Brutale Tragik im Super Bowl Ein Moment der Genialität sticht Abwehrschlachtrösser aus
12.02.2024, 06:21 Uhr
Schonungslose Brutalität: Die San Francisco 49ers sind beim Super Bowl in Las Vegas lange Zeit das bessere Team, die Defensive überragt. Diese Abwehrschlachtrösser haben Patrick Mahomes und Co. so fest im Griff, dass es fast peinlich ist. Aber dann zeigen die Kansas City Chiefs sieben geniale Minuten.
Viva Las Vegas. Im Super Bowl LVIII stehen sich im Allegiant Stadium vor 61.629 Fans der amtierende Champion Kansas City Chiefs und die San Francisco 49ers, das Team mit der besten regulären Saison der NFC, gegenüber. Es heißt Patrick Mahomes vs. Brock Purdy, einer der besten Quarterbacks aller Zeiten gegen Mr. Irrelevant, der einen märchenhaften Aufstieg erlebt. Es heißt auch Travis Kelce (Chiefs) vs. eine ganze Armada an Offensivwaffen (49ers). In einem Overtime-Thriller schnappt sich Kansas City mit einem 25:22 den dritten Super-Bowl-Titel in der Ära von Mahomes. Zum ersten Mal gelingt seit 2004 gelingt es einem NFL-Team, die Meisterschaft zu verteidigen.
Zum ersten Mal überhaupt findet der Super Bowl in Vegas statt und es sind so viele Menschen in der Stadt der Sünde, dass der Verkehr auf und neben dem Strip am Abend vor dem großen Spiel komplett zum Erliegen kam. Die Glücksspiel-Metropole ist immer verrückt, aber dieser Tage dreht die Stadt noch einen Zacken mehr durch. Taylor Swift ist schließlich nur eine von unzähligen Megastars, die im Stadion mitfiebern. Als die Pop-Ikone eintrifft, sind alle Kameras auf sie gerichtet. Der TV-Sender CBS unterbricht kurz das Programm, um alle Fans zu beruhigen. JA, sie ist DA. Sie hat es geschafft, ihr Flieger ist rechtzeitig aus Japan gelandet. Thank God!
Was ist passiert
Zu den Tönen von Carmina Burana geht es los … und dann passiert lange erst einmal nichts. Zwar legt Purdy los wie eine kalifornische Feuerwehr bei einem Waldbrand und führt seine 49ers mit nur vier Spielzügen an die gegnerische 30-Yard-Line. Aber weil CMC (Christian McCaffrey) das Ei aus den Armen geschlagen wird, gibt es keinen dominanten Start und keine Punkte und die Chiefs sind im Ballbesitz. Doch Mahomes muss nach nur drei Versuchen wieder vom Feld.
Es ist das Spiel der Defensiven. Beide gelten nicht umsonst als zwei der besten der Liga. Punt, Punt und nochmal Punt. Die Angriffsreihen bekommen nichts gebacken, die frenetischen Fans verstummen zunächst einmal. Nach dem ersten Viertel steht es 0:0, Mahomes und die Chiefs haben zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein First Down geschafft.
Mit kurzen Würfen und Läufen arbeiten sich Purdy und Co. dann endlich mal über das Feld. Anfang des zweiten Viertels gehen die 49ers immerhin mit einem Fieldgoal aus 55 Yards (Super-Bowl-Rekord!) in Führung. San Francisco hat zu diesem Zeitpunkt mehr Plays (18) als Kansas City Yards (16) auf das Feld gebracht. Aber dann Achtung: Mahomes lässt eine 55-Yards-Rakete auf Mecole Hardman fliegen. Ein einziger magischer Wurf führt die Chiefs bis auf wenige Yards vor die Endzone. Wow, so schnell kann es gehen. Stellt der Quarterback das Spiel auf den Kopf? Nein, dies ist die Partie der Abwehrreihen, schon vergessen? Als Runninback Isiah Pacheco in die Endzone tänzeln will, wird diesmal Kansas City der Ball von der Defensive aus den Armen gehauen. Ballbesitz 49ers und weiterhin keine Punkte für die Chiefs. Freud und Leid so nah beieinander. Dass sich der Meister solch eine wichtige Chance so einfach entgehen lässt, passiert nicht oft.
Ein atemberaubender Trickspielzug bringt den ersten Touchdown: Purdy passt nach hinten zu Wide Receiver Jauan Jennings, der kurz auf die auf ihn zurasenden Abwehrspieler wartet - und dann auf der gegenüberliegenden Seite CMC findet. Ein kurzer Lauf und der anschließende Extrapunkt bringen die 49ers 10:0 in Front. Die vielen Fans aus Kalifornien im Stadion rasten aus. Die Chiefs können nur mit einem Field Goal antworten, dann ist Pause.
D as offensive Elend jedoch geht weiter, weiterhin überragen die Abwehr. Mahomes startet mit einer Interception in die zweite Hälfte, ein erneutes Big-Play der Defensive aufseiten der 49ers. Immerhin kann der Chiefs-Spielmacher anschließend mit seinem Laufspiel überzeugen. Erst boxt er sich in Runningback-Manier gegen die Tackles von zwei Abwehr-Kühlschränken zu einem neuen ersten Versuch durch, dann nutzt er ein freigeblocktes Loch in der Mitte des Feldes für einen Run über 22 Yards. Mit noch fünf Minuten auf der Uhr im dritten Abschnitt kommen die Chiefs auf 6:10 heran (57-Yard-Fieldgoal, der Rekord aus dem zweiten Viertel wird direkt wieder gebrochen). Aber es ist schier unglaublich, dass Mahomes noch keinen einzigen Touchdown werfen konnte.
Dafür ist seine Defensive jetzt so übermächtig wie die des Gegners in der ersten Halbzeit. Bei Purdy und den 49ers gelingt offensiv nicht mal mehr ein First Down, drei Drives und dreimal Three-and-Out.
Anschließend nimmt die Partie dank eines Mega-Patzers endlich Fahrt auf. Die 49ers vermasseln den Fang bei einem Punt von Kansas City, halten die Tür sperrangelweit offen - und die Chiefs spazieren hindurch. Die Chiefs werfen sich als erste auf den herumeiernden Ball in der Redzone und Mahomes lässt sich nicht zweimal bitten: Direkt seinen ersten Versuch münzt er in einen Touchdown-Pass auf Marquez Valdes-Scantling um. Ist das tragisch für die 49ers: Wenige Minuten vor dem letzten Durchgang führen die Chiefs auf einmal mit 12:10, obwohl offensiv nichts funktioniert. Der Sport zeigt sich von seiner ganzen Härte: So einfach ist Football, so bitter ist Football.
Aber Purdy findet eine Antwort. Erst sorgt Jennings für das erste First Down seit dem zweiten Viertel, dann bringt sein Quarterback einen langen Drive - 12 Plays für 75 Yards in sechs Minuten sind es am Ende - nach Hause. Jennings, der ein großartiges Spiel macht, fängt einen kurzen Pass, wird auch von einem kräftigen Tackle nicht zu Boden gebracht und fällt in die Endzone. Er ist neben Quarterback Nick Foles der einzige Spieler, der im selben Super-Bowl-Spiel einen Touchdown fängt und wirft. Anschließend unterläuft den 49ers ein erneuter, gravierender Fehler: Der Extrapunkt wird geblockt, daher steht es lediglich 16:13.
Auf einmal funktioniert bei Kansas City jetzt die Kombination Mahomes-Kelce. In wenigen Spielzügen sind die Chiefs in der Redzone, aber die 49ers-Defense lässt nur ein Fieldgoal zu. Ausgleich. Im Gegenzug ist es wieder Jennings: Er fängt einen 23-Yards-Pass von Purdy, dreht sich um die eigene Achse und seinen Gegenspieler - und schon ist San Francisco an der Mittellinie. Doch auch die Abwehr der Chiefs hält erneut. Mit einem Fieldgoal ziehen die 49ers auf 19:16 davon. Und weil es nun noch nicht spannend genug ist, führt Mahomes seine Mannschaft innerhalb von zwei Minuten erneut Richtung Endzone. Beinahe gelingt ein Touchdown, mit sechs Sekunden auf der Uhr schießen die Chiefs das Fieldgoal zum Ausgleich.
Verlängerung. Uff.
Szene des Spiels
Und die Overtime führt zu DEM Moment des gesamten Spiels. Nach den neuen NFL-Regeln erhält in der Verlängerung jede Mannschaft mindestens einmal den Ball. Wenn dabei eine für Punkte sorgen kann und die andere nicht, ist das Spiel vorbei. Erzielen beide in ihren Drives gleich viele Punkte, geht es in den Sudden-Death-Modus. Da Purdy seine 49ers nur zu einem Field Goal führen kann, hat Mahomes die Chance, mit einem Touchdown das Spiel zu entscheiden.
Und tatsächlich bringt der Quarterback des alten und neuen Meisters in einem einzigen Drive an diesem Abend seine Magie auf das Feld. Das genügt. In der eigenen Hälfte stehen die Chiefs plötzlich am Abgrund: Ein Yard fehlt bei einem vierten Versuch zum neuen First Down. Mahomes aber bleibt eiskalt und selbst, als wäre dies ein Spiel mit Freunden am Sonntag im Park. Als Nächstes wirft er eine zentimetergenaue Rakete in den Lauf von Rashee Rice, der den Ball cool herunter pflückt. Anschließend sprintet der Spielmacher in seiner unnachahmlichen, antilopenhaften Eleganz selbst bis an die Zehn-Yard-Linie.
Im letzten Spielzug der Verlängerung zaubert Mahomes sogar ein wenig: Er täuscht einen Inside-Hand-Off an und findet Mecole Hardman, ohne dass ein Verteidiger in der Nähe ist. Und Hardman läuft in die Endzone. Das reicht für den Sieg. Kansas City hat nun drei Super-Bowl-Siege in fünf Spielzeiten errungen.
Spieler des Spiels
Auch wenn Mahomes am Ende für den Sieg sorgt und sein Team mit Willenskraft zum Titel führt, der beste Spieler auf dem Feld ist er an diesem am bei Weitem nicht. Es sind die Defensive. Vor allem aufseiten der 49ers. Die knallharten Kühlschränke. Die Abwehrschlachtrösser. Die Spaß-Räuber.
In der ersten Hälfte machen die Abwehrriesen aus Kalifornien auf mittelalterliche Torwächter, die den Chiefs jeglichen Weg versperren. Besonders die Defensive Line übt solch einen Druck auf Mahomes auf, dass dieser überhaupt nicht ins Spiel kommt und entweder schnell gesackt oder weit nach hinten zurückgedrängt wird. Aber auch Kelce, der mit seinen absurden Laufwegen sonst so schwer zu verteidigen ist, wird zum Nullfaktor degradiert. Eine Schmach für diese Elite-Footballer.
In der zweiten Hälfte spüren aber auch die so hochgelobten Offensivspieler aus San Francisco den Chiefs-Atem im Nacken. Besonders wichtig sind drei Stops wenige Yards kurz vor der eigenen Endzone in der Verlängerung. Und so verdient die Abwehr aus Kansas City am Ende ihren Angriff-Superstars den Super-Bowl-Titel - und fügt ihren Defensiv-Kollegen bei den 49ers ein tragisches Ende zu.
Quelle: ntv.de