Gesundheitsgefährdender Ehrgeiz Die zerstörerischen Triebe des Rafael Nadal
18.01.2023, 11:22 Uhr
Vom Ehrgeiz zerfressen: Rafael Nadal.
(Foto: REUTERS)
Rafael Nadal spielt erst schwach und verletzt sich dann. Am Ende verliert der Titelverteidiger in der zweiten Runde der Australian Open gegen Mackenzie McDonald. Danach gesteht er, dass er schon angeschlagen auf den Platz gegangen war und gibt Einblicke, wie sehr ihm die ständigen Verletzungen zusetzen.
Die Fans in der Rod-Laver-Arena gaben die Hoffnung nicht auf. Auch nicht, als Rafael Nadal sein Aufschlagspiel im dritten Satz zum 5:6 verloren hatte. Zu oft hatte sich der spanische Tennis-Büffel noch aus aussichtslosen Lagen befreit. Nadal abzuschreiben, ist einer der größten Fehler, den man machen kann. Doch an diesem Mittwoch kam es anders. Der 36-Jährige hatte es mit seinem Ehrgeiz übertrieben. Mit unübersehbaren Problemen an der Hüfte humpelte er ab Ende des zweiten Satzes seiner Zweitrundenpartie gegen den Amerikaner Mackenzie McDonald über den Court, kaum noch in der Lage, Bälle aus den Winkeln zu erreichen. Doch aufgeben wollte er nicht.
Und weil er weitermachte, erlebten die Zuschauer in der riesigen Arena eines der seltsamsten Spiele der jüngeren Tennis-Vergangenheit. Bis zum 3:5 aus Sicht von Nadal war es ein spektakuläres Duell. McDonald, die Nummer 65 der Welt, spielte auf einem herausragendem Niveau. Der Spanier hielt dagegen, haderte aber immer wieder mit sich. Alles schon gesehen. Oft mit dem Ende, dass der Tennis-Houdini sich noch befreite. An Marathons auf dem Platz mangelt es in seiner Vita nicht. Doch mit der Verletzung kippte das Spiel in eine bizarre Richtung. Je länger dieses Match dauerte, desto weniger bewegungsfähig wirkte der 22-malige Grand-Slam-Sieger. Seiner Frau Xisca Perelló setzten die bitteren Szenen schwer zu, ihr liefen auf der Tribüne die Tränen herunter.
McDonald verliert plötzlich den Faden
Und auf ebendiesen Tribünen wuchs die angespannte Hoffnung auf die tausendste Heldengeschichte des Spaniers. Von dieser Atmosphäre ließ sich der US-Amerikaner anstecken. Er verlor die Kontrolle über sein Spiel. Wo waren der Mut und die große Überzeugung aus den ersten beiden Sätzen? McDonald spielte mit der Angst des Hasen vor der Schlange. Statt selbst die Initiative zu behalten, schob er die Bälle zurück und hoffte auf die Fehler des Gegners. Nadal wurde kaum noch in die Ecke geschickt und konnte aus komfortablen Positionen zurückschlagen. Und so stand es plötzlich 5:4 für den Spanier, die Auferstehung war nah. Doch McDonald riss sich wieder zusammen, gewann drei Spiele in Serie, das letzte ohne Mühe. Nadals Traum von der Titelverteidigung war geplatzt.
Aber warum hatte der Spanier sich das angetan? Warum hatte er die Qualen nicht beendet und einfach aufgegeben? Den Gedanken daran hatte er offenbar. Nadal soll seine Box gefragt haben, ob er aufhören solle. Eine klare Antwort erhielt er offenbar nicht, also machte er weiter. Vielleicht auch in der Hoffnung darauf, dass die Schmerzmittel anschlagen oder er beschwerdefreier kämpfen könne. Es blieb eine verzweifelte Hoffnung. Wieder einmal hatte der Körper den Spanier ausgebremst. Wie so oft in seiner Karriere. Und wie so oft in seiner Karriere hatte er versucht, das nicht zu akzeptieren. "Ich wollte nicht aufgeben, ich bin der Titelverteidiger hier. Bis zum Ende alles geben, egal wie groß die Chancen stehen, ist die Philosophie des Sports", bekannte er. Leichte Probleme mit der Hüfte hätte er schon vorher gehabt. Wie schlimm die Verletzung ist, das werden Untersuchungen zeigen.
Der Geist als Feind des eigenen Körpers
Der Ehrgeiz des Tennis-Giganten ist ungebrochen. Und das ist gefährlich. Der Geist des Spaniers ist der größte Feind seines Körpers. Der Erfolg gibt ihm recht. Die Mittel sind indes alles andere als heilig. Der 36-Jährige hat nämlich ein auch für Profisportler komisches Verhältnis zur Einnahme von Schmerzmitteln. Zum großen Thema war das nach seinem Erfolg bei den French Open 2022 geworden. In mehreren Interviews hatte er gestanden, wie schwer es für ihn ist, seinen Job, der auch seine große Leidenschaft ist, derzeit auszuüben. "Ich habe mit einem betäubten Fuß gespielt, die Nerven wurden blockiert", bekannte er. Vor jedem Duell ließ er sich Spritzen gegen seine chronischen Beschwerden verpassen. Immerhin setzte er danach auf eine nachhaltige Behandlung.
Nadal hatte vor einem halben Jahr auf dem heiligen Rasen von Wimbledon verletzungsbedingt sogar aufgeben müssen. Damals war er zum Halbfinale gegen Tennis-Rüpel Nick Kyrgios wegen eines Risses des Bauchmuskels nicht angetreten. Außerdem leidet der 36-Jährige seit Jahren eben unter den chronischen Fußschmerzen (siehe oben), deswegen hatte er sogar an einen kompletten Rückzug vom Sport gedacht. "An den meisten Tagen war ich traurig, ich hatte die Freude am Tennisspielen verloren. Deshalb dachte ich, ich müsste mich zurückziehen", hatte er kürzlich der spanischen Zeitung "Marca" gesagt. So wie es Roger Federer, sein neben Novak Djokovic größter Rivale und guter Freund, getan hatte. Der Tennissport steht vor einer großen Zeitenwende.
Wie es nun weitergeht? Unklar. "Heute ist es ein schwerer Moment, ein schwerer Tag", gestand der Spanier. Es ist ein Tag mit noch nicht absehbaren Konsequenzen. Er sei, so bekannte er, "ermüdet" und "frustriert", dass das Zurückkehren von Verletzungen so einen großen Teil seiner Tenniskarriere ausmachen würde: "Manchmal ist es frustrierend. Manchmal ist es schwer zu akzeptieren. Manchmal ist man all die Verletzungen einfach nur leid. Ich kann einfach nicht sagen, dass ich im Moment mental nicht zerstört bin, denn dann würde ich lügen." Er hoffe, dass ihn die Verletzung nicht lange von den Plätzen fernhalten werde.
Weiter, immer weiter. Ohne Rücksicht. Wie lange dieser ständige Kampf noch gut geht, niemand weiß es. "Es geht um die viele Arbeit, die man investieren muss, um wieder auf ein anständiges Niveau zu kommen." Die Kraft ist endlich, auch die eines Büffels.
Quelle: ntv.de