Chefdopingjägerin Gotzmann weist Systemkritik zurück "Es ist viel schwieriger geworden zu dopen"
24.12.2013, 10:35 Uhr
Dopingkontrollen als Sisyphus-Arbeit? Nein. Wir müssen uns Nada-Chefin Andrea Gotzmann als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Steckt der Kampf gegen Doping in der Krise, wie es der Gendopingexperte Perikles Simon sagt? Sind die Trainingskontrollen ineffektiv, wie es die Teststatistiken nahelegen? Fühlen sich die Athleten von den strikten Meldeauflagen des Doping-Kontroll-Systems gegängelt, weil es ihre Privatsphäre massiv einschränkt? Läuft die Forschung nur hinterher, weil dort zu wenig Geld investiert wird? Weder noch, sagt die Nada-Vorstandvorsitzende Andrea Gotzmann im Interview mit n-tv.de. Deutschlands oberste Dopingjägerin ist glücklich mit dem Kontrollsystem und den Versprechungen der Großen Koalition, aber unzufrieden mit der Bewertung ihrer Arbeit: "Es wird oft verkannt, was hier geleistet wird." Nur mehr Geld hätte sie gern.
n-tv.de: Frau Gotzmann, es ist Vorweihnachtszeit, die Zeit für Wünsche. Wenn Sie einen Wunsch an die Große Koalition richten dürften, welcher wäre das?
Andrea Gotzmann: Die Große Koalition hat mir ja schon einen Wunsch erfüllt mit dem Koalitionsvertrag. Seite 138, ich darf zitieren: "Die nachhaltige Finanzierung der Nationalen Anti Doping Agentur stellen wir sicher." Das ist für mich einmalig und auch erstmalig, dass die Nada erwähnt wird. Und dass man auch sieht, dass hier in den letzten Jahren immer ein Finanzierungsproblem bestanden hat, was unbedingt gelöst werden muss. Das ist der richtige Schritt in die Zukunft und ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.
Sie freuen sich. Für uns klingt das eher schwammig.
Das sind einfach Ziele, die man in solche Verträge reinschreibt. Wichtig ist es schon mal, die Institution selbst anzuerkennen und stärken zu wollen.
Aber ein Ziel kann man auch verfehlen.
Das ist richtig, aber da wollen wir mal nicht von ausgehen. Da arbeiten wir natürlich intensiv dran. Wir wollen, dass die Nada für alle Kontrollen zuständig sein muss. Genau wie für das Ergebnismanagement- und Sanktionsverfahren bei Verstößen gegen Anti-Doping-Bestimmungen.
Wir waren beim Wünschen: Ihr Etat steht bei etwa 5 Millionen Euro. Was hätten Sie denn gern?
Zwischen 9 und 10 Millionen Euro. Davon würden dann rund 2 Millionen an die Labore gehen und mit dem Rest müsste man sukzessive die Strukturen aufbauen, dass die Nada die anderen, zusätzlichen Aufgaben mit adäquatem Personal auch umsetzen kann.
Das Anti-Doping-Gesetz steht auch im Koalitionsvertrag, auch das ist schwammig gehalten. Da wird die Besitzstrafbarkeit "in Betracht gezogen", die Autonomie der Sportgerichte soll gewahrt bleiben. Wie interpretieren Sie den Passus?
Wir begrüßen alles, was in die Richtung Sanktionierung, Verschärfung und Optimierung des Doping-Kontroll-Systems führt.
Gehört für Sie die Besitzstrafbarkeit dazu?
Derzeit wird von Experten geprüft, inwieweit die einzelnen Bestandteile des Gesetzes, also auch die Besitzstrafbarkeit, dann auch umsetzbar sind. Wir haben jetzt schon über das Arzneimittelgesetz Regelungen. Die Frage ist, wo die Verschärfung stattfinden soll. Das scheint ein kompliziertes juristisches Problem zu sein, das wird vom Bundesrat jetzt an das Justizministerium übergeben. Und dort wird man Lösungen finden, wie das in ein Gesetz passt.
Das klingt sehr optimistisch. Das Thema köchelt schon seit einigen Jahren. Müsste es nicht endlich konkrete Schritte geben?
So weit wie jetzt waren wir noch nie. Das ist schon eine ganz besondere Dynamik, vor allem in eine Richtung, diese Unumkehrbarkeit, dass wir sauberen Sport wollen und auch die Mittel zur Durchsetzung verschärfen. Das sind natürlich Absichtserklärungen, aber das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung.
Wie, glauben Sie, wird die Arbeit der Nada in Deutschland bewertet?
Es herrscht viel Unwissen. Die Arbeit der Nada wird auf ein paar Zahlen reduziert. Das finde ich schade für das Engagement, das 27 Mitarbeiter tagtäglich leisten. Viel von dem, was oft gefordert wird, wird bereits umgesetzt. Es wird oft verkannt, was hier geleistet wird.

Die Brandrede des Basketballers Per Günther gegen das Doping-Kontroll-System sorgte für Gesprächsbedarf bei der Nada.
(Foto: imago sportfotodienst)
Basketballer Per Günther hat sich öffentlich über einen Dopingtest um 6 Uhr morgens beschwert. Durch so etwas entsteht der Eindruck: Der Antidoping-Kampf wird nicht von 27 Mitarbeitern der Nada geführt, die unstrittig formal sehr gut arbeiten, sondern auf dem Rücken der Athleten.
Das ist eine Äußerung. Wir haben 8000 Athleten in unseren Testpools. Ich weiß nicht, ob Sie diese Meinung repräsentativ für alle diese Athleten darstellen wollen. Wir sprechen mit Athleten, die sagen: Ich bin froh, dass es die Nada gibt. Nur das wird nicht so plakativ dargestellt. Wir haben Herrn Günther geschrieben und hätten gerne mit ihm persönlich gesprochen. Das ist nicht zustande gekommen, das bedauere ich. Wir wollen das System mit den Athleten fortentwickeln und weiterentwickeln.
Was glauben Sie: wie viel Prozent der Spitzensportler in Deutschland dopen und werden nicht erwischt?
Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass es eine gewisse Dunkelziffer gibt. Nur: Was ich nicht sehe, ist dieses Jonglieren mit Zahlen von 5,9 Prozent bis zu 50, 60 Prozent. Das ist ja eine wissenschaftlich nicht hinnehmbare Bandbreite. Das ist doch nur ein Stochern im Nebel. Ich lasse mich nicht auf Spekulationen im zweistelligen Prozentbereich ein.
Warum gibt die Nada nicht selbst eine Studie zur Dunkelziffer in Auftrag?
Da sind wir in Gesprächen. Wir arbeiten mit Fachleuten zusammen und versuchen, eigene Untersuchungen zu initiieren. Aber manchmal ist das Budget an dieser Stelle etwas knapp, obwohl es an dieser Stelle nicht knapp sein sollte.
Wir haben dem Dopingexperten Perikles Simon ähnliche Fragen gestellt wie Ihnen. An einem Punkt hat er gesagt: "Wir wissen nicht, ob die Leute im Training dopen oder nicht. Wir tappen im Dunkeln." Frau Gotzmann, wissen Sie, wie es wirklich aussieht, wie weit Doping verbreitet ist?
Das kann keiner wissen. Wir haben immer nur Hinweise. Wir haben Berichte und Enthüllungen, wie es früher war, wie die Studie "Doping in Deutschland". Wir sehen international, wenn Sie sich Statistiken angucken, dass Athleten dopen. Wir dürfen vor diesem Problem die Augen nicht verschließen und müssen wachsam sein.
Bei den Kontrollen gibt es ein Problem: Anders als oft behauptet gibt es in Wettkampfkontrollen mehr positive Proben als in Trainingskontrollen. Wieso?
Da müssen wir doch mal fragen: Womit sind diese Proben positiv? Im Wettkampf sind nach dem Regelwerk wesentlich mehr Substanzen verboten als in der Trainingsphase, viele Substanzen, die deutlich leichter nachweisbar sind. Wir haben sehr viele minder schwere Dopingfälle, die nicht dem Missbrauch z. B von anabolen Steroiden entsprechen - THC, Ephedrin, oder die nicht vorhandene medizinische Ausnahmegenehmigung. Ich würde einiges auch mal als Betriebsunfall bezeichnen. Ich kenne es so, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf.
Sportler passen also nicht auf und werden davon überrumpelt, dass in Wettkampfkontrollen viel mehr getestet wird. Gleichzeitig sagen Sie, die Aufklärung sei besser. Außerdem achtet ein ganzer Betreuerstab darauf, dass die Athleten sauber sind oder erscheinen. Das passt alles nicht zusammen.
Doch. Wenn Sie ein Nahrungsergänzungsmittel nehmen, bei dem nicht deklariert ist, dass dort eine Dopingsubstanz enthalten ist, dann sind Sie in eine Falle getappt. Das muss man einfach so sagen. Oder wenn Sie Absetzzeiten nicht kennen. Wenn Sie das Ephedrin-haltige Schnupfenmittel im Training genommen haben, aber auch unter ärztlicher Beratung zu früh in einen Wettkampf gehen. Das passiert.
Simon hat vorgeschlagen, die offenbar ineffektiven Trainingskontrollen zurückzufahren um Geld für Forschungszwecke zu sparen. Sie sind strikt dagegen. Warum?
Damit stellen wir den Athleten einen Freibrief aus. Das darf nicht passieren. Trainingskontrollen dienen auch der Abschreckung, sie erschweren das Dopen enorm.
Die Forschung befindet sich immer im Wettlauf mit den Dopern. Läuft sie nur hinterher?
Wir haben in Deutschland einen Lehrstuhl für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule in Köln. Dort werden sehr frühzeitig schon Substanzen, die in der Pipeline der pharmazeutischen Industrie sind, daraufhin untersucht, inwiefern sie auch eine Dopingrelevanz haben könnten. Auch hier ein Beispiel, die Substanzklasse SARMs. Das ist eine Abkürzung für Selektive Androgenrezeptor Modulatoren. Das wären eigentlich die idealen Ersatzsubstanzen für anabole Steroide gewesen. Aber die Verfahren waren fertig und wurden angewendet, bevor diese Substanzen auf den Markt kamen. Da sind wir ganz weit vorne.
Gibt es denn Substanzen, von denen Sie wissen: Sie sind in Gebrauch, aber wir können sie nicht oder noch nicht nachweisen?
Es ist ja immer schwierig, zu wissen, ob sie in Gebrauch sind. Es sind ganz, ganz viele Türen zugegangen. Das erfahren wir auch in Gesprächen mit Athleten, die überführt wurden. Aus diesen Gesprächen wissen wir, dass es mit der Einführung des Blutpasses oder auch mit dem Meldesystem viel schwieriger geworden ist, zu dopen. Aber man ist sich natürlich auch dessen bewusst, dass es Substanzen gibt, für die heute das Verfahren noch nicht vorhanden ist. Aber das kann als Bumerang zurückkommen. Die Re-Analyse von langzeitgelagerten Proben ist für uns sehr wichtig. Die Nada hat von 2007 bis 2009 Serumproben tieffrieren lassen in dem Wissen, dass ein Wachstumshormon-Test kommt, und hat dann Mitte 2009 mehr als 400 Proben re-analysieren lassen. Es hieß immer, Wachstumshormon sei das Mittel, das nehmen alle, das sei nicht nachweisbar. Aber von diesen 400 Proben deutscher Athleten war keine einzige positiv. Das ist das, was ich unter dem Schutz vor unberechtigten Dopingvorwürfen verstehe.
Nochmal: Wie viele Türen sind offen?
Das kann ich Ihnen so pauschal nicht beantworten. Wir können in Urinproben nicht alles nachweisen. Wir müssen den Anteil der Blutproben so steigern, und zwar so, dass es auch einen abschreckenden Effekt hat. Wenn ich überhaupt keine Blutproben mache, serviere ich auf dem Silbertablett schon mal vier Substanzen, die nicht im Analyseverfahren enthalten sind.
Blutkontrollen gibt es seit dieser Saison auch im Fußball, allerdings nur 75 im Jahr, verteilt auf alle Ligen und die Nationalmannschaft. Erweckt das nicht den Eindruck von Alibitests?
Nein. Es ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben damit angefangen und es kann sich ja keiner ausrechnen, wann er denn mit der Blutkontrolle dran ist.
Die DFL könnte den Nada-Etat problemlos alleine stemmen. Sehen Sie im organisierten Sport wirklich den klaren Willen, möglichst viele Türen zu schließen?
Wir haben die finanziellen Möglichkeiten, um ein Doping-Kontroll-System umzusetzen, das wir für effektiv halten. In vielen Sportarten und auch im Fußball ist eine gute Kontrolldichte erreicht - die natürlich immer wieder verbessert werden kann. Ich glaube schon, dass das Dopingproblem allen bewusst ist und dass auch allen bewusst ist, dass eine große Gefahr dadurch besteht, den Sport zu zerstören. Die Werte des Sports gehen verloren. Wenn das zur Zirkusnummer entartet, ist keinem damit gedient. Dieser Verantwortung ist man sich bewusst.
Aber die Tour de France gibt es ja immer noch. Mit Leuten wie dem geständigen Doper Bjarne Riis als Teamchef. Sind Sie eine unerschütterliche Optimistin - oder vielleicht naiv?
Wir können da jetzt in einzelnen Sportarten die Meinungen hin- und herdiskutieren.
Bleiben wir bitte beim Radsport.
Das ist für mich nicht der Maßstab. Ich hoffe, dass sich auch dort einiges bewegen wird, auch mit personellen Veränderungen beim Weltverband UCI. Es muss sich einfach verändern.
Gemessen an den Summen, die im globalen Sport verdient werden, wirkt der Anti-Doping-Kampf bei einem Jahresetat der Wada von 20 Millionen Dollar wie eine chronische Mangelverwaltung.
Wir könnten schon alle ein bisschen mehr Geld im System gebrauchen …
Warum stellt der Sport das nicht zur Verfügung?
Das ist natürlich eine Frage, die Sie mir nicht stellen dürfen. Ich glaube schon, dass der Sport ein Interesse daran hat. Und wir sehen ja auch in Deutschland: Einer der Stakeholder ist ja der Sport, der die Nada mit finanziert. Das dürfen wir nicht ausblenden.
Professor Simon hat die Verteilung der Gelder im Anti-Doping-Kampf kritisiert: 350 Millionen Dollar für das Testsystem, 7 Millionen für Forschung. Teilen Sie die Position?
Was die Forschungssummen angeht: Entschuldigung, aber da sollte man mal die ganze Wahrheit sagen. Sieben Millionen US-Dollar steckt allein die Wada jährlich in die Forschung. Vor Gründung der WADA hatten wir keine systematische Forschungsförderung. Ein Vielfaches wird zusätzlich von anderen Institutionen aufgebracht, und zwar in vielen Ländern, natürlich auch bei uns in Deutschland. Die Summe, die in die Forschung gesteckt wird, ist viel höher als die 7 Millionen. Da sollte man ganz einfach mal die technischen Dokumente kennen. Jeder, der ein bisschen Kenner der Szene ist, guckt mal nach, welche Veröffentlichungsintensität es in der Dopinganalytik gibt. Ich halte die Verteilung für richtig. Wir haben ein sehr hohes Niveau. Und da möchte ich keinen Deut von abrücken.
Herr Simon gilt durchaus als Kenner der Dopingszene. Er hat selber einen Test gegen Gendoping entwickelt.
Das ist ein Test, der von der Wada bisher für die routinemäßige Analyse von Dopingkontrollproben nicht anerkannt ist.
Aber was soll dann sein Interesse sein, so etwas zu erzählen?
Tut mir leid, ich weiß es nicht. Ich kenne Herrn Simon nicht persönlich. Ich möchte mich gern mal mit ihm darüber unterhalten. Das ist auch mein Anspruch. Ich möchte mit den Leuten, die eigentlich das gleiche Ziel wie wir haben, gemeinsam an einem Tisch sitzen und Strategien entwickeln.
Dann könnte die Nada jetzt aktiv auf Herrn Simon zugehen.
Gut, das kann auch umgekehrt sein. Aber das machen wir gerne.
Quelle: ntv.de, Mit Andrea Gotzmann sprachen Christian Bartlau und Christoph Wolf