Warriors-Ikone Al Attles ist tot Der Zerstörer mit der ganz sanften Seele
24.08.2024, 21:13 Uhr
Alvin Attles ist im Alter von 87 Jahren gestorben.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Pionier, Galionsfigur, Champion, Freund: Alvin Attles war mehr als 60 Jahre lang das Gesicht des NBA-Teams Golden State Warriors - erst als Spieler, dann als Cheftrainer, Manager und Botschafter. Als Head Coach sorgte er für die größte Überraschung in der Geschichte der NBA-Finals. Nun ist er im Alter von 87 Jahren gestorben.
"Niemand hat eine Abneigung gegenüber Al Attles", sagte NBA-Legende Wilt Chamberlain einmal über ihn. "Das ist einzigartig, im Basketball und im Sport überhaupt. Es zeigt in erster Linie seinen Charakter und was für ein Mann er ist." Der langjährige Warriors-Reporter Jim Barnett erklärte: "Er ist ein unglaublich bescheidener Mann, der nie Aufmerksamkeit für seine Leistungen gesucht hat. Als sie 1975 den Titel gewannen, wies er das Lob zurück. Wenn es um Al geht, denke ich an Klasse und Anmut. Ich denke an einen Gentleman."
Steph Curry schrieb auf seinem Instagram-Kanal: "Ein sehr trauriger Tag für die gesamte Bay Area und alle Warriors Anhänger. Al war ein Pionier, stand für Professionalität, Mut, Wettbewerb und hat immer neue Wege gefunden. Seine DNA ist überall in diesem Klub. Er ist für immer an der Hallendecke und in unseren Herzen. #16"
Warriors-Coach Steve Kerr fasste exemplarisch zusammen, wie viel der Mann, der am Dienstag im Alter von 87 Jahren verstarb, der Franchise aus der Bay Area bedeutet: "Die meisten großen Organisationen mit viel Geschichte haben den einen Spieler, den jeder mit diesem Klub in Verbindung bringt. Al Attles ist dieser Typ für uns. Der 'Original Warrior'. 'Mr Warrior'. Ein Mann, der mehr als 60 Jahre bei ein und demselben Klub gearbeitet hat. Unerhört im Profisport. Al war die Galionsfigur der Warriors, ein großartiger Freund für uns alle hier. Wir lieben Al."
Der "Original Warrior"
Attles verbrachte mehr als sechs Jahrzehnte bei den Warriors - die längste Anstellung einer Person bei ein und demselben Klub in der illustren Geschichte der National Basketball Association. Das Team spielte noch in Philadelphia, Dwight Eisenhower war damals Präsident der USA, als Attles in der fünften Runde 1960 gedraftet wurde. Eigentlich hatte der Point Guard nicht vor, Profi-Basketballer zu werden. Sein Plan nach der Uni in North Carolina A&T war, in seine Geburtsstadt New Jersey zurückzukehren, um dort als Lehrer an der örtlichen Highschool zu arbeiten.
Als er widerwillig zum Training Camp erschien, hatte er nur ein paar Shorts im Gepäck - weil er glaubte, prompt wieder entlassen zu werden. Die Warriors verfügten bereits über die damals inoffizielle Quote von vier schwarzen Spielern pro Team. Weil Philadelphia aber in der Offseason einen dieser vier Spieler nach St. Louis tradete, blieb Attles im Kader und bekam seine Chance.
"Gott hatte andere Pläne. Ich hätte nie gedacht, dass mein Name zum Synonym für die Warriors werden würde", erinnerte er sich in seiner Rede zur Aufnahme in die Basketball Hall of Fame 2019, bei der er, stets selbstironisch hinzufügte: "Ich glaube, sie haben hier einen Fehler gemacht."
Nur Steph Curry, Chris Mullin und Draymond Green haben mehr Saisons in einem Warriors-Trikot absolviert als Attles. Obwohl nur knapp 1,80 Meter groß, wurde der hartnäckige Verteidigungsspezialist schnell als "The Destroyer" bekannt, weil er die Angriffsbemühungen des Gegners vernichtete. Auch bei Handgemengen auf dem Parkett - keine Seltenheit damals - war Attles stets mittendrin und gefürchtet - obwohl er meistens zwei Köpfe kleiner war als seine Opponenten. Sein Lieblingsmoment als Spieler war ein März-Abend in der Saison 1961-62, als NBA-Geschichte geschrieben wurde. "Wilt Chamberlain und ich haben einmal 117 Punkte in einem Spiel erzielt. Das ist Fakt", scherzte Attles süffisant, wann immer es um den legendären 100-Punkte-Abend von Chamberlain ging. Attles und Chamberlain waren enge Freunde und blieben es bis an ihr Lebensende.
1962 zog die Franchise von Philadelphia in die Bay Area um. Attles und die San Francisco Warriors erreichten zweimal die NBA Finals, scheiterten dort aber beide Male. Gegen Ende seiner aktiven Laufbahn trat der damalige Teambesitzer Franklin Mieuli an Attles heran, mit der Bitte, den Trainerposten zu übernehmen. Der lehnte zunächst mehrmals ab, ließ sich aber letztendlich von seiner Ehefrau überzeugen. Die letzten vier Jahre verbrachte der Point Guard in Doppelfunktion als Spieler und Trainer, zunächst als Assistent und Teilzeit-Coach, 1970-71 in seinem letzten Jahr auf dem Parkett dann als Head Coach in Vollzeit.
Größter Schocker der Finals-Geschichte
Was eigentlich als Notlösung gedacht war, entpuppte sich als Geniestreich. Attles war nach Bill Russell nicht nur einer der ersten schwarzen NBA Head Coaches überhaupt, sondern etablierte sich dank seiner Intuition, Kommunikationsgabe und Courage schnell als "player's coach". Er verstand es wie kein Zweiter, seine gesamte Aufstellung zu nutzen und zehn, elf, manchmal zwölf Spieler einzusetzen - damals unerhört. Was als Verstoß gegen traditionelle Konventionen begann, sollte bald Standard werden, erst recht nach dem größten Schocker der Finals-Geschichte.
Die mittlerweile als Golden State Warriors bekannten Kalifornier erreichten 1975 als große Außenseiter die NBA Finals, wo sie auf die hochfavorisierten Washington Bullets trafen. Das Team aus der Hauptstadt hatte 60 Partien gewonnen und wurde von den Superstars Wes Unseld und Elvin Hayes verankert. Golden State hatte in Rick Barry nur einen einzigen Star. Dank Attles' inspirierendem Coaching und einer tiefen Truppe, die rechtzeitig ihre Top-Form erreichte, schockten die Warriors ihre Gegner und fegten die Bullets mit einem 4:0 Sweep vom Parkett.
Die dritte Meisterschaft nach 1947 (BAA) und 1956 sollte 40 Jahre lang die vorerst letzte bleiben, ehe die Warriors 2015 mit dem ersten von vier Titeln und sechs Finalteilnahmen eine neue Dynastie einleiteten. "Al war ein Musterbeispiel für Führungsstärke, Zusammenhalt und ein ausgeprägtes strategisches Geschick, das uns ermöglichte, auf höchstem Niveau erfolgreich zu sein", zollte Barry seinem ehemaligen Coach Tribut. "Mein Herz schmerzt nach dem Verlust meines Mentors und Freundes. Er hat mir wertvolle Lektionen über das Profi-Dasein beigebracht, die man auf dem Platz nicht lernen kann."
Ein Vermächtnis sondergleichen
14 Jahre verbrachte Attles als Warriors-Coach. 1983 beendete er seine zweite Karriere mit 557 Siegen und hält bis heute den Franchise-Rekord vor Steve Kerr (519) und Don Nelson (422). Sechsmal führte er seine Warriors in die Playoffs, dreimal erreichten sie die Conference Finals. Von 1976 bis 1986 war er auch als General Manager des Klubs aktiv, ehe er später als Vizepräsident und Berater wirkte. Sein letzter offizieller Arbeitstitel war "Warriors Legende und Community Botschafter."
Die Warriors zogen seine Trikotnummer 16 für immer an die Hallendecke, neben die seiner Weggefährten Chamberlain (13), Barry (24), Nate Thurmond (42), Tom Meschery (14), und einer weiteren Warriors-Legende, Chris Mullin (17): "Alvin hatte einen enormen, positiven Einfluss auf mich und meine Karriere. Er hat mich nicht nur 1985 verpflichtet und in die Bay Area geholt, sondern mich auch auf meinem Weg als Spieler und junger Mann begleitet, sowohl in guten als auch in schwierigen Zeiten."
Attles' Entschlossenheit, seine realistische und unprätentiöse Selbsteinschätzung ("Ich war nie der talentierteste, aber ich habe immer alles gegeben"), sowie seine unvergleichliche, positive Aura in allen Bereichen und gegenüber all seinen Zeitgenossen, machten ihn zur Ikone. Ein echter "Warrior", der all das verkörperte, was dieser Klub repräsentieren möchte. Er wurde von allen bewundert, nicht nur für seine Errungenschaften als Sportler, sondern auch für seine Loyalität und sein Engagement in der Gemeinde. Es ging ihm, und das betonte er immer, vor allem um eines im Leben: "das Richtige zu tun. Ich hoffe, das bleibt mein Vermächtnis."
"Er war ein lieber Freund, Mentor und Vorbild und jemand, den ich ungemein bewunderte und dem ich nachzueifern versuchte", sagt Mullin. "Er hat für uns alle den Maßstab gesetzt, was Integrität und Bescheidenheit angeht, und war sowohl auf dem Parkett als auch abseits davon ein wahrer Champion. Es wird nie wieder einen Alvin Attles geben."
Quelle: ntv.de