Konzeptkrieg und Egotrips Deutschland schrumpft zum Schwimmzwerg
26.10.2017, 20:01 Uhr
Henning Lambertz ist seit 2013 Schwimm-Bundestrainer und will mit neuen Konzepten zu mehr Medaillen kommen.
(Foto: imago/Eibner)
Der deutsche Schwimmsport ist an einem historischen Tiefpunkt: nur eine Medaille bei der Weltmeisterschaft, keine bei den Olympischen Spielen. Der Bundestrainer muss Ergebnisse liefern und kämpft mit einem schwer justierbaren System.
"Das kann's eigentlich nicht sein!" Selbst Bundestrainer Henning Lambertz bekommt schlechte Laune, wenn er auf die miserable Medaillen-Ausbeute bei den letzten internationalen Meisterschaften blickt. Die schlechten Ergebnisse haben dem gesamten Schwimmsport, aber allen voran ihm selbst, viel Kritik eingebracht. Neue Konzepte sollen eigentlich helfen, doch die sind umstritten und schwer durchzusetzen. Öffentlich ausgetragene Streitigkeiten erzeugen immer wieder Unruhe. Niedrige Fördersummen lassen die internationale Konkurrenz weiter davonschwimmen und immer mehr drängt sich die Frage auf, ob der allgegenwärtige Anspruch, Medaillen gewinnen zu müssen, im Schwimmsport noch zeitgemäß ist.

Brustschwimmer Marco Koch, rechts, hat bei der WM in Budapest 2017 offensichtlich ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen.
(Foto: imago/Aleksandar Djorovic)
Für Lambertz als Bundestrainer sind Medaillen konsequenterweise weiter das Ziel. Auch deshalb hat er 2013 das Amt übernommen. Zunächst wirkten seine neuen Ideen und Konzepte: mehr Finalteilnahmen bei internationalen Meisterschaften als zuvor. Doch dann kamen die desaströsen Spiele von Rio de Janeiro und alles musste anders und besser werden. Doch wo anfangen, wenn alles in Scherben liegt? Lambertz beratschlagte sich mit Trainerkollegen und Experten. Unter anderem entsteht ein neues "Kraftkonzept". Allein schon die optische Beurteilung der deutschen Schwimmer neben den erfolgreichen Muskel-Modell-Athleten aus dem Ausland erweckte mitunter den Eindruck, als hätte sich einer von beiden im Schwimmbecken geirrt. Mehr Kraft soll es also sein.
Doch schon da wartet das nächste Problem auf den Bundestrainer. "Konzepte schreiben ist schön und gut, aber wir müssen jetzt genau überprüfen, ob diese Konzepte auch umgesetzt werden," sagt Lambertz im Gespräch mit n-tv.de. Denn das Konzept ist nicht unumstritten und Schwimmtrainer sind hierzulande in nur wenigen Fällen Angestellte des nationalen Verbands. Sie arbeiten als Angestellte der Vereine oder der Landesverbände - der direkte Dienstvorgesetzte ist Lambertz dann nicht. Eine weitere Erkenntnis aus den Expertenrunden ist daher, dass die Trainingsstandorte der Spitzenathleten auf eine Handvoll Stützpunkte in Deutschland zentralisiert wurden. Dadurch will Lambertz unter anderem die Sportler unter den direkt beim Deutschen Schwimm-Verband angestellten Trainern reihen.
Interne Streitigkeiten stehen im Fokus
Doch das stößt bei den Sportlern nicht immer auf Begeisterung, berichtet der Aktivensprecher der Nationalmannschaft, Jacob Heidtmann. "Wer dadurch viel verändern muss" - beispielsweise ein Wohnort- oder Trainer-Wechsel - "der ist da natürlich erst mal kritisch". Längst sind nicht alle Kaderathleten an die zentralen Bundesstützpunkte gewechselt. Schlagzeilen macht der Deutsche Schwimmsport in regelmäßigen Abständen zuletzt nur mit internen Streitigkeiten. Erst bei den Weltmeisterschaften im Sommer in Budapest kracht es zwischen Medaillenaspirant Philip Heintz und dem Bundestrainer.
Heintz wird über 200 Meter Lagen Siebter, bleibt auch hinter den eigenen Erwartungen zurück. Einen Schuldigen findet der 26-Jährige schnell: Der Bundestrainer habe den Quali-Zeitpunkt für die WM falsch gelegt. "Jetzt bin ich hier nicht bei den 100 Prozent, die ich gerne gehabt hätte", sagte Heintz bei den Weltmeisterschaften. "Sachlich betrachtet sind die Streitigkeiten keine fundamentale Kritik, die den Schwimmsport revolutionieren - es sind einfach häufig individuelle Probleme", sagt Heidtmann, der selbst seit 2014 Mitglied der Nationalmannschaft ist, in Gesamtbetrachtung der öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten.

Jacob Heidtmann will als Aktivensprecher die Kommunikation im Verband verbessern.
(Foto: imago/Bernd König)
"Interne Kritik ist gerade jetzt unglaublich wichtig. Die Sportler wissen teilweise gar nicht, dass ihre Meinung auch im Verband gefragt ist", sagt der 22-jährige Aktivensprecher aus Hamburg im Gespräch mit n-tv.de. Allgemein herrsche in den Reihen der Athleten jedoch eine grundsätzliche Zustimmung, was neue Maßnahmen und Konzepte angeht. "Keiner ist momentan zufrieden, das ist logisch, aber aus der Position jetzt haben wir eine riesige Chance, was zu bewegen", so Heidtmann. Einstimmigkeit herrscht im deutschen Schwimmsport und nicht nur da, was die Förderung im Vergleich mit anderen Nationen angeht. Für alle Sportarten beläuft sich der Anteil im Bundeshaushalt auf etwa 160 Millionen Euro, so Bundestrainer Lambertz. "Das ist circa das Budget einer Universität in Texas. Da frage ich mich schon, wie wir sowas auffangen sollen."
Druck unverhältnismäßig hoch

Der US-amerikaner Caeleb Dressel gewann bei der WM in Budapest allein sieben Goldmedaillen.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Das führt vor allen Dingen dazu, dass die Breite an guten Schwimmern in Deutschland fehlt und, wenn überhaupt, nur Einzelathleten der Sprung an die Weltspitze gelingt. Wenn die, so wie zuletzt Olympiasiegerin Britta Steffen oder Weltmeister Paul Biedermann, ihre Karriere beenden, werden die medaillenlosen Folgen besonders spürbar. Schwimmer, denen es nicht unmittelbar gelingt, an die Weltspitze vorzudringen, haben häufig enorme Probleme, ihren Sport zu finanzieren. Viele müssen ihr Trainingspensum zurückschrauben oder springen ganz ab. Für die verbliebenen Schwimmer in der Nationalmannschaft ist der Druck dann unverhältnismäßig hoch. Vor diesem Hintergrund wirbt der Aktivensprecher Heidtmann auch um eine realistischer Einschätzung der Zuschauer: "Es muss einfach irgendwie in die Köpfe, dass die Schwimmer da im Fernsehen ihr Bestes geben und sich den Arsch aufreißen. Die schwimmen nicht absichtlich schlecht!"
Und dennoch werden auch die vom Verband ausgelobten Ziele zuletzt reihenweise verfehlt. "Teilweise definieren wir Ziele, die nur mit sehr viel Glück zu erreichen sind. Das wissen auch wir," sagt Lambertz. Doch der Schwimmsport sei logischerweise auch aufgefordert, sich zu verbessern, sonst würde die verbliebene Förderung infrage gestellt werden.
Im nächsten Jahr ist Halbzeit auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. Traditionell ist das ein Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz. Die Konzepte mögen gut sein, dennoch sind sie umstritten. Vor allem aber kämpft der Bundestrainer damit, seine Ideen durchzusetzen, auch weil er strukturbedingt vielen Trainern keine direkten Anweisungen geben kann. Und doch wird Lambertz am Ende Medaillen liefern müssen, um den Schwimmsport in Deutschland vor dem Untergang in der Bedeutungslosigkeit zu retten.
Quelle: ntv.de