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Ein Olympia-Drama mit Ansage Der zerstörerische Show der Sofia Goggia

Sofia Goggia hat es mal wieder übertrieben.

Sofia Goggia hat es mal wieder übertrieben.

(Foto: imago images/ZUMA Press)

Sofia Goggia fährt stets am Limit - und oft darüber hinaus. So raste die Italienerin 2018 zu Olympischem Gold in der Abfahrt, und so wollte sie sich nun in China erneut die Krone in der Königsdisziplin aufsetzen. Aber ob sie überhaupt starten kann, ist offen. Weil sie es mal wieder übertrieb.

Es hat diese olympischen Wunder ja schon gegeben. Der gnadenlose Österreicher Hermann Maier hatte so eines geschafft. Bei den Spielen 1998 im japanischen Nagano war der Mann, der das Risiko im alpinen Skisport mit seiner Kopf-und-Kragenlosigkeit neu definiert hatte, in der Abfahrt auf eine so gnadenlose Weise abgeflogen, dass den TV-Kollegen aus der Alpenrepublik in der Liveberichterstattung nichts anderes einfällt, als sekundenlang "Um Gottes Willen" zu flehen. Tatsächlich steht für ein paar bange Momente zu befürchten, dass Maier schwer, schwerst oder gar lebensgefährlich verletzt ist. Doch Maier, dieser Monsterathlet, kommt fast unverletzt davon – und schreibt seine Heldengeschichte wenige Tage später fort: Maier gewinnt Gold im Super-G und Riesenslalom.

Ob und welche Geschichte über die so wagemutige Sofia Goggia in ein paar Wochen erzählt werden wird, das ist seit diesem Sonntag wieder völlig offen. Eigentlich lagen für die Italienerin bereits die ganz großen Hymnen zum Singen bereit (und wohl niemand besingt seine Helden herzzreißender und emotionaler als die Italiener), doch dann knallte die 29-Jährige im Super-G brutal in den Schnee. Der Speedqueen verschlug es beim Heimrennen in Cortina d’Ampezzo die Beine, nachdem sie Momente zuvor schon in Turbulenzen war. Aber Goggia wäre nicht Goggia, wenn sie nach diesem Schrecken das Risiko minimiert hätte. Sie hielt den Ski auf der brutalsten Spur – und wurde bestraft. Die Bilder, die sie lieferte, sie waren nicht so schockierend wie einst jene von Maiers Abflug. Aber sie verhießen nichts Gutes. Wer auf Entwarnung hoffte, weil sie wenig später auf Skiern ins Ziel abschwang, der wurde am Abend nur zum Teil erlöst.

Eine ganz, ganz bittere Diagnose

Die Diagnose für die Dominatorin dieses Winters: Kniegelenk verstaucht, Kreuzband angerissen, ein "kleiner Bruch" im Wadenbein. Der Traum von der Titelverteidigung in der Olympia-Abfahrt, der Traum vom Speed-Double (Abfahrt und Super-G) hängt nun, wenn man so will, am seidenen Band. "Olympische Winterspiele auf der Kippe, Italien bangt um Super-Sofia", überschrieb der "Corriere dello Sport" seinen sorgenvollen Text. "Tuttosport" versuchte sich dagegen an einem nationalen Mutmacher. Noch sei nichts verloren, noch sei "das Wunder möglich." Goggia, das war (oder ist) die größte Medaillenhoffnung im Land. Zu dominant beherrscht sie seit Jahren die beiden schnellsten alpinen Disziplinen. Bisweilen dringt sie mit ihrem Ski-Spektakel in die Sphären der legendären US-Amerikanerin Lindsey Vonn vor. Die war irgendwann so überlegen, dass sie sich lieber mit den Männern in einem echten Rennen duelliert hätte. Und so stellt sich auch bei Goggia im Starthaus mittlerweile oft genug nur noch die Frage: Wer wird die Beste vom Reste? Besonders eben in der Abfahrt.

Fünf Rennen gab es in dieser Saison bereits in der schnellsten Disziplin des Weltcups. Und immer wenn Goggia das Ziel erreicht hat, stand sie ganz oben auf dem Stockerl. Vier Mal war das. In Zauchensee haute es sie raus. Wieder einmal hat sie das Risiko nach einer wilden Fahrt zu sehr herausgefordert. Sie kennt nur einen Modus: Angriff. Das Limit als Mahnung? Verfängt nicht nachhaltig bei ihr. Dass sie in Zauchensee am Tag nach dem Sturz im Super-G 19. wurde, womöglich doch ein Moment des Innehaltens? Eher nicht. Die "Neue Züricher Zeitung" schrieb vor ein paar Jahren mal: Wenn Goggia stürzt, greift sie gedanklich zum Radiergummi. So ist es wohl. In Cortina triumphierte sie nur eine Woche später in der Abfahrt nach einem wilden Harakiri. Nur dank ihrer herausragenden akrobatischen Fähigkeiten hatte sich sie zwischenzeitlich auf ihren Skiern halten können, ohne offensichtlich noch die Kontrolle über die Bretter zu haben. Was für ein Ritt. Zum Glück war er gut gegangen.

Goggia nimmt den Kampf auf

Der Lerneffekt? Gleich Null. Kaum war das Glück eingefangen, wurde es auch schon wieder herausgefordert. Und so wird ein Start bei den Olympischen Spielen in Peking zu einem medizinischen Krimi. Am 11. Februar wird der Super-G ausgetragen (dort ist sie zwar auch Favoritin, hat aber deutlich mehr Konkurrenz), vier Tage später steht die Abfahrt an. Eigentlich unvorstellbar, dass die 29-Jährige mit ihrem medizinischen Bullentin am Start stehen kann. "Das ist ein Rückschlag, den ich in einer so wichtigen Phase der Saison nicht haben wollte", teilte Goggia noch aus dem Krankenhaus mit, doch sie werde alles geben, um "den Titel in der Disziplin zu verteidigen, die ich am meisten liebe." Das gelang in der Abfahrt bislang nur der deutschen Ski-Legende Katja Seizinger (1994/98).

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Das nun drohende Aus? Es wäre ein bitteres Deja-vu für die Italienerin, nachdem sie im vergangenes Jahr ein arg seltsames Missgeschick in Garmisch-Partenkirchen 2021 um die Heim-WM in Cortina gebracht hatte. Weil der Super-G abgesagt worden war, tobte sich Goggia mit ihren Teamkolleginnen auf einer schnöden Touristenpiste aus. Äußerst fix unterwegs, prallte sie auf der Talabfahrt, auf dem Weg ins Hotel, in einen weichen Haufen im tieferen Schnee. Das Schienbein war kaputt, die Heim-WM verlor ihre prominenteste Protagonistin. Eigentlich hatte sie aus diesem so kurzen, so unachtsamen Moment lernen wollen. Sie hatte es in diesem Winter weniger draufgängerisch angehen lassen wollen. Sie hatte ihre kompromisslose Risikoabwägung neu justieren wollen. Ihre Karriere hatte bereits zuvor reichlich Anlass zu einem Umdenken gegeben. Immer mal wieder hatte sich Goggia im Fangzaun verheddert. Mal mehr, mal weniger schwer verletzt. Das Kreuzband erwischte es schon mehrfach, den Oberschenkel, das Schienbein, den Arm.

An diesem Samstag bei der Heimabfahrt in Cortina triumphierte sie nach dem Unfall in Zauchensee auch "mit 60 Prozent", wie sie nach dem Rennen bekannte. Also warum immer dieses maximale Risiko? Hermann Maier sagte einmal im Rückblick auf seinen Jahrhundertsturz: "Ich wollte das Rennen unter allen Umständen gewinnen. Ich war so gierig danach, vor allem weil ich die ganze Saison schon dominiert habe." Es sind Gedanken, die man auch Goggia ohne jeden Zweifel zutraut...

Quelle: ntv.de

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