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Tom Bradys dramatisches Finale Der Superstar muss in München um sein Erbe kämpfen

Tom Brady muss in München liefern.

Tom Brady muss in München liefern.

(Foto: picture alliance/dpa)

Tom Brady spielt mit Tampa Bay eine Saison zum Vergessen. Ausgerechnet beim NFL-Spiel in München muss die Wende gelingen. Sonst sieht es düster aus für die Buccaneers - und Superstar-Quarterback Brady droht ein unrühmliches Ende.

Eigentlich ist Tom Brady kein Mensch. Das weiß jeder, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten auch nur ein Spiel des Superstars NFL gesehen hat. Tom Brady ist eine Maschine, ein Roboter, der kein Alter kennt und dessen Präzisionsarm jede noch so kleine Lücke findet, um den Football explosionsartig direkt in die Arme seines mit strategischer Perfektion ausgewählten Empfängers zu feuern. Tom Brady ist ein Gewinner-Typ. Quatsch, der Gewinner. Der mittlerweile 45-jährige Quarterback zog zehn Mal in den Super Bowl ein und hielt sieben Mal anschließend die Vince Lombardi Trophy in die Höhe. Sechs Siege mit den New England Patriots, ein Erfolg mit den Tampa Bay Buccaneers.

Doch auf einmal bröckelt dieses Selbstverständnis. Das über Dekaden geltende Gesetz, dass am Ende der Saison immer mit Bradys Team zu rechnen ist, gilt nicht mehr. Seit der im NFL-Draft 2000 in der sechsten von sieben Runden als 199. Spieler gezogene Quarterback in der Saison 2001 sein erstes Spiel als Starter in der NFL bestritt, hat nur einmal (2002) nicht die Playoffs erreicht (2008 fiel er nach der ersten Partie verletzt aus und seine Patriots erreichten anschließend ebenfalls nicht die K.o.-Runde).

Ein Spiel mit Finalcharakter für Brady

In dieser Spielzeit zeigt sich Brady nicht nur verblüffend menschlich, Tampa Bay spielt so schlecht, dass die Playoffs derzeit nur mit Glück erreicht werden können. Der von vielen Experten für gut möglich gehaltene Super Bowl scheint unerreichbar - und ein eher unrühmliches Karriereende des erfolgreichsten Footballspielers aller Zeiten umso näher. Ausgerechnet in München bahnt sich nun ein entscheidendes, ja durchaus dramatisches Spiel mit Finalcharakter an. Nicht nur für die Buccaneers, auch für den Superstar selbst.

Wenn Brady am Nachmittag beim ersten NFL-Spiel in Deutschland (15.30 Uhr/ Pro7 und DAZN) seinen ersten Ball wirft, muss alles stimmen. Ein Sieg ist Pflicht für die Buccaneers, sonst könnte die Saison bald schon vorbei sein. Auch wenn es gegen die äußerst formstarken Seattle Seahawks geht, die nach einem schwachen Start ins Jahr 2022/23 fünf Siege in den vergangenen sechs Partien errungen haben. Brady und seine Mannschaft stehen zwar derzeit an der Spitze ihrer Division, der NFC South, und wären damit für die Playoffs qualifiziert, aber bei derzeit vier Siegen und fünf Niederlagen könnte sich das schnell ändern und dann wäre das Erreichen der K.o.-Runde über den Prozentsatz der gewonnenen Saisonspiele äußerst schwer.

TV-Sendungen, Zeitungen und Magazine sprechen bereits von Bradys "schlechtester Saison seiner Karriere", Fans überall in den USA machen sich über ihn lustig. Der Rückgang seiner Produktivität war schon in der vergangenen Spielzeit hier und da sichtbar, doch am Ende stellten die Buccaneers in der NFL die zweitbeste Offensive, brachten gute Playoffs auf den Rasen und wurden durchaus als Titelkandidat für dieses Jahr gehandelt. Nun aber rumpeln sie von einer Pleite zur nächsten, konnten nur zweimal in neun Partien mehr als 21 Punkte (drei Touchdowns) erzielen. In den kompletten Saisons 2020 und 2021 gab es insgesamt nur fünf Spiele von Tampa mit 21 Punkten oder weniger. Zur Halbzeit der Saison, nach einer erneuten herben Niederlage, fiel Tampa Bay, als erstes Brady-Team überhaupt, auf die negative Bilanz von zwei Spielen unter der .500-Marke (drei Siege, fünf Pleiten). Aus der Traum vom erneuten Super Bowl?

Mittelmaß statt Maschine

Bradys Offensive liegt weit abgeschlagen auf Platz 19 (bei erzielten Punkten sogar auf Rang 24) in der Liga. Der Quarterback schwächelt genauso wie seine Zielspieler Mike Evans und Chris Godwin, die immer wieder Bälle fallen lassen. Auch am gemeinsamen Spielverständnis hapert es. Dass Rob Gronkowski, Bradys langjährige Anspielstation Nummer eins, seine Karriere beendet hat, macht sich bemerkbar.

Center Ryan Jensen, der Anker in Tampas Offensive-Line, die Brady vor heranstürmenden Gegnern verteidigen soll, fehlt schon die komplette Saison verletzt und der Ausfall und drei neue Starter in der wichtigen Line machen den immer weniger mobilen Spielmacher immer angreifbarer. Gleichzeitig laufen die Buccaneers den Ball zu wenig, sodass ihr Spiel zu ausrechenbar ist, und sind bei den wenigen Läufen wiederum unglaublich unproduktiv. Auch der Wechsel vom in Rente gegangene Chef-Coach Bruce Arians, eine offensiv denkende Legende, zum defensiv orientierten Todd Bowles, hat negative Auswirkungen auf das Team.

Doch ein Quarterback auf MVP-Niveau kann in der NFL eine Menge Probleme lösen. Zwar liegt Brady mit 283 geworfenen Yards pro Spiel derzeit auf Platz vier der Liga, doch diesen MVP-Level die gesamte Saison über erreicht er nicht mehr. Im Gegenteil, Brady sieht oft nicht aus wie einer der besten NFL-Spielmacher, sondern wie ein 45-Jähriger, den die Zeit einholt. Wie ein Mann Mitte 40 in dieser Liga der Ausnahmeathleten eben eigentlich aussehen soll. Wie der älteste Quarterback von allen, der im Rating mittlerweile nur noch Mittelmaß (Rang 16 mit enormen Abstand zur Spitzengruppe) statt unmenschlicher Maschine bedeutet. Wie Durschnitt statt GOAT (Greatest Of All Time).

"Wenn man ein großartiges Team sein will, muss man viel besser sein als der Durchschnitt", sagte Brady dabei vergangene Woche in seinem "Let's go"-Podcast und fand auch gleich die Gründe für die unterdurchschnittlichen Leistungen seiner Mannschaft. "Wir müssen unsere Fehler korrigieren und unseren Einsatz verbessern. Das ist wahrscheinlich der peinlichste Teil unseres Teams, nämlich unser Einsatz am Spieltag, und das müssen wir besser machen." Coach Bowles teilte diese Einschätzung allerdings nicht. In einem Interview mit dem Buccaneers Radio Network sagte er, dass die schlechte Saison nicht mit mangelnder Anstrengung, sondern "mangelhafter Ausführung" zu tun habe.

Er kann es ja noch

Wer auch Recht haben mag, Mängel gibt es einige bei Tampa Bay. Der Abgesang auf den Superstar-Quarterback und sein Team seitens Experten, Beobachtern und Brady-Hassern war bereits in vollem Gange. Doch dann zeigte der 45-Jährige, dass man ihn auch im hohen Alter niemals unterschätzen darf. Dass Brady immer noch Brady-Dinge tun kann. Dass er bis zu letzten Sekunde kämpft und in wenigen, kleinsten Momenten vieles, ja Großartiges erreichen kann. Denn dann zündete Brady wieder einmal eine seiner ganz eigenen Raketen.

In der vergangenen Woche gegen die Los Angeles Rams, den amtierenden Super-Bowl-Champion, gelang dem Spielmacher wieder eine dieser schier übermenschlichen Aktionen, die ihn zum gefürchteten Dominator gemacht haben. Die Buccaneers lagen in einem offensiv schwachen und äußerst unansehnlichen Spiel mit 9:13 zurück, ein Field Goal würde nicht zu Sieg oder Unentschieden genügen, und Brady bekam mit 44 Sekunden auf der Uhr den Ball noch einmal tief in der eigenen Hälfte. Der Quarterback führte sein Team über das gesamte Feld - und vollendete den Drive mit einem 1-Yard-Touchdownpass zum 16:13 Sieg.

Es war Bradys 55. Game-Winning-Drive. Ein neuer NFL-Rekord. Natürlich. Im Spiel gegen die Rams erwarf er sich obendrauf noch den 100.000-Yards-Karrieremeilenstein. 100.000 Yards, das sind etwa 57 Meilen, knapp 92 Kilometer. Brady hat in seiner Karriere knapp die Entfernung von München nach Regensburg geworfen.

"Dann hat man rausgefunden, wer man ist"

Als Tom Brady den Rücktritt vom Rücktritt hinlegte, war vielen - und wohl vor allem ihm selbst - klar, dass er nichts mehr beweisen muss und kaum noch etwas gewinnen (Titel und Rekorde hat er mehr als jeder andere) kann - jedoch viel zu verlieren hat. Denn der Superstar, der schon in seiner ersten Saison als Starter zum Super Bowl MVP gewählt wurde, will mit Sicherheit nicht seine illustre Karriere, seine fast immer weiß gebliebene Weste beschmutzen. Ein peinliches Aus mit den Buccaneers schon vor den Playoffs, es würde auch den Blick der Außenwelt auf den Überfootballstar Brady und sein Vermächtnis trüben.

Und so geht es in München auch um Bradys Erbe. Um einen vernünftigen Abschluss der Brady-Ära, denn der Superstar hat seinen Ruhestand nicht um ein weiteres Jahr aufgeschoben, nur um sich qualvoll um einen Playoff-Platz zu bemühen. Gut möglich, dass nach dieser Saison wirklich Schluss ist. Zeit für den alten Mann zu beweisen, dass er es noch immer kann. Dass er auch wichtige K.o.-Spiele (fast) im Alleingang drehen und mit ein paar wenigen, präzisen Big Plays das gesamte Feld überbrücken kann. Dass er in seiner Bestform weiterhin einer der ganz Großen dieses Spiels ist.

Der erfahrene Brady gab sich jüngst gewohnt selbstbewusst: "Die besten Teams fangen um Thanksgiving herum an, gut zu spielen", so der Quarterback. "Das liegt daran, dass man im Grunde genommen herausgefunden hat, wer man ist und was man tun muss." Das Germany Game ist für die Bucs das letzte vor Thanksgiving. Sie haben das Glück, in einer der schlechtesten Divisionen der NFL zu spielen und das Ruder dadurch noch herumreißen zu können. Ein Sieg in der NFC South ist absolut möglich - und dann kann, so hoffen alle Buccaneers-Fans, Tom Brady in den Playoffs wieder zur Maschine werden. Allein, dafür muss zunächst einmal ein Sieg beim Showdown in München her.

Quelle: ntv.de

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