Bahnrad-WM in Manchester Deutschland desolat
28.03.2008, 13:48 UhrDie Weltspitze enteilt, die Strukturen veraltet und für Olympia keine Besserung in Sicht: Der einstmals so ruhmreiche deutsche Bahnradsport präsentiert sich bei den Weltmeisterschaften in Manchester in einem desolaten Zustand und spielt im "Konzert der Großen" nur noch die zweite Geige. Immerhin herrscht im oftmals so zerstrittenen deutschen Lager Einigkeit in einem Punkt: "So kann es nicht mehr weitergehen", heißt es unisono von Aktiven wie Funktionären.
Ein Neuanfang nach der WM, spätestens in fünf Monaten nach Olympia, ist quasi unumgänglich. "Wir müssen uns mal alle an einen Tisch setzen und die Probleme ausdiskutieren. Wir müssen gucken, was die anderen Mannschaften anders machen und einen Vier-Jahres-Plan aufstellen", fordert Bartko, nachdem er sowohl in der Einer- als auch in der Mannschaftsverfolgung mit schwachen Leistungen das Peking-Ticket verpasst hatte. So wird erstmals seit 1952 kein Vierer und erstmals seit 1968 kein Einerverfolger bei den Sommerspielen starten.
Große Worte, keine Folgen
Eine große Analyse müsse gemacht werden, heißt es auch von BDR-Sportdirektor Burckhard Bremer. Neue Strukturen müssten her. Töne, die auch schon vor Jahresfrist nach der bescheidenen WM-Ausbeute auf Mallorca (1x Silber, 1x Bronze) angeschlagen wurden - denen aber keine Taten folgten. "Eine Kommunikation hat danach nicht stattgefunden", räumt Bartko ein.
Gab es für Bartko und Co. die Höchststrafe, haben die Sprinter wenigstens ihr Minimalziel - sprich die Olympia-Teilnahme - erreicht. Doch eitel Sonnenschein herrscht bei den schnellen Männern keineswegs. War die von den Fahrern geforderte Absetzung von Bundestrainer Detlef Uibel im letzten Jahr noch gescheitert, so ist dieser Plan keineswegs vom Tisch.
"Kleine Revolution"
"Bis Olympia ziehen wir das jetzt noch durch. Danach gibt es beim BDR sowieso eine kleine Revolution", prophezeit der frühere Junioren-Weltmeister Maximilian Levy, und WM-Neuling Rene Enders beschreibt das angespannte Verhältnis zu Uibel wie folgt: "Ich habe mir vor ein paar Monaten das Sommermärchen angesehen und war beeindruckt, wie Klinsmann die Spieler heiß gemacht hat. Ich hätte auch gerne mal einen Bundestrainer, der die Fahrer motiviert."
Ein Trainerwechsel ist bei Bremer ("Uibel hat seine Kompetenzen bewiesen") derzeit kein Thema. Ein Patentrezept wäre dies sowieso nicht, wie der Wechsel von Bernd Dittert zu Uwe Freese bei den Verfolgern vor gut zwei Jahren zeigt.
Dass es auch anders geht, zeigen die Briten, die mit dem Vierer einen Fabel-Weltrekord (3:56,322) aufstellten. Oder auch der frühere DDR-Erfolgscoach Heiko Salzwedel bei den Dänen, die Silber gewannen. "Als ich hier angefangen habe, waren das alles hoffnungslose Fälle. Aber hier herrscht eine unglaubliche Einstellung. Ein verrückter Trainer, der ein hartes Trainingsprogramm aufstellt und verrückte Fahrer, die das umsetzen", erklärt Salzwedel, der mit einem Mini-Budget von 150.000 Euro pro Jahr auskommen muss. Zum Vergleich: Der BDR machte mal eben 100.000 Euro zusätzlich für die Weltcups in Sydney und Peking locker.
Männer schlecht, Frauen noch schlechter
Noch schlimmer als im Männer-Bereich sieht es bei den Frauen aus. Erstmals seit Einführung der olympischen Frauen-Bahn-Wettbewerbe 1988 ist aller Voraussicht nach keine deutsche Athletin in Peking am Start. "Die anderen Nationen machen Sprünge, wir machen Schritte", rätselte Verena Joos, nachdem sie in der 3000-m-Einerverfolgung das China-Ticket verpasst hatte. So reduziert sich die deutsche Olympia-Reisegruppe wie bei den zehn kleinen Negerlein von Tag zu Tag.
Immerhin ist die Stimmung unter den Sportlern entgegen den vergangenen Jahren keineswegs vergiftet. "Der Zusammenhalt in der Gruppe ist unglaublich", sagt die Teamsprint-Dritte Miriam Welte, und Daniel Becke, der schon so manchen Kleinkrieg mit Bartko ausgefochten hat, ergänzt: "Für viele geht es um Existenzielles. Hier weiß jeder, was die Stunde geschlagen hat."
von Stefan Tabeling, sid
Quelle: ntv.de