Gefräßiger Riese, NBA zittert Ein Celtics-Titel als Drohung für die gesamte Liga
23.06.2024, 20:09 Uhr
Jaylen Brown lässt es krachen.
(Foto: AP)
Boston ist die Start-Ziel Übermacht in dieser Saison. Ein ehemaliger Celtics-Coach stellt das tiefste, modernste und dominanteste Team der NBA zusammen - und legt damit nicht nur den Grundstein für Titel Nummer 18, sondern sogar eine mögliche neue Dynastie.
Die Boston Celtics haben den NBA-Rekord wieder: 16 Jahre hat es gedauert, aber die Kobolde aus "Beantown" haben mit dem Sieg in der Nacht von Montag auf Dienstag den 18. Titel ihrer illustren Historie errungen. Der 106:88-Erfolg gegen die Dallas Mavericks in Spiel fünf dieser NBA Finals war der finale Akt in einer Saison für die Geschichtsbücher, die mit einem klaren 4:1-Erfolg der Vorzeige-Franchise und einer ikonischen "Duck Boat" Championship-Parade am Freitag endete. Es war bereits das 13. Mal in diesem Millennium, dass eines der lokalen Teams (Celtics, Patriots, Red Sox, Bruins) in den vier großen US-Sportarten einen Titel feiert.
Wie der entscheidende Sieg zustande kam, war bezeichnend. Jayson Tatum erzielte 31 Punkte und 11 Assists. Jaylen Brown war mit 21 Punkten, 8 Rebounds und 6 Assists zur Stelle. Jrue Holiday und Derrick White steuerten 29 Punkte und 19 Rebounds bei - neben ihrer gewohnten, erstickenden Lockdown-Defense. Al Horford, der nach den zweitmeisten absolvierten Playoff-Partien (186) ohne Titel endlich den Durchbruch schaffte, verpasste nur knapp ein Double-Double. Kristaps Porzingis kehrte von seiner Verletzung zurück und traf zwei Würfe aus dem Feld. Sam Hauser versenkte ein paar Dreier. Und Payton Pritchard streute eine seiner patentierten "Hail Marys" von der Mittellinie ein, mit der Halbzeit-Sirene in einem tollwütigen "TD Garden".
Head-Coach Joe Mazzulla, der als jüngster Übungsleiter seit der Zusammenlegung der NBA und ABA im Jahr 1976 ein Team zur Meisterschaft dirigierte, hätte es sich nicht besser erträumen können. Seit Bill Russell 1969 als Spielertrainer seine elfte und letzte Meisterschaft gewann, hat kein Coach im Alter von 35 Jahren oder jünger einen Titel geholt. Auch ohne einen veritablen MVP-Kandidaten stellte Mazzulla, nur ein Jahr nach lautem Geschrei um seine Entlassung, die Truppen in Grün-Weiss perfekt auf und ein. Auch ihm und seinem ureigenen Drang, sich allen Herausforderungen zu stellen und immer Vollgas zu geben, hat es dieses Team zu verdanken, dass es die Pleiten und Enttäuschungen der jüngsten Vergangenheit endlich überwinden konnte.
Historische Start-Ziel Übermacht
Boston war die Start-Ziel Übermacht in dieser abgelaufenen NBA-Saison 2023/24. Bereits in der Offseason dominierte Grün das Geschehen, als Team-Präsident Brad Stevens Jrue Holiday und Kristaps Porzingis - zwei ehemalige All-Stars - verpflichtete. Was folgte, war einer der beeindruckendsten Runs aller Zeiten. Kein Gegner war auch nur ansatzweise in der Lage, dieses Team einzuschränken.
80 von insgesamt 101 Partien (reguläre Saison plus Playoffs) gewannen die Celtics - nur zehn Teams waren jemals besser. Ihre 16-3 Bilanz in der Postseason war die beste seit 2017, als die Golden State Warriors mit LeBron James' Cleveland Cavaliers in den Finals kurzen Prozess machten. Seit der Einführung des neuen Playoff-Formats vor 40 Jahren haben nur acht andere Teams höchstens drei Partien auf dem Weg zur Meisterschaft verloren.
Bostons Net-Rating während der Saison (plus 11,6) wurde nur drei Mal in der NBA Geschichte übertroffen: zweimal von Michael Jordans Chicago Bulls in den 1990ern, und ein Mal von ebenjenen Warriors um Steph Curry und Kevin Durant. Bostons Angriff war der effizienteste aller Zeiten, die Punktedifferenz (reguläre Saison plus Playoffs) die vierthöchste.
Das "Jay-Team"
"Was werden sie jetzt sagen?", schrie ein entzückter Jayson Tatum ins Mikrofon - ein Seitenhieb an die Kritiker und Zweifler an diesen Celtics, vor allem an den "Jays", ihrem Star-Duo. Jaylen Browns rekordträchtiger neuer Vertrag im Sommer 2023, nur kurze Zeit nach dem Ausscheiden gegen Miami in den Conference Finals, war Wasser auf die Mühlen aller Nein-Sager. Brown verlängerte für fünf Jahre und 304 Millionen US-Dollar - der erste Deal, der 60 Millionen US-Dollar pro Saison übersteigen wird. Tatum wird in diesem Sommer einen ähnlichen, marginal höheren Deal unterzeichnen (fünf Jahre, 315 Millionen USD).
Als Brown die Finals-MVP-Trophäe von Commissioner Adam Silver erhielt, erwähnte er umgehend Tatum: "Es war eine ultimative Teamleistung, und ich teile diese Auszeichnung mit meinen Brüdern und meinem Komplizen, Jayson Tatum. Er war die ganze Zeit bei mir." Es ist noch nicht allzu lange her, da galten sowohl Brown als auch Tatum als Wackelkandidaten in Boston. Unendlich viele Fragen, ob die beiden zusammen funktionieren und harmonieren könnten, begleiteten die steten Misserfolge tief in den Playoffs. Seit Browns Rookie-Saison 2016-17 hat Boston sechsmal die Conference Finals und zwei NBA Finals erreicht, bevor es heuer endlich klappte mit der Meisterschaft. Ihre 107 gemeinsam absolvierten Playoff-Partien vor ihrem ersten Titel sind ein neuer NBA-Rekord.
"Wir sind zusammen gewachsen", sagt Brown. "Wir spielen jetzt seit sieben Jahren zusammen und haben viel durchgestanden. Die Niederlagen, die Erwartungshaltung. Die Medien sagten oft: 'Wir können nicht zusammenspielen, wir werden nie gewinnen.' Aber wir haben das ignoriert und einfach weitergemacht. Er vertraut mir und ich vertraue ihm. Und zusammen haben wir es geschafft." Zum ersten Mal trainierten Tatum und Brown vergangenen Sommer gemeinsam, um sich auf die Saison vorzubereiten. "Wir hatten die Phase hinter uns, in der wir All-Star Games und All-NBA Teams erreichten", erinnert sich Tatum. "Nicht, dass das nichts wert wäre, aber das haben wir geschafft. Und hoffentlich bleibt das auch so. Aber es war höchste Zeit, die notwendigen Opfer zu bringen, Punkte, Würfe, was auch immer, um das beste Team der Liga zu kreieren."
Die "Jays" drohten zu zerbröckeln
Wie viele Duos vor ihnen drohten auch die "Jays" auseinanderzubröckeln, vor dem ultimativen Erklimmen des NBA-Gipfels. Karl Malone und John Stockton jagten 18 Jahre in Utah vergeblich nach dem Titel. Jerry West und Elgin Baylor erreichten mit den Los Angeles Lakers siebenmal in zwölf Jahren die Finals - und verloren jedes Mal. Clyde Drexler und Terry Porter scheiterten mit Portland zweimal in den Finals. Die Wege von Kevin Durant und Russell Westbrook in Oklahoma City trennten sich nach neun Jahren, die eines anderen, vielversprechenden jungen Duos - Shaquille O'Neal und Penny Hardaway - nach nur drei in Orlando. Mehr als eine Finals-Teilnahme war für beide Paare nicht drin. Die spektakulären Tandems Chris Paul und Blake Griffin (L.A. Clippers) sowie Gary Payton und Shawn Kemp (Seattle) rissen sechs respektive sieben Jahre in den Bann, ohne sich am Ende davon etwas kaufen zu können.
"Wir waren immer gut und talentiert genug", erinnert sich Tatum. "Wir haben es zweimal in unseren ersten drei Jahren zusammen in die Conference Finals geschafft. Aber niemand schien zu realisieren, wie jung wir noch waren. Alle sagten nur: 'Oh, sie haben verloren, sie können nicht zusammen spielen. Sie sollten Brown traden.' Niemand wollte uns Zeit geben..."
Das Genie hinter dem Erfolg
Niemand außer Brad Stevens. Der heute 47-Jährige coachte zwischen 2013 und 2021 ebendiese Celtics, bevor er zur Saison 2021-22 das Amt als Präsident und General Manager vom seither nach Utah gewechselten Danny Ainge übernahm. Ainge ist der Ur-Architekt dieses Teams, leitete erfolgreich den Umbau nach der Meisterschaft 2008 ein, als er die Superstars Kevin Garnett und Paul Pierce 2013 nach Brooklyn tradete - für eine Wagenfuhre künftiger Draft-Picks, aus denen später Brown und Tatum wurden. Ainge verpflichtete Stevens trotz fehlender NBA-Erfahrung 2013 als Head Coach von der Butler Universität und zog in aufeinanderfolgenden Jahren Brown (2016) und Tatum (2017) mit dem dritten Pick im Draft.
Stevens' stets besonnen-beständige und vor allem bescheidene Art machte aus den Celtics nach und nach ein Spitzenteam, das sich immer weiter nach oben ackerte, nur um dann ultimativ zu scheitern. Stars wie Kyrie Irving, Gordon Hayward und Kemba Walker kamen als Mentoren für Tatum und Brown - und gingen bald wieder, ohne Boston den erhofften Erfolg zu bringen. Als Ainge abwanderte, drohte der Klub im Chaos zu versinken. Stevens wechselte ins Front Office und hielt das Schiff auf Kurs. Ime Udoka wurde als Coach verpflichtet und gefeuert, Mazzulla stieg vom Assistenten zum Cheftrainer auf. Anstatt auf den Dauerlärm zu hören, Geduld zu verlieren und eines der unzähligen Trade-Angebote für Brown zu akzeptieren, setzte Stevens erst recht auf sein junges Star-Duo, das er vom ersten Tag an in der NBA begleitet hatte.
Als Manager baute er ein schier unbezwingbares Team um seine zwei neuen Anführer auf. Er holte Veteran Al Horford zurück, den Big Man, der er zwischen 2016 und 2019 bereits in Boston trainiert hatte. Ein gewiefter Trade mit San Antonio brachte vor zwei Jahren All-Defensive-Guard Derrick White nach Beantown. Vergangenen Sommer vollzog Stevens sein Husarenstück: er tauschte zwei Schlüsselspieler und zwei Draft-Picks für Kombo-Guard und NBA-Champion 2021, Jrue Holiday. Dann tradete er Starter und Publikumsliebling Marcus Smart für Kristaps Porzingis. Fertig war das verheerendste Lineup im Basketball. Die Celtics mähen seither mit einem modernem Angriff und erstickender Abwehr durch die Liga.
Neue Celtics-Dynastie?
Bostons Titel war die Kulmination jahrelanger, visionärer Arbeit. Von Ainge zu Stevens. Von Stevens zu Mazzulla. Geduld und Kontinuität zahlt sich aus. Angesichts der beneidenswerten Qualität in allen Aspekten der Franchise - spendable Teambesitzer, opportunistisches Management, modernes Coaching, die beste Starting Five der NBA scheint es vernünftig, anhaltenden Erfolg einzuplanen.
Natürlich gibt es keine Garantien in dieser Liga, die ausgeglichener denn je daher kommt. Die Konkurrenz schläft nicht. Von Denver über Dallas, Milwaukee über Philadelphia, zu den Emporkömmlingen Minnesota, Oklahoma City und New York, oder Veteranen-Teams wie Phoenix, L.A. und Miami. Mindestens zehn Teams werden im Meisterschaftsrennen der nächsten Jahre ein paar Wörtchen mitzureden haben. In den vergangenen sechs Jahren wurde immer ein neuer Champion gekrönt. Seit den Warriors 2017 und 2018 gab es keine Back-to-Back Champs. Seit 2019 hat kein Meister überhaupt den Weg zurück in die Finals geschafft. Der letzte Threepeat liegt jetzt mehr als 20 Jahre zurück (Lakers 2000, 2001 und 2002).
Die Zeit der Dynastien scheint vorerst vorbei zu sein. Stevens und Co. haben in Boston jedoch ganze Arbeit geleistet und könnten diesen Trend umkehren. Alle Leistungsträger stehen langfristig unter Vertrag. Tatum und White können und werden in diesem Sommer verlängert werden; Horford soll bereits angekündigt haben, auch für seine 18. Profisaison zurückzukehren; Brown, Holiday, Porzingis und Pritchard sind bis mindestens 2026 gebunden. Dass Mazzulla keinen einzigen seiner Leistungsträger verlieren wird, ist eine absolute Rarität bei amtierenden Champions. Die Celtics werden auch 2024/25 als haushohe Favoriten antreten. Titel sind eben, nicht zuletzt für Stevens, einfach die Erwartungshaltung in Boston: "Selbst, wenn wir eines Tages genug Glück haben sollten, um Nummer 18 zu erreichen - ab dem Tag danach jagen wir Nummer 19. Nur darum geht es."
Quelle: ntv.de