Größtes Sport-Event ohne Sport Die ungezügelte NFL-Gier nach dem Draft-Triumph
27.04.2023, 19:39 Uhr
Fans spielen verrückt beim NFL-Draf 2022.
(Foto: IMAGO/UPI Photo)
Drei Tage Ausnahmezustand: Wenn im NFL-Draft die besten Talente in die Liga gewählt werden, ist kein Superlativ zu groß. Warum verfolgten Millionen ein Sport-Event ohne eine Sekunde Sport? Über allem schwebt das Phänomen Hoffnung - und die Gier auf den nächsten Tom Brady.
Als Europäer im 16. und 17. Jahrhundert in Richtung spätere USA übersetzen, sind sie angetrieben von Glauben und Hoffnung. Glauben an und Hoffnung auf eine bessere Welt. Viele der ersten Entdecker und Siedler erträumen sich, in der "Neuen Welt" ein irdisches Paradies oder gar den wiedergewonnenes Garten Eden zu finden. Derart koloniale Mythen halten sich bis heute in der US-amerikanischen Kultur, die Vereinigten Staaten gelten als das Land der "unbegrenzten Möglichkeiten". Wo sogar das schier Unmögliche möglich wird.
Und genau von dieser Vorstellungskraft handelt der NFL-Draft. In der Nacht auf Freitag beginnt es wieder, das größte Sport-Ereignis der Welt, in dem es keine einzige Sekunde Sport zu sehen gibt. Es geht um die Gier nach dem ganz großen Fang. Die Hoffnung auf eine bessere Welt, in diesem Fall ein Football-Team, das den Super Bowl gewinnen kann. Allen anderen Mannschaften und Widrigkeiten trotzen und mit einer Spielerauswahl die Zukunft einer Franchise, einer Stadt, der ganzen Liga verändern. We believe. Yes, we can!
NFL-Draft Übertragungen bei NITRO & RTL+ im Überblick:
Freitag, 28. April, 0:30 Uhr: Draft Tag 1 im Free-TV bei NITRO und im Livestream auf RTL+
Samstag, 29. April, 0:30 Uhr: Draft Tag 2 im Livestream auf RTL+
Samstag, 29. April, 18 Uhr: Draft Tag 3 im originalen US-Broadcast auf RTL+
Beim NFL-Draft geht es um die einmalige Chance, den nächsten Tom Brady, den nächsten Patrick Mahomes, den nächsten Superstar an Land zu ziehen. An drei Tagen wählen die 32 Ligateams die besten Jungstars aus den College-Mannschaften zu sich in den Kader. Jeder Verein erhält einen Pick in jeder der sieben Auswahlrunden (Miami hat dieses Jahr keinen in der ersten Runde). Die Reihenfolge der Auswahl richtet sich nach der umgekehrten Reihenfolge der Platzierung in der vorangegangenen Saison, jede Runde beginnt mit dem Klub, der die schlechteste Bilanz aufweist und endet mit dem Super-Bowl-Champion. Die Teams können jedoch auch vor und während der Draft-Tage über einen Tausch verhandeln und Draft-Picks (auch die kommender Jahre) oder aktuelle NFL-Spieler tauschen. Sollte also der Wunschspieler eines Teams schon gezogen werden, bevor es an der Reihe ist, ist es möglich, dass Mannschaften ihre hohen Picks live am Draft-Day eintauschen, weil Mannschaften mit Picks von weiter unten Pakete mit Spielern und Picks der nächsten anbieten. Ein herrliches Spektakel: Telefonleitungen glühen jedes Jahr, verrückte Situationen sind vorprogrammiert.
Pokerspiel um Brady und Co.
Der Draft ist ein Pokerspiel. Die Karten werden neu gemischt. Drama, Schicksale, Mythen - ein Glücksspiel mit wahrgenommenen und verpassten Chancen. Und vor allem schwebt über dem Draft das Phänomen Hoffnung. Ein einziger neuer Spieler kann alles verändern. Kann ein gutes Team zu einem Titelaspiranten formen. Kann gar eine Verlierertruppe in einen Super-Bowl-Gewinner verhexen. Das ist Realität. Es passiert immer wieder in der NFL, der besten Football Liga der Welt. Genau deshalb ist der Draft der National Football League so wichtig, verrückt und mystisch. Alles ist möglich, alles ist denkbar. Genauso lieben sie es in den USA.
Natürlich haben die Super-Bowl-Champs Kansas City Chiefs weiterhin Superstars Mahomes in den eigenen Reihen. Doch unabhängig davon, wie die letzte Saison gelaufen ist, nun fangen alle Teams bis zu einem Grad neu an. Der Draft ist die einzige Zeit des Jahres, in der jedes Team glaubt, dass es eine realistische Chance hat, sich zu behaupten. Denn auch wenn etwa die Los Angeles Rams mit Strategie der Trades, also sich Spieler per Tausch gegen andere Spieler oder gegen Draft-Picks, den NFL-Titel holten, bauen die 32 Franchises ihre Teams meistens durch den Draft auf. Und American Football ist eine Sportart, bei der man in nur einem Jahr eine Kehrtwende einläuten kann. Etwa dank dem Auswählen eines - wie sie in den USA sagen - Generational Talents. Das ist schon so oft passiert.
Da ist schließlich die Geschichte von Tom Brady. Der nun in Rente gegangene Superstar-Spielmacher zeigte, was mit dem Draft machbar ist. An der 199. Stelle in der sechsten Runde wurde er 2000 gezogen - und führte die New England Patriots zu sechs und die Tampa Bay Buccaneers zu einem Super-Bowl-Titel. Quarterback-Kollege Aaron Rodgers, der bei manchen als noch talentierter gilt, wurde 2005 von den Green Bay Packers erst als 24. gepickt. Und in der vergangenen Saison machte Youngster Brock Purdy von sich reden, als er als "Mr. Irrelevant", als letzter in Runde sieben gezogener Spieler sein San Francisco 49ers ins NFC Championship Game führte.
Millionen Fans drehen am Rad
Wie viel den Teams die Gier nach dem Superstar bedeutet, zeigt sich in diesem Jahr deutlich. Als schwächstes Team der vergangenen Saison haben die Chicago Bears den ersten Pick, mit dem meist ein Quarterback-Talent ausgewählt wird. Dieses Jahr stechen da etwa Bryce Young (Alabama), C.J. Stroud (Ohio State), Will Levis (Kentucky) oder auch Anthony Richardson (Florida) heraus. Doch weil die Bears an ihren eigenen jungen Quarterback Justin Fields (11. Pick im Draft 2021) glauben, haben sie ihre erste Wahl im diesjährigen Draft zum Tausch angeboten. Die Caronlina Panthers schlugen ein - und geben dafür ihren besten Wide Receiver, D.J. Moore, den Erstrundenpick 2024 und jeweils einen Zweitrundenpick aus 2023 und 2025 ab. Alles für die Hoffnung, den Auserwählten ins Team zu holen.
Aufgrund dieses Strebens nach einem verbesserten Team drehen Millionen von Fans nicht nur an den drei Draft-Tagen, sondern schon lange vorher am Rad. In Mock Drafts, also Probeziehungen, spielen Fans und Experten jedes kleinste Detail durch. Bei den Combine genannten öffentlichen Trainings der College-Talente, wo sie etwa sprinten, springen oder Bälle werfen und fangen, schalten Millionen einen. Das Konzept wurde entworfen von Heerscharen von PR-Leuten - die NFL hat natürlich die besten des Landes -, um die Fans während der Saisonpause auf Trab halten.
Wenn dann schließlich die Ziehung ansteht, wird er zum größten nicht-sportlichen Sportereignis der Welt. Dann knipsen mehr Menschen an den drei Draft-Tagen den Fernseher an - obwohl keine einzige Sekunde Sport über den Bildschirm flimmert - als bei echten Sportevents der anderen US-Ligen. Tausende Fans sind live vor Ort dabei. Verrückt. Die Zuschauerzahlen für den Draft 2022 erreichten zwar ein Fünfjahrestief, aber am ersten Tag schalteten durchschnittlich immer noch gut zehn Millionen ein (2020 waren es 15,6 Millionen). Zum Vergleich: Die NBA-Finals 2022 wurden in den Vereinigten Staaten von durchschnittlich 12,4 Millionen Zuschauern verfolgt. Die Spieler-Ziehung in der NFL gehört jedes Jahr gar sportunabhängig zu den meistgesehenen Sendungen im Frühjahr.
Hoffnung regiert beim NFL-Draft
Die Ziehung der College-Talente wird zu einer Art Reality-TV-Miniserie. Mit vorprogrammierter Action und Drama, denn die Regeln sehen vor, dass jeder Klub nur zehn Minuten Zeit hat, um die möglicherweise richtungsweisenden Auswahl zu treffen. Allein die erste Runde dauert länger als vier Stunden. Und alle wollen dabei sein. Der Draft verbindet die College-Football-Fans und die NFL-Fans. Die ersteren wollen wissen, wohin ihre Lieblingsspieler gehen werden, und die anderen, welche Talente ihr Team besser machen werden.
Wenn in dieser Nacht der NFL-Draft über die Bühne geht, wird die Liga wieder eine riesige PR-Show abfeuern. Und die Fans werden das Drama und das Spektakel lieben. Denn in jedem einzelnen schlummert die tief verankerte Überzeugung, dass wirklich alles möglich ist. Die Hoffnung, dass der eigene Klub den nächsten Superstar an Land zieht - und mit ihm irgendwann die Vince Lombardi Trophy im Super Bowl in den Abendhimmel reckt.
Quelle: ntv.de