haben Sie sich früher vorstellen können, dass Ihr Leben mal so aussehen würde?

Graf: Nun, an Ehemann und Kind habe ich eigentlich vor ein paar Jahren noch nicht gedacht. Nach dem Tennis wollte ich erst einmal mich selbst und den Rest der Welt erkunden. Aber es ist anders gekommen, und ich könnte mir mein Leben ohne Andre und Jaden überhaupt nicht mehr vorstellen.

Quelle: ntv.de

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