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Draymond Green schockt die Liga Der brutalste Spieler, den es in der NBA je gab

Bei Draymond Green weiß man nie, was einen erwartet.

Bei Draymond Green weiß man nie, was einen erwartet.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Draymond Green verbringt bereits seine gesamte Karriere irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn, hat Titel, Trophäen und Vergehen in gleichem Maße angehäuft. Eine Serie brutaler Ausraster hat jetzt aber die Liga auf den Plan gerufen. Es ist die vielleicht letzte Chance auf Besserung.

Draymond Green hatte es wieder getan. Das "größte Arschloch der NBA", wie viele seiner Zeitgenossen den Power Forward der Golden State Warriors nennen, hatte sich einmal mehr einen brutalen Ausraster auf dem Parkett geleistet. Frust und Resignation seiner Coaches und Teamkollegen während und nach der Aktion sprachen Bände. Das haben sie jetzt schon so häufig mitgemacht in Golden State, dass außer Floskeln und Mantras nicht mehr viel übrig geblieben ist: "Wir brauchen ihn. Wir brauchen Draymond", flehte sein Coach fast hoffnungslos auf der Pressekonferenz in Richtung seines eigenen Spielers. "Er weiß das. Wir haben mit ihm gesprochen. Er muss einen Weg finden, Haltung zu bewahren und für seine Teamkollegen da zu sein."

Mitte Dezember, im dritten Viertel der Partie gegen die Phoenix Suns, hatte Green gegen Jusuf Nurkic um eine Position gerungen, ehe er, demonstrativ mit den Armen herumfuchtelnd, den Bosnier mit einem wilden Rundumschlag im Gesicht traf und zu Boden schickte. Die Untersuchung durch die Referees dauerte nicht lange, Green wurde des Feldes verwiesen, bereits zum dritten Mal in nur 15 Einsätzen in dieser Saison. Mit 20 Disqualifikationen in seiner Karriere rangiert Green auf Rang zwei der ewigen "Bestenliste"; nur der notorische Rasheed Wallace hat es in seiner Laufbahn auf mehr gebracht (29).

Bereits zum x-ten Male wurde der Schlüsselspieler des vierfachen Meisters durch eine übertrieben harte Aktion auffällig. Green hat seine gesamte Profikarriere auf dem schmalen Grat zwischen Aggressivität und Brutalität, zwischen Genie und Wahnsinn verbracht. Eine eskalierende Reihe von zunehmend übleren Aussetzern in den vergangenen 14 Monaten hat mittlerweile jedoch die Liga auf den Plan gerufen, nachdem sein Klub es lange nicht geschafft hat, die Verstöße einzudämmen und der Sache entscheidend einen Riegel vorzuschieben.

"So gut kann ich nicht zielen"

Green entschuldigte sich zwar auf der Pressekonferenz nach dem Suns-Spiel bei Nurkic - "Ihr wisst, ich entschuldige mich nie für Dinge, die ich so tun wollte, aber ich bitte Jusuf um Verzeihung, denn ich wollte ihn wirklich nicht treffen. So gut kann ich nicht zielen. Ich wollte lediglich ein Foul verkaufen" - aber die NBA hatte längst genug gesehen. Sie sperrte den 33-Jährigen zum zweiten Mal in dieser Saison, nur sechs Partien nachdem er bereits vor Wochen für fünf Partien suspendiert gewesen war. Damals schockte Green mit einem Würgegriff gegen Rudy Gobert, schleifte den 2,16 Meter und 120 Kilogramm schweren Franzosen meterweit und sekundenlang übers Parkett, ehe er losließ.

Die Liga nahm Greens lange Täterakte als Anlass, eine so noch nie verhängte Sperre auszusprechen: Ende offen, von mehreren Wochen bis einigen Monaten Pause ist alles möglich. Anstatt Green wie bisher üblich für eine gewisse, festgelegte Anzahl von Spielen zu suspendieren, wurde der Fokus auf langfristige Rehabilitation und ein Verhindern von Rückfällen in alte Muster gelegt. "Wir wollten uns nicht auf die Anzahl von Partien festlegen, sondern ihm Zeit geben, um die Ursache auszumachen und zu korrigieren. Egal wie lange das dauert", sagte Joe Dumars, so etwas wie die höchste Disziplin-Instanz der NBA, und einst als Spieler selbst Teil der "Bad Boys"-Pistons, einem der härtesten, unfairsten und am meisten gefürchteten Teams der Historie.

Green wird eine Reihe von Auflagen erfüllen müssen, ehe er wieder aufs Parkett darf. Niemand weiß genau, welche Auflagen dies genau sind, aber Therapie ist Teil des Ganzen und mindestens drei Wochen Pause sind vorprogrammiert - vielleicht mehr. Das sind Minimum 12-13 Partien an der Seitenlinie. "Es geht hier um mehr als Basketball", sagte Kerr nach Bekanntgabe der Sperre. "Es geht darum, Draymond zu helfen. Es ist eine Möglichkeit für ihn, ein bisschen Abstand zu gewinnen und ein paar Veränderungen vorzunehmen in seinem Leben. Das ist nicht einfach, das machst du nicht mal eben in fünf Partien."

Den eigenen Teamkollegen umgeboxt

Das Problem mit Green ist, dass er im Gegensatz zu früher längst nicht mehr nur die Kontrolle über sein Mundwerk verloren hat. Einst immer wieder durch viele Meckereien und übertrieben demonstrative Gesten auffällig geworden, die ihm reihenweise technische Fouls und damit irgendwann automatische Spielsperren einbrachten, ist der Veteran mit zunehmendem Alter immer jähzorniger geworden. Unbeherrscht. Tobsüchtig. Der Kontrollverlust in jüngster Zeit ist mehr als bedenklich, die körperliche Unversehrtheit der Kontrahenten zunehmend in Gefahr.

2016 trat Green in aufeinanderfolgenden Playoff-Partien Oklahoma Citys Steven Adams in die Weichteile. In den NBA Finals 2016 sabotierte er die ultimative Saison seiner rekordträchtigen Warriors, die unfassbare 73 von 82 Saisonspielen gewonnen und eine eigentlich vorentscheidende 3:1 Führung gegen LeBron James' Cleveland Cavaliers herausgespielt hatten. In der Schlussphase des bereits entschiedenen vierten Duells schlug Green in James' Weichteile und wurde für Spiel fünf gesperrt. Cleveland gelang die sensationelle Aufholjagd und am Ende der 4:3 Triumph zum Titel. 2018 suspendierten ihn die Warriors selbst, für eine Auseinandersetzung mit seinem damaligen Teamkollegen Kevin Durant, inmitten einer im nationalen Fernsehen ausgetragenen Partie.

Ein ganz dunkles Kapitel - und der Anfang vom Ende - ereignete sich dann vor Beginn der Saison 2022-23. Green und sein junger Teamkollege Jordan Poole gerieten im Training aneinander, Poole schubste Green, der den Youngster mit einer brutalen Rechten zu Boden streckte. Unbekannte filmten die Auseinandersetzung, verkauften sie an die US-amerikanische Skandal-Nachrichtenseite TMZ, Green und die Warriors sahen sich über Nacht einem Shitstorm ausgesetzt. Golden State kümmerte sich um die Angelegenheit "in-house", schickte Green für eine Woche nach Hause und belegte ihn mit einer Geldstrafe. Viel veränderte sich nicht. In den Playoffs 2023 trat er dem auf dem Boden liegenden Domantas Sabonis von den Sacramento Kings auf den Brustkorb, wurde ein Spiel gesperrt. Dann der Würgegriff gegen Rudy Gobert zu Beginn dieser Saison, jetzt der Rundumschlag, der Nurkic im Gesicht traf ...

Eigentlich unverzichtbar für Golden State

Warum toleriert eine Gewinner-Franchise wie Golden State - ihrerseits die erfolgreichste Dynastie der vergangenen Dekade, mit sechs Finalteilnahmen, vier Meisterschaften und 537 Siegen seit der Saison 2013-14 - einen Typen, der sich offensichtlich immer weniger im Griff hat, der fahrlässig die Gesundheit seiner Zeitgenossen und Erfolgschancen seines Teams aufs Spiel setzt? Weil Draymond Green einer der besten Verteidiger aller Zeiten ist, ein integraler Bestandteil all dessen, was sie in Oakland und San Francisco auf die Beine gestellt haben. Ohne ihn, seine Härte und defensive Extraklasse keine Dynastie. Er ist ihr Rückgrat, ihr Muskel, ihr "Extra". Ohne ihn hängen die vier Banner (2015, 2017, 2018, 2022) nicht unter der Hallendecke im "Chase Center".

Green ist der vielseitigste Defensivspieler der Neuzeit. Der nur 1,98 Meter große Power Forward hat die Art und Weise, wie in der NBA verteidigt wird, im Alleingang für immer verändert. Seine Vielseitigkeit am hinteren Ende ist unerreicht. Niemand schafft es wie er, am Zonenrand Nikola Jokic zu checken und Sekunden später im Halbfeld pfeilschnelle Guards zu neutralisieren. Sein Überblick, sein Basketball-IQ und seine Antizipation suchen ihresgleichen. Es ist, als würde Greens Gehirn immer eine Sekunde voraus operieren und alle Elemente in Echtzeit manipulieren können.

Auch für Steph Curry ist Green unverzichtbar. Er hält ihm nicht nur den Rücken frei, er verstärkt auch alles, was den besten Schützen aller Zeiten so brandgefährlich macht. Ihr Verständnis im Zusammenspiel ist perfekt - eine fast übersinnliche Verbindung, die sich in improvisierten Aktionen, blinden Pässen und einer intuitiven Bewegungs-Choreographie niederschlägt, die Golden States Angriff fortwährend am Laufen hält. Green bleibt "Stephs Junge", und solange ihm der Franchise-Spieler die Treue hält, hat auch der Klub keine andere Wahl, als mit ihm zu gehen. In diesem Sommer erhielt Green eine Vertragsverlängerung über vier Jahre und 100 Millionen US-Dollar.

Letzte Ausfahrt für Draymond und die "Dubs"

Die Saison bisher war für die "Dubs" eine einzige Katastrophe. Viele wollen Green dafür hauptverantwortlich machen. Dabei sind seine Eskapaden, seine zunehmende Flucht in Gewaltausbrüche dieser Art, lediglich Symptome eines komplexeren Phänomens: das unvermeidliche Auseinanderbröckeln einer Dynastie. Die Leistungen fluktuieren mehr und mehr, altbekannte Leistungsträger wie Klay Thompson oder Andrew Wiggins sind in die Jahre gekommen und spielen so schwach wie lange nicht mehr. Die Startformation ist eine Katastrophe, Steve Kerr muss vermehrt auf seine jungen Bankspieler setzen, um überhaupt Qualität neben Curry zu packen - dem einzigen Star, der wie gewohnt sein Pensum abruft und abliefert.

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Der Frust hat merklich zugenommen bei Green, einem künftigen Hall of Famer, dessen Genialität auf dem Hartholz aber mehr und mehr von seiner ungehobelten Rohheit verschluckt zu werden scheint. Seine strahlende Geschichte, vom gemiedenen Zweitrundenpick, zum Zufallsstarter während seiner zweiten Saison, zum All-Defensive Ass und vierfachen Champion, sucht ihresgleichen. Die dunklere Seite ist es, die Grund zur Sorge gibt. Niemand weiss genau, was ihn abseits vom Basketball belastet. Der Klub hält sich hier gewohnt bedeckt, um seinen Spieler und die Privatsphäre zu schützen. Aber im Gegensatz zu früher, als ihn respektable Teamkollegen wie Andre Iguodala, Shaun Livingston oder ex-Präsident Bob Myers erreichen und beruhigen konnten, fehlt es mittlerweile gänzlich an Bezugspersonen. Niemand scheint mehr einen echten Draht zu ihm zu haben - nicht einmal Curry.

Vor zwei Jahren, während Golden States bis dato letzter Championship-Saison, standen die Kalifornier Mitte Dezember bei einer Bilanz von 24 Siegen und fünf Niederlagen. Am Ende wurden sie Dritter im Westen und gewannen vier Playoff-Serien in Folge, inklusive 16 Siegen aus 22 Partien auf dem Weg zu Titel Nummer vier. In dieser Saison lautete die Bilanz zum selben Zeitpunkt (16. Dezember): zehn Siege, 14 Niederlagen, Rang elf im Westen. Damit platziert Golden State noch außerhalb der Play-In Ränge. Niemand weiß, wie lange Green ausfällt, ob sich etwas verändern wird, oder ob sein nächster Ausraster der vielleicht letzte im Warriors-Dress und in der NBA überhaupt sein könnte. Es gibt Szenarien, in denen der Big Man geläutert zurückkehrt und dem Team dank seines Feuers und Fokus in der zweiten Saisonhälfte hilft, den Schalter umzulegen. Wenn sie in Topform agieren, sind Green und diese Dubs dank Curry immer noch in der Lage, die Liga in Grund und Boden zu spielen. Die Wochen um die Jahreswende werden entscheidend - für Green persönlich, genauso wie für diese Golden State Warriors, wie wir sie alle kannten.

Quelle: ntv.de

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