Sturm über deutsche NHL-Profis "Draisaitl kann der Beste aller Zeiten werden"
04.10.2017, 11:59 Uhr
Draisaitl (r.) unterschrieb bei den Edmonton Oilers jüngst einen Vertrag über 68 Millionen Dollar.
(Foto: USA Today Sports)
In Nordamerika flutscht der Puck wieder über das Eis. Die nordamerikanische Profiliga NHL startet in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in die neue Saison. Gleich sieben Deutsche mischen in der stärksten Liga der Welt mit. Bundestrainer Marco Sturm erzählt im exklusiven Interview mit n-tv.de, wie er seine Nationalspieler einschätzt, warum es deutsche Eishockey-Spieler in Nordamerika einfacher haben als andere Sportler und wie er über den Olympia-Boykott der NHL denkt.
n-tv.de: Herr Sturm, der deutsche Nationalspieler Leon Draisaitl hat bei den Edmonton Oilers einen Mega-Vertrag über 68 Millionen Dollar unterschrieben und gilt als einer der besten Spieler der NHL. Kann er für das deutsche Eishockey eine ähnliche Rolle einnehmen wie Dirk Nowitzki im Basketball?
Sturm: Ja, ich denke schon. Er kann der beste deutsche Eishockeyspieler aller Zeiten werden. Er ist noch keine 22 Jahre alt und hat bereits viel geleistet. Andere Weltklasse-Spieler wie Sidney Crosby haben eine längere Zeit gebraucht, bis sie ihr hohes Level erreicht haben. Bei Draisaitl ging alles sehr schnell. Er spielt bereits wie ein alter Hase, hat eine enorme Übersicht, ein Spielverständnis wie kaum ein anderer, ist läuferisch stark und hat gute Hände. Ich gehe davon aus, dass er auch dieses Jahr einen Schritt nach vorne macht. Gemeinsam mit seinem Sturm-Partner Connor McDavid kann er bei den Oilers sicherlich für eine Überraschung sorgen.
Der deutsche Tom Kühnhackl gewann mit den Pittsburgh Penguins nun zwei Mal in Folge den Stanley Cup. Trauen Sie der Mannschaft das Tripple zu?
Ja, absolut. Die Mannschaft wurde nicht groß verändert. Sie haben in Sidney Crosby und Evgeni Malkin zwei der besten Spieler der Welt, zudem in Matt Murray einen herausragenden Torhüter. Die Penguins zählen daher zu den Top-Favoriten.
Kühnhackl hatte in der vergangenen Saison Verletzungsprobleme und kam besonders in den Playoffs weniger zum Einsatz. Schafft er es zurück in die Stammformation?
- Marco Sturm wurde am 8. September 1978 in Dingolfing geboren.
- Er wurde 1996 von den San Jose Sharks gedraftet.
- In der NHL spielte er neben den Sharks auch für die Boston Bruins, für die L.A. Kings, für die Washington Capitals, die Vancouver Canucks und die Florida Panthers.
- Insgesamt bestritt er 1006 NHL-Spiele (inklusive Playoffs).
- Im Jahr 1999 wurde er für das Allstar-Game nominiert.
- Seit Juli 2015 ist Sturm Bundestrainer. Bei der Heim-WM im Frühjahr scheiterte er mit der DEB-Auswahl gegen Kanada im Viertelfinale (1:2).
Ihm steht ein entscheidendes Jahr bevor. Er hat vergangene Saison nicht so viel Eiszeit bekommen. Sein Vertrag läuft nach der Saison aus. Ich hoffe, dass er sich in Pittsburgh durchbeißt. Er hat das Zeug dazu. Ich habe ihn im Kreise der Nationalmannschaft erstmals bei der Olympia-Quali erlebt und war positiv überrascht. Er hat seinen Job in der Nationalmannschaft und auch in der NHL bislang gut gemacht.
Verteidiger Dennis Seidenberg von den New York Islanders ist der Oldie unter den deutschen NHL-Stars. Er geht bereits in seine 15. Saison. Was ist sein Erfolgsgeheimnis, dass er sich seit so langer Zeit in der stärksten Liga der Welt behaupten kann?
Er spielt einfach sehr konstant. Er hat auch bei der Weltmeisterschaft gezeigt, dass er ein erfahrener Verteidiger ist, der jeder Mannschaft gut tut. Gerade für junge Mitspieler ist er eine Bereicherung. Sein Alter von 36 Jahren merkt man ihm nicht an.
Die Islanders sind praktisch das deutscheste NHL-Team, weil auch Torwart Thomas Greiss ein Deutscher ist. Vergangene Saison hat er den Sprung zur Nummer 1 geschafft. Kann er seinen Stammplatz verteidigen?
Ich gehe davon aus, dass er die Nummer 1 in New York bleiben wird. Die ehemalige Nummer 1 Jaroslav Halak ist zwar zurück im Aufgebot. Ich halte allerdings Thomas für den besseren Torwart. Er strahlt im Tor eine unheimliche Ruhe aus und vermittelt seinen Verteidigern viel Sicherheit.
Der deutsche Torwart Philipp Grubauer von den Washington Capitals hat den Sprung zur Nummer 1 noch nicht gepackt. Kann er es diese Saison schaffen?
- Leon Draisaitl (21 Jahre/Edmonton Oilers)
- Tom Kühnhackl (25/Pittsburgh Penguins)
- Tobias Rieder (24/Arizona Coyotes)
- Dennis Seidenberg (36/New York Islanders)
- Thomas Greiss (31/New York Islanders)
- Philipp Grubauer (25/Washington Capitals)
- Korbinian Holzer (29/Anaheim Ducks)
- Frederik Tiffels (22/Pittsburgh Penguins/Wilkes-Barre/Scranton Penguins/AHL)
- Neben Tiffels warten im NHL-Unterbau Markus Eisenschmid (22/Farmteam der Montreal Canadiens) und Manuel Wiederer (20/Farmteam der San Jose Sharks) auf ihre Gelegenheit.
Die Situation ist nicht einfach für ihn. Er hat in Braden Holtby eine klare Nummer 1 vor sich, die er eigentlich nicht verdrängen kann. Grubauer ist aber ein guter Torwart und hat die Qualität, um bei einem NHL-Team die Nummer 1 zu sein. Für ihn wäre es interessant gewesen, wenn ein Team wie Las Vegas (die Vegas Golden Knights wurden neu gegründet, Anm.d.Red.) ihn geholt hätte. Dort hätte er vielleicht mehr Chancen erhalten. Mit seinen 25 Jahren ist er noch immer ein junger Torhüter. Für seine Entwicklung wäre es allerdings wichtig, dass er diese oder zumindest nächste Saison mehr Einsätze bekommt.
Im Fußball gilt Deutschland als Torhüter-Nation. Wie verhält es sich im Eishockey?
Wir sind auf der Torhüterposition sehr gut aufgestellt. Greiss und Grubauer haben bewiesen, auf höchstem Niveau spielen zu können. Wir müssen daran arbeiten, dass weitere Top-Torhüter folgen. Eine Situation wie im Fußball, wo man sich über Jahre hinaus keine Sorgen machen braucht, haben wir im Eishockey noch nicht.
Der deutsche Verteidiger Korbinian Holzer kam bei den Anaheim Ducks bislang nicht über seine Rolle als Ergänzungsspieler hinaus. Schafft er diese Saison den Durchbruch?
Holzer ist ein überragender Typ, der für seine Mannschaft auch in der Kabine ein wichtiger Mann ist. Wenn er ins Spiel kommt, macht er seine Sache gut. Er ist groß und spielt sehr hart. Dennoch hat er es in Anaheim nicht einfach, weil die Mannschaft stark besetzt ist. Die Ducks zählen zu den absoluten Top-Mannschaften im Westen.
Tobias Rieder von den Arizona Coyotes hingegen hat sich längst als Stammspieler etabliert. Viele amerikanische Experten glauben sogar, dass er diese Saison zu den Top-Stars der Liga aufsteigen könnte. Sehen Sie auch die Chance dazu?
Er hat die Qualität dazu. Allerdings wurde der Kader neu durchgemischt. Zudem haben die Coyotes in Tick Tocchet einen neuen Trainer bekommen. Es bleibt also abzuwarten, wie er Tobias sieht und welche Rolle er ihm zuteilt. Ich hoffe, dass die Mannschaft besser abschneidet als in den letzten Jahren. Die Mannschaft ist nicht so breit besetzt wie zum Beispiel die Ducks oder andere Top-Mannschaften.
All die genannten Spieler können Sie als Bundestrainer bei den Olympischen Winterspielen 2018 nicht einsetzen, weil die NHL den Spielbetrieb nicht für Olympia unterbricht. Verlieren die Winterspiele dadurch an Attraktivität?
Bei Olympia sollten in jeder Sportart die besten Athleten antreten. Es ist sehr enttäuschend, dass beim Eishockey nun die besten fehlen. Zumal diese Spieler die Qualifikation für Olympia gemeistert haben und gerne teilnehmen würden. Aber die NHL hat eben diese Entscheidung getroffen. Vielleicht hätten die Verantwortlichen anders entschieden, hätten die Winterspiele in der Nähe von Nordamerika stattgefunden. Wir werden dennoch mit einer guten Truppe nach Südkorea fliegen und wollen die Großen ärgern.
Wir haben sieben Deutsche in der NHL. Drei weitere spielen in der zweitklassigen AHL und könnten sich für die NHL empfehlen. In der US-Baseball-Liga MLB hingegen gibt es nur einen Deutschen, in der American-Football-Liga NFL zwei. Warum gelingt deutschen Eishockeyspielern häufiger der Sprung über den großen Teich als zum Beispiel Football- und Baseballspielern?
In den USA wachsen die Kinder mit Sportarten wie Football und Baseball auf. Daher gibt es dort einfach extrem viele Talente. Im Eishockey ist es etwas anders. In den USA ist Eishockey nach Football, Basketball und Baseball die Sportart Nummer 4. Daher werden dort nicht so viele Talente hervorgebracht. Spieler in der NHL kommen vielfach aus Europa – darunter eben auch aus Deutschland.
Mit Bundestrainer Marco Sturm sprach Oliver Jensen
Quelle: ntv.de