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Daheim so schlecht wie 1984 Die Kraftmeierei macht Klopps Team mürbe

Hatte zuletzt eher weniger zu lachen: Jürgen Klopp.

Hatte zuletzt eher weniger zu lachen: Jürgen Klopp.

(Foto: picture alliance/dpa/PA Wire)

Drei Spiele ohne Tor: Es ist lange her, dass der FC Liverpool im heimischen Anfield so harmlos war. Das große Ziel, die englische Fußballmeisterschaft zu verteidigen, rückt bedrohlich weit in die Ferne. Auch, weil der große Konkurrent Manchester City einen imposanten Lauf hinlegt.

Die allerletzte Ansprache, das Heißmachen, das Einschwören auf 90 Minuten: Bei den meisten Teams ist das die Aufgabe des Trainers. Nicht beim FC Liverpool. Dort hält Jürgen Klopp sich zurück: "Dieser 'Trash Talk' vor dem Spiel, der muss sitzen. Da kannst du dir nicht einen zurechtstolpern", gibt der Trainer in einem Interview mit "Spox" und "Goal" zu. Die erfahrenen Spieler heizen in der Kabine ein.

Dass es zurzeit sehr viel zu erzählen gibt, liegt auf der Hand. Denn Klopps Mannschaft trifft zu Hause das Tor nicht mehr. 350 Premier-League-Minuten ist es inzwischen her, dass die "Reds" einen Treffer an der heimischen Anfield Road erzielten. Drei Spiele ohne eigenes Tor: Für ein Klopp-Team sowieso eine lange Zeit, beim FC Liverpool gab es das seit Ende 1984 nicht mehr.

Gleich im zweiten Heimspiel des Kalenderjahres riss die phänomenale Heimspiel-Serie. Beim 0:1 gegen den Abstiegskandidaten Burnley verloren die "Reds" zum ersten Mal seit 1370 Tagen zu Hause ein Premier-League-Spiel. Für Klopp ein "Schlag ins Gesicht". Nicht unbedingt wegen der beendeten Serie, eher wegen des Spielverlaufs. 26:7 Schüsse und knapp 72 Prozent Ballbesitz - der Trainer sagte selbst, dass es eigentlich "unmöglich" war, dieses Spiel zu verlieren.

Körperlich und geistig ausgelaugt

Noch schlimmer wurde es zwei Wochen später. Bei der 0:1-Pleite gegen Brighton sprachen nicht mal mehr die Statistiken für den englischen Meister. Sie schossen sogar seltener aufs Tor, als der Abstiegskandidat. Auf Klopp "wirkte das Team - und es ist lange her, dass wir so ausgesehen haben - müde, geistig müde, und das führt auch zu nicht den besten Beinen". Zwischen den Niederlagen lag noch eine Heim-Nullnummer und das FA-Cup-Aus. Beides gegen Manchester United.

Auffallend ist, dass auf dem Platz fast immer das gleiche Personal steht. Die aktuelle Verletztenmisere macht eine sinnvolle Belastungssteuerung auf hohem sportlichen Niveau schwer. Nach Jahren des arbeitsintensiven Tempo-Fußballs sind die Spieler mürbe. Im eng getakteten englischen Pandemie-Fußballkalender haben nach bisher 22 Premier-League-Spieltagen acht Spieler mehr als 18 Einsätze auf dem Konto, dazu kommen Einsätze in den diversen englischen Pokalwettbewerben und der Champions League. Das Erfolgstrio aus Sadio Mané, Mohamed Salah und Roberto Firmino verpasste jeweils maximal drei Ligapartien. Alle drei schwächelten zuletzt gerade im Abschluss. Ersatzmann Diogo Jota begann furios (fünf Tore in neun Spielen), fehlt aber seit Anfang Dezember verletzt.

All das weckt (wage) Erinnerungen an Klopps letzte BVB-Saison. Auch damals wechselte der Meistertrainer innerhalb seiner Startelf wenig. Zwar wurde, der Verzweiflung geschuldet, taktisch mehr variiert, hin und wieder wich er von seinem angestammten 4-2-3-1 ab, doch die Last trugen fast immer die Gleichen. Beispielsweise Pierre-Emerick Aubameyang verpasste in den Saisons 13/14 und 14/15 nur fünf der 99 Pflichtspiele. Rio-Weltmeister Kevin Großkreutz spielte im vorletzten Klopp-Jahr 50 der 51 Partien. Damals forderte das kraftraubende Gegenpressing seinen Tribut: Die Profis waren ausgelaugt vom "Heavy Metal Fußball". Trotz der Parallele: Die aktuelle Situation ist bei weitem noch nicht so bedrohlich wie im letzten Dortmund-Jahr, als man im Winter auf dem letzten Tabellenplatz stand.

Knüppeldickes Verletzungspech

Klopp zog seine Lehren aus dem BVB-Ende. Die Spielidee wurde mit "ruhigen" Ballbesitz-Elementen weiterentwickelt. Deshalb wurde in diesem Sommer Thiago Alcantara verpflichtet. Doch nach der Ankunft des Ex-Bayers gab es immer wieder Kritik. Thiago sei körperlich zu schwach, im Spielaufbau zu behäbig und zudem zu oft angeschlagen. Aktuell kämpft Liverpool mit massivem Verletzungspech, besonders die Innenverteidigung ist hart getroffen. Abwehrhüne Virgil van Dijk plagt noch immer sein Kreuzbandriss, sein Partner Joe Gomez ringt mit Knieproblemen. Auch Joel Matip fällt für den Rest der Saison aus.

Die angespannte personelle Situation zwingt Klopp häufig zum Umdenken und lässt nur wenig Rotation zu. Anders als im Meisterjahr konnten Kapitän Jordan Henderson und Fabinho nicht auf ihren Stammpositionen im zentralen Mittelfeld spielen, sie mussten in der stark dezimierten Innenverteidigung aushelfen. Der Niederländer Georginio Wijnaldum wurde so zum Dauerbrenner vor der Defensive. Auch er verpasste insgesamt nur zwei Spiele wettbewerbsübergreifend. Durch die "müden Beine" und das ungewohnte Personal hat der "Maschinenraum" vor der Abwehr an Stabilität eingebüßt. Automatismen ziehen nicht mehr.

Zum Problem wird das dort, wo Liverpool seine größte offensive Power entfacht. Das sind die beiden Flügel. Neben dem magischen Dreieck im Sturm sind deshalb die Außenverteidiger zentral. Sie haben wohl eine der anstrengendsten Aufgaben: Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson decken die Flügel defensiv ab und müssen gleichzeitig nach vorne arbeiten. Beide sind zusammen mit Firmino, Salah und Mané die wichtigsten Vorbereiter, haben jedoch ein immenses Pensum. Robertson verpasste nur drei aller 33 bisherigen Liverpool-Spiele dieser Saison, Alexander-Arnold war für vier Partien verletzt und fehlte insgesamt acht. Durch die instabile Innenverteidigung und das umgestellte Mittelfeld fehlt auch ihre Absicherung. Sie können nicht mehr ohne Weiteres nach vorne marschieren.

Die Meisterschaft? Fast schon abgehakt

Was in der Mannschaft trotz des knüppeldicken Verletzungspechs noch immer steckt, zeigt sich auswärts gegen Top-Mannschaften. Das Duell gegen Tottenham gewannen die "Reds" souverän. Nach der Führung zur Halbzeit gab es gegen unter Zugzwang stehende Spurs deutlich mehr Räume für Firmino und Co. Ähnlich beim Auswärtssieg gegen West Ham United: Erst eine gute Salah-Einzelaktion löste den Knoten, dann fielen Tore nach einem blitzschnellen, perfekt ausgeführten Konter und nach einer sehenswerten Kombination kurz vor Schluss. Dennoch: Das so lange unbezwingbar wirkende Liverpool verlor wettbewerbsübergreifend vier der letzten acht Spiele.

Mit der jüngsten Ergebniskrise gerät auch die Titelverteidigung arg ins Wanken, beinahe schon außer Sicht. Aktuell sind es sieben Punkte und ein Spiel Rückstand auf die Tabellenspitze. Um mit dem aberwitzigen Lauf von Manchester City (wettbewerbsübergreifend 14 (!) Siege in Folge) mithalten zu können, braucht es drei Punkte daheim gegen die "Citizens" (17.30 Uhr im ntv.de-Liveticker). "Sonst hat sich die Sache erledigt", befürchtet Liverpool-Legende Jamie Carragher bei Sky. Es hängt am seidenen Faden. Damit der nicht reißt, muss zunächst das erste Anfield-Tor 2021 her.

Quelle: ntv.de

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