Sport

Trauer um Hansi Schmidt Der unvergessene "König der Westfalenhalle" ist tot

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Hansi Schmidt gewann 1971 den Europacup - in der Westfalenhalle gegen seinen Ex-Klub Steaua Bukarest

(Foto: imago images/Horstmüller)

Handball-Deutschland trauert um eins seiner größten Idole: Hansi Schmidt ist tot. Der Rückraumspieler elektrisiert zu seiner Zeit die Massen, beim VfL Gummersbach wird er zu einem der besten Spieler seiner Zeit. Nicht nur auf dem Parkett ist Schmidt Teil der bundesdeutschen Geschichte.

Es hätte eine späte Anerkennung für ein großes, nicht nur sportliches Lebenswerk werden sollen: "Die Ehrung mit der Goldenen Stadtmedaille in Sonderprägung bedeutete ihm viel. Er ahnte, dass seine schwere Erkrankung eine Verleihung zu Lebzeiten nicht mehr zuließ", verkündete Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein am Wochenende. Hansi Schmidt, eines der größten Handball-Idole des Landes, starb in der Nacht auf Sonntag. Die Erinnerungen an ein großes deutsches Sportlerleben bleiben lebendig.

Geboren wurde Hans-Günter Schmidt in Rumänien, als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit der Banater Schwaben. 18 Länderspiele machte Schmidt für Rumänien, von einer Reise mit der Nachwuchsnationalmannschaft nach Köln kehrte der damals 21-Jährige 1963 nicht mehr zurück in das Land - und schloss sich dem VfL Gummersbach an. Mit dem Armeeklub Steaua Bukarest war er 1963 rumänischer Meister geworden, doch im Oberbergischen begann mit Schmidts Ankunft eine Ära: Der Provinzklub stieg zum erfolgreichsten Handballverein der Welt auf. Siebenmal wurde der Klub mit dem Regisseur und Torjäger Schmidt deutscher Meister, viermal gewann man gemeinsam den Europapokal der Landesmeister.

"Unbeschreibliche Szenen in der Westfalenhalle"

"Der Deutsche Meister VfL Gummersbach hat mit seinem Europapokalsieg über Dukla Prag den absoluten Höhepunkt seiner Vereinsgeschichte erreicht. 12.000 Zuschauer, darunter rund 8000 aus dem Oberbergischen, sahen in der bis auf den letzten Platz gefüllten Dortmunder Westfalenhalle den Sieg des VfL", schrieb die "Kölnische Rundschau" 1967 anlässlich des ersten europäischen Triumphs des VfL Gummersbach. "In der Westfalenhalle spielten sich unbeschreibliche Szenen ab, als die Schlusssirene ertönte. Der Anhang des Meisters stürmte das Spielfeld und schien es nicht wieder freigeben zu wollen. Blauweiße Fahnen wirbelten über den Köpfen der Menge, die Spieler wurden auf die Schultern gehoben."

Schmidt hatte mit seinem gefürchteten, von ihm geprägten verzögerten Sprungwurf quer durch die Runden für Angst und Schrecken gesorgt. Ein probates Mittel dagegen fanden die gegnerischen Abwehrreihen über Jahre kaum. Was damals niemand ahnt: Es war nicht der Höhepunkt, es war nur der Beginn einer Ära. Noch viermal kehrte der VfL Gummersbach für große europäische Handballfeste in die riesige Halle zurück, Schmidt wurde zum "König des Westfalenhalle". 1971 holte der Klub den dritten von vier Europacup-Siegen der Ära Schmidt - im Finale gegen dessen Ex-Klub Steaua Bukarest.

1.404 Tore in 226 Bundesliga- und Europapokaleinsätzen für den VfL, dazu 484 Tore in 98 Länderspielen für Deutschland - Hansi Schmidt prägte den Handball der 1960er und 70er. Für den einstigen Bundestrainer Vlado Stenzel war der 1,96 Meter-Hüne "einer der besten Spieler der Welt" zu seiner Zeit. "Mit Hansi Schmidt verliert der VfL Gummersbach einen der prägendsten und erfolgreichsten Weggefährten seiner Vereinsgeschichte", schrieb sein Klub am Sonntag. Fünfmal in Serie wurde Schmidt ab 1967 Torschützenkönig der Bundesliga. Um sich selbst machte der Torjäger kein großes Aufhebens: "So wichtig bin ich ja gar nicht, man hat mir von allen Seiten der Mannschaft den Ball immer zugespielt. Nun erwarteten alle, dass ich daraus ein Tor mache", sagte Schmidt im Zuge der Vorstellung seiner Biografie im Jahr 2006.

Unvollendete Nationalmannschaftskarriere

Schmidts Länderspielkarriere blieb bei all seinen überragenden Erfolgen mit dem VfL Gummersbach unvollendet, weil er die Olympischen Spielen 1972 aus Protest gegen die Aufstellungspolitik von Bundestrainer Werner Vick boykottierte. Vick hatte zu Gunsten des Altstars Herbert Lübking, der sich kurz zuvor für einen lukrativen Wechsel in die Kreisliga entschieden hatte, unter anderem auf Schmidts Gummersbacher Kollegen Jochen Brand verzichtet. "Eine deutsche Handball-Nationalmannschaft ohne Hansi Schmidt ist eine Unmöglichkeit. Das ist ein schlechter Witz", schimpfte Horst Singer vom Gummersbacher Konkurrenten Frisch Auf Göppingen damals. "Auf der ganzen Welt gibt es keinen Spieler, der so wirft wie er. Nur mit seiner Wurfkraft hätte die Bundesrepublik in München eine Chance auf eine Medaille."

Die deutsche Auswahl wurde in München am Ende Sechster. Sechs Jahre später, als die DHB-Auswahl in Kopenhagen mit zahlreichen Gummersbachern sensationell zum ersten Mal Weltmeister wurde, hatte Schmidt seine große Laufbahn bereits beendet. Rumänien, für das Schmidt bis zu seiner Flucht 1963 aufgelaufen war, war im Frühjahr 1964 Weltmeister geworden.

Einen gewaltigen Abdruck in der Geschichte des DHB hat der langjährige Kapitän der Nationalmannschaft dennoch hinterlassen: 1970 erzielte Schmidt 13 der 19 deutschen Treffer gegen Jugoslawien, der Rekord hatte beinahe vier Jahrzehnte Bestand: Erst 2009 traf Christian Schöne öfter im DHB-Dress in einem Spiel (17 Tore gegen Bulgarien). Kein anderer deutscher Spieler mit weniger als 100 Länderspielen traf so oft für Deutschland, wie Hansi Schmidt.

"Sagte dem Botschafter seine Meinung"

Ein großer Demokrat erinnerte Schmidt derweil nicht nur sportlich als einen großen Deutschen. "Er gehört für mich zu den großen Figuren des deutschen Sports", schrieb der ehemalige Innen- und Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Schmidt-Biografie "Hansi Schmidt - Weltklasse auf der Königsposition". Unvergesslich sei für ihn ein Handballspiel in der Westfalenhalle, "wo Deutsche und Rumänen sich gegenüberstanden. Hansi Schmidt kam in die Loge zusammen mit dem damaligen rumänischen Botschafter. Hansi Schmidt sagte dem Botschafter ohne jeden Umschweif, mit großem Ernst, aber keinesfalls provozierend, seine Meinung über das kommunistische Regime in Rumänien. Seitdem gelten mein Respekt und meine Verbundenheit nicht nur dem großen Sportler Hansi Schmidt, sondern auch dem Bürger und Demokraten, der die Freiheit liebt und der von der Freiheit des Wortes Gebrauch zu machen weiß." Schmidt selbst sagte 2002 anlässlich seines 60. Geburtstags: "Ich habe immer leistungsbezogen agiert, aber mich auch zu Dingen geäußert, die außerhalb des Sports lagen."

Nach Rumänien konnte Schmidt lange nicht zurückkehren: Als Angehöriger des rumänischen Militärs galt sein Absetzen von der rumänischen Mannschaft damals 1963 in Köln als Fahnenflucht. In Abwesenheit wurde er zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, 1969 wurde der Weltklassehandballer schließlich aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen - eine Ausreise auch seiner Familie wurde jedoch nicht bewilligt. Hans-Dietrich Genscher, damals Innenminister der Bundesrepublik, bemühte sich seinerzeit über verschiedene Emissäre, dass auch die Eltern des Sportlers, als auch die Familie seiner Schwester das Land verlassen dürften.

Ceausescu entscheidet über das Schicksal der Familie

Erst im Dezember 1974, so erinnerte sich der damalige deutsche Verhandlungsführer Dr. Heinz-Günther Hüsch, habe die rumänische Seite signalisiert: "Wir haben den Fall, weil Sie das wünschen, dem Generalsekretär Nicolae Ceausescu vorgelegt. Nur er entscheidet darüber. Wie er entscheidet, wissen wir nicht. Es kann sein, dass es eine allgemeine Amnestie gibt. Es könnte auch eine spezielle Amnestie werden. Das liegt jetzt beim Präsidenten. Aber wir sichern Ihnen zu: Es liegt ihm vor." Offenbar hatte der blutrünstige Diktator Ceausescu die deutschen Wünsche durchgewunken, Schmidts Familie durfte - nach Zahlung einer Ablöse für die Aussiedler - ausreisen.

Das bundesdeutsche Handball-Idol hatte da längst seine neue Heimat gefunden, Gummersbach verließ er nie wieder auf Dauer. Seine "zweite echte Heimat", wie Schmidt Gummersbach nannte, verlieh ihm 2006 "in Würdigung seiner herausragenden sportlichen Leistungen" die Kleine Goldene Stadtmedaille, für den Europapokalsieg 1967 hatte ihn die Bundesrepublik mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung für Persönlichkeiten des Sports. Anlässlich seines 75. Geburtstags 2017 ernannte ihn auch der Gemeinderat seines rumänischen Geburtsortes Marienfelde zum Ehrenbürger.

In Gummersbach, wo er vor Jahrzehnten das sportliche und private Glück fand, starb Hansi Schmidt nun im Kreise seiner Familie. Schmidts Wunsch nach einer Gedenkfeier ihm zu Ehren, so heißt es vom Bürgermeister, werde er in enger Abstimmung mit seiner Familie und dem VfL "selbstverständlich erfüllen".

Quelle: ntv.de

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