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Interview zum BBL-Saisonstart "Das geht gegen Bayerns Selbstverständnis"

Die Heimstätte der Münchner Basketballer.

Die Heimstätte der Münchner Basketballer.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Seit zwei Jahren warten die Basketballer des FC Bayern auf einen deutschen Meistertitel. Beim amtierenden Champion Alba Berlin ist eine Legende abgetreten, in Ulm geht eine Ikone der Bundesliga auf Abschiedstour. Was die BBL in der neuen Saison bietet, erklärt Experte Alex Vogel im Interview.

ntv.de: Die neue Saison ist mit einer Überraschung gestartet, Meister Alba Berlin verliert zum Auftakt zu Hause gegen die Telekom Baskets Bonn. Auftakt einer Machtverschiebung oder wird der Titelkampf in der Basketball-Bundesliga wieder ein Zweikampf?

Alex Vogel: Der FC Bayern ist auf jeden Fall der große Favorit, was die Meisterschaft angeht. Sie haben sich gerade hinsichtlich des nationalen Wettbewerbs, der Bundesliga, klar verstärkt. Auf den deutschen Positionen [die BBL schreibt vor, dass sechs von zwölf Profis im Kader einen deutschen Pass haben müssen, Anm. d. Red.] ist der Kader deutlich tiefer, in der Breite ist mehr Qualität da. Dementsprechend denke ich, dass die Bayern auch aufgrund der größeren finanziellen Möglichkeiten dem Rest sportlich zwar nicht enteilt – Alba Berlin war zweimal in Folge deutscher Meister -, zumindest vom Kader her allerdings der klare Favorit auf den Titel sind.

Oder gelingt es Alba wie 2020 und 2021, die Pläne der Münchner zu durchkreuzen?

Alex Vogel ...

... ist Basketball-Experte und kommentiert für MagentaSport die Basketball-Bundesliga und die Euroleague, den höchsten europäischen Vereinswettbewerb.

Die Berliner haben ein in sich unheimlich gefestigtes Konstrukt. Ein Konstrukt, das extrem viel auf Kontinuität setzt. Das hat sich in den letzten Jahren ausgezahlt. Sie haben verdient zwei Meisterschaften in Folge gewonnen. Auch wegen Trainer Aito [Garcia Reneses; Anm. d. Red.], der einen gigantischen Job gemacht hat. Schon im vergangenen Sommer mussten sie schwerwiegende Abgänge verkraften. Dennoch ist es ihnen gelungen, die neuen Spieler sofort zu integrieren. Das war beeindruckend.

In diesem Sommer muss Berlin allerdings einen größeren Umbruch bewältigen.

Sie haben Abgänge von absoluten Leistungsträgern wie Niels Giffey, Peyton Siva, Jayson Granger, Simone Fontecchio. Das tut schon weh und die Frage ist: Schaffen sie es erneut, die neuen Spieler – Yovel Zoosman, Tamir Blatt, dazu Jaleen Smith, in der Vorsaison MVP der BBL – so schnell und so gut zu integrieren? Und entwickeln sich die Spieler auch so gut unter dem neuen Trainer? Ich glaube, sie haben durchaus Chancen, um den Titel mitzuspielen, habe aber etwas größere Fragezeichen als noch im vergangenen Jahr, u.a. hinsichtlich der Neuzugänge.

Israel González ist vom Assistenten zum Cheftrainer befördert worden, mit Aito ist der prägende Charakter des Alba-Aufschwungs abgetreten. Wie schwer wiegt dieser Verlust?

Schon im vergangenen Jahr hat Israel González übernommen, als Aito krankheitsbedingt ausgefallen war. [Wegen einer Corona-Infektion fehlte der 74-Jährige für elf Spiele, Anm. d. Red.] Da hat er das sehr gut gemacht. Er war lange Co-Trainer an der Seite von Aito. Headcoach ist aber natürlich eine andere Position. Schon in der Preseason war zu erkennen, dass er viel von dem mitnimmt, was er bei Aito gelernt und die Mannschaft die letzten Jahre auch stark gemacht hat. Da wird jetzt nicht alles um 180 Grad verändert, ganz bestimmt nicht. Große Teile werden bleiben, aber er wird auch seine eigene Persönlichkeit und seine eigenen Ideen mit einbringen. Das halte ich auch für sehr wichtig. Wie gut, wie schnell das funktioniert, wird sehr interessant zu sehen sein.

Mit Aito verliert die BBL eine prägende Figur. Der 74-Jährige hat Alba nach elf langen Jahren zu gleich zwei Meisterschaften geführt und zu einer Topadresse im europäischen Basketball gemacht. Das Angebot für eine fünfte Saison hat er aber abgelehnt - und die Berliner ihn Sportdirektor Himar Ojeda zufolge danach beim Deutschen Basketball-Bund für die damals noch vakante Stelle des Bundestrainers vorgeschlagen. Der Verband soll sich jedoch nicht beim Spanier gemeldet haben. Ein Fehler?

Sollte die Sache so sein, wie sie aktuell überliefert wird – dass Aito zur Verfügung stand, es auch wohl gerne gemacht hätte und es gleichzeitig noch keine Entscheidung für einem anderen Trainer beim DBB gab. Dann wundere ich mich schon sehr, dass der Verband nicht mal mit Aito gesprochen hat. Denn ich glaube, Aito wäre ein hervorragender Mann dafür gewesen, vermutlich die perfekte Lösung. Er ist jemand, der es geschafft hat, junge deutsche Spieler zu entwickeln, an ein Top-Level heranzuführen. Dem Spanier ist es gelungen, diese jungen Profis an der Seite von europäischen Topspielern zu einem Team zu formen und dann auch noch nachhaltig Erfolg zu haben. Am Ende trifft aber der DBB ganz souverän diese Entscheidung, dementsprechend gilt es dies zu respektieren. Es wird Gründe für das Vorgehen und die Entscheidung Gordon Herbert geben. Den Ex-Frankfurter halte ich auch für eine gute Lösung, ein exzellenter Trainer.

Zurück in die Liga mit einer provokanten Frage: Liegt es am Ende dann allein am FC Bayern und daran, was die Münchner aus ihrem Potenzial - sowohl sportlich als auch finanziell - machen, wer Meister wird?

Ich glaube, es wäre unfair, den anderen Teams und allen voran Alba Berlin gegenüber, zu sagen: "Der FC Bayern entscheidet allein, ob sie Meister werden oder nicht." Auf der anderen Seite haben sie in meinen Augen den stärksten Kader. Und es würde auch dem Selbstverständnis der Bayern widersprechen, dreimal in Folge nicht deutscher Meister zu werden. Gerade mit den Möglichkeiten, die dieser Verein hat. Sie haben im Vorjahr einen sehr hohen Wert auf die EuroLeague gelegt, bei ihrem Run absolut verständlich. Sie waren wahnsinnig erfolgreich und haben Basketball-Deutschland in der EuroLeague hervorragend vertreten. In der Bundesliga hat dieser Umstand, zusammen mit dem Ausfall von Paul Zipser, den Unterschied gemacht. Alba wurde hochverdient deutscher Meister. Und Berlin sollte nicht abgeschrieben werden.

Die Euroleague ist extrem kräftezehrend, zu den 34 Spielen der Bundesliga-Hauptrunde kommen auf München und Berlin weitere 34 Spiele in der EL-Hauptrunde zu, dazu jeweils die Playoffs. Wer könnte denkbare Schwächen ausnutzen?

Ludwigsburg war in der vergangenen Saison sehr stark, ist dann im Halbfinale an den Bayern gescheitert. Sie können sicher wieder eine gute Rolle spielen, auch weil sie sich kadertechnisch nicht so stark verändert haben wie in den vorigen Jahren. Die Oldenburger haben sich allgemein sehr clever verstärkt. Zu guter Letzt die Ulmer, die mit Cristiano Felicio einen Ausnahmespieler aus der NBA von den Chicago Bulls geholt haben. Das sind für mich die drei Mannschaften, denen zuzutrauen ist, sich in den Meisterkampf einzumischen.

Dazu kommen in der BBL spannende, weil aufstrebende Klubs wie die Merlins Crailsheim, die zuletzt sensationell die Playoffs erreicht haben, dazu die ambitionierten Hamburg Towers und die Telekom Baskets Bonn, die nach schwachen Jahren einen großen Umbruch eingeleitet haben und jetzt zum Auftakt auswärts beim Meister gewonnen haben. Wer kämpft hinter den großen Fünf um die Playoffs?

Hamburg sehe ich auf jeden Fall in den Playoffs. Dann sind wir bei sechs Mannschaften. Crailsheim leistet seit Jahren sensationelle Arbeit, aber der Abgang von Headcoach Tuomas Iisalo tut extrem weh. Ich rechne mit ihnen nicht unter besten acht Teams. Die letzten zwei Playoffplätze machen Bamberg, Bonn, Chemnitz und Bayreuth unter sich aus. Ohne Doppelbelastung und mit der Unterstützung der heimischen Fans, denke ich, dass die Bamberger ganz gute Karten haben. Doch auch Bonn, Chemnitz und Bayreuth haben sich verbessert.

Drei Klubs, die im Vorjahr nicht in der Meisterrunde standen. Wo haben sie sich verbessert?

Erfolgscoach Tuomas Iisalo wechselte von Crailsheim nach Bonn.

Erfolgscoach Tuomas Iisalo wechselte von Crailsheim nach Bonn.

(Foto: imago images/Wolter)

Bonn ist der Transfercoup des Sommers mit Trainer Tuomas Iisalo gelungen. Dazu haben sie mit Parker Jackson-Cartwright einen absoluten Steal gelandet, ein unfassbar schneller und spektakulärer Point Guard, der der Liga guttun wird und perfekt zu Iisalo und seinem Spielstil passt. Bayreuth hat den Kader mit viel BBL-Erfahrung verstärkt und Chemnitz hat im Vorjahr als Aufsteiger schon überrascht. Auch da gab es einige prominente Neuzugänge. Allen voran Frantz Massenat [spielte in der Schlussphase der Vorsaison für EL-Teilnehmer Baskonia; Anm. d. Red.] und Gerald Robinson [kam vom französischen Vizemeister Dijon; Anm. d. Red].

Mit den neuen Corona-Regeln kehren die Fans ja in größeren Zahlen in die Hallen zurück und die Zeit, in der das Quietschen der Schuhe auf dem Parkett und die Kommandos der Coaches deutlich zu hören sind, endet. Erhöht das die Chance auf Sensationen wie etwa Rasta Vechta vor zwei Jahren, das mit lauten Anhängern im Rücken sensationell bis ins Halbfinale vorstoßen konnte?

Das erhöht ganz bestimmt die Chancen, dass ein Underdog zu Hause mal für eine Überraschung sorgt. Generell ist es einfach wahnsinnig schön, dass die Fans wieder da sind. Der Sport allgemein braucht Fans, der Basketball braucht Fans, das ist einfach ein völlig anderes Erlebnis. Hoffen wir, dass sich das mehr und mehr steigert, sofern das gesundheitlich zu vertreten ist.

Gesundheitlich vertretbar ist ein gutes Stichwort: Die BBL hat freudig verkündet, dass über 99 Prozent der Profis gegen das Coronavirus geimpft sind, nur ein einziger Spieler ist der Liga zufolge noch ungeimpft. Wird das also jetzt eine Saison, die sich - mit Fans, ohne regelmäßige Verlegungen - anfühlt "wie früher"?

Seit 2008 läuft Günther in der Bundesliga für Ratiopharm Ulm auf.

Seit 2008 läuft Günther in der Bundesliga für Ratiopharm Ulm auf.

(Foto: imago images/Eibner)

Ich würde es mal so sagen: Die Voraussetzungen sind da. Die erfreulich hohe Impfquote ist sicher sehr positiv zu sehen und macht Hoffnung auf einen normalen Spielbetrieb. Auf der anderen Seite haben uns die vergangenen anderthalb Jahre gelehrt, dass sich Situationen sehr schnell verändern können. Daher finde ich es falsch, da eine Prognose abzugeben. Es sind einfach Faktoren dabei, die nicht zu beeinflussen sind. Aber die Voraussetzungen sind gut.

Die Basketball-Bundesliga findet ja meist abseits der großen Titelseiten statt. Wer sind denn für neue Fans die Gesichter der Liga, bei denen sich ein genaueres Hinschauen lohnt?

Ein Gesicht der Liga ist bestimmt Luke Sikma, der in seine fünfte Saison für Alba Berlin geht. Ein unheimlich cleverer Basketballer, der auf seine ganz eigene Art und Weise spektakulär agiert und bei dem ich es genieße, zuzuschauen. Dann freuen wir uns glaube ich alle auf das Comeback von Paul Zipser. Er wird begeistert empfangen werden, wenn er wieder fit ist. [Nach einer Hirnoperation im Juni 2021 arbeitet der Bayern-Profi an seinem Comeback; Anm. d. Red.]. Nicht zu vergessen natürlich auch Per Günther, der in Ulm seine letzte Saison spielt. Eine absolute Legende, er steht für das Wort Kontinuität, er steht für das Projekt Ulm, hat die Entwicklung dieses Klubs entscheidend geprägt. Für ihn wird es sicher das ein oder andere Mal auch auswärts stehende Ovationen geben. Nicht nur wegen seiner Verdienste in Ulm, sondern für die gesamte BBL und den deutschen Basketball. Und definitiv Rickey Paulding, der in Oldenburg in seine 15. Saison für die EWE Baskets geht.

Mit Alex Vogel sprach Torben Siemer

Quelle: ntv.de

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