Fußball-WM 2019

Lehrreicher WM-Abend für Silvia Neid Japan zelebriert Zukunftsfußball

Ehrfurcht auf der Ehrentribüne: Silvia Neid sah sich die japanische Demonstration der Stärke live im Stadion an. Sie dürfte beeindruckt gewesen sein.

Ehrfurcht auf der Ehrentribüne: Silvia Neid sah sich die japanische Demonstration der Stärke live im Stadion an. Sie dürfte beeindruckt gewesen sein.

(Foto: REUTERS)

Bundestrainerin Silvia Neid ist live dabei, als die Zukunft des Frauenfußballs beginnt. Sie sieht, wie Deutschland-Bezwinger Japan gegen Schweden kombiniert und dominiert wie noch kein Team bei dieser WM. Spielkunst, von der Neids DFB-Team weit entfernt ist - und die zum WM-Titel reichen könnte.

Und dann auch noch das. Kaum hatte es sich Silvia Neid nach flugs überwundener Sinnkrise neben Theo Zwanziger in ihrem Ledersitz auf der Ehrentribüne gemütlich gemacht, gelang den Schwedinnen, was der deutschen Mannschaft im Viertelfinale über zwei lange Stunden verwehrt geblieben war: Sie schossen ein Tor gegen Japan und brauchten dafür gerade einmal zehn Minuten. Josepine Öqvist zeigte der Bundestrainerin, wie einfach das sein kann. Fehlpass Japan, Antritt Schweden, Täuschung, Torschuss, Tor.

Was Silvia Neid und die 45.434 Zuschauer im nicht ausverkauften Frankfurter Stadion da noch nicht wissen konnten: Es sollte der einzige erfolgreiche schwedische Angriff in diesem zweiten Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft bleiben. Mit dem Selbstbewusstsein, den Titelverteidiger aus dem Turnier geworfen zu haben, machten sie das, was Spitzenteams machen, wenn sie in Rückstand geraten. Sie spielten einfach so weiter wie bisher und vertrauten auf ihre Fähigkeiten.

Tiefenentspannt: Japans Trainer Norio Sasaki wirkt während der Spiele unerschütterlich.

Tiefenentspannt: Japans Trainer Norio Sasaki wirkt während der Spiele unerschütterlich.

(Foto: dapd)

Die beschreibt ihr Trainer Norio Sasaki so: "Es ist egal, wer auf welcher Position spielt: Wenn eine Spielerin eine Aktion startet, ziehen alle in höchstem Tempo mit." Polyvalenz in Reinform. Lucien Favre, der als Trainer von Hertha BSC diesen Begriff im deutschen Fußball eingeführt hat, hätte seine helle Freude.

Das japanische Spielkonzept funktionierte wunderbar. Nahomi Kawasumi mit dem Knie (18.), Homare Sawa mit dem Kopf (59.) und noch einmal Kawasumi mit einem Heber aus 35 Metern erzielten die Tore zum 3:1 gegen letztlich chancenlose Schwedinnen und konnten mit ihren Kolleginnen gleich in Frankfurt bleiben. Dort findet am Sonntag das WM-Endspiel gegen die USA statt. Und wer gesehen hat, wie die Japanerinnen auf dem Platz harmonieren, den Ball laufen und sich nicht aus der Ruhe bringen ließen, der weiß: Sie gehen nicht als Außenseiter in dieses Finale. Frau Sawa sagt für japanische Verhältnisse sogar ungewöhnlich forsch: "Jetzt, wo wir hier sind, wollen wir mit dem Titel nach Hause."

Auch Silvia Neid dürfte etwas gelernt haben

Silvia Neid darf sich also zumindest damit trösten, im Viertelfinale gegen einen Finalisten und das Überraschungsteam dieser WM verloren zu haben. Sie wird aber auch etwas gesehen haben, was sie möglicherweise in leichte Unruhe versetzt. Die Japanerinnen boten ihr einen Ausblick auf die Zukunft des Frauenfußballs. Und sie wird erkannt haben, wie weit ihre Mannschaft derzeit davon entfernt ist.

Während sie die technisch hochbegabten Spielverderberinnen aus Fernost gegen die klar favorisierte DFB-Elf noch überwiegend darauf beschränkten, die Defensive zusammenzuhalten und die deutschen Spielerinnen mit ihrem ruhigen und geduldigem Kurzpassspiel so lange zu nerven, bis diese beim Gegentreffer in der Verlängerung die Übersicht verloren, dominierten sie gegen Schweden das Spiel.

Kopfballungeheuerchen Homare Sawa traf zum 2:1 - sie ist 1,63 Meter groß und war schon zum dritten Mal per Kopf erfolgreich bei dieser WM.

Kopfballungeheuerchen Homare Sawa traf zum 2:1 - sie ist 1,63 Meter groß und war schon zum dritten Mal per Kopf erfolgreich bei dieser WM.

(Foto: AP)

Zwar ließ die Mannschaft von Trainer Norio Sasaki auch diesmal, angetrieben von Kapitänin Homare Sawa in der Zentrale sowie den Mittefeldkolleginnen Aya Miyama und Shinobu Ohno auf den Flügeln, Ball und Gegner derart gekonnt laufen, dass einige Beobachter sich gar an die Spielkunst des FC Barcelona erinnert fühlten. Aber sie versuchten es zwischendurch auch mit langen Bällen und Flanken in den Strafraum. Wie dominant die Japanerinnen waren, belegt nicht zuletzt die Statistik: 60 Prozent Ballbesitz, 14:4 Torschüsse und 8:2 Ecken. Und eben 3:1 Tore.

Deutsche Fans flexibler als ihr Team

Nur ein bisschen mehr Stimmung hätten die Japanerinnen schon verdient gehabt. Zwar bedachten die Zuschauer sie am Ende mit einem herzlichen Applaus. Ansonsten aber litt die Atmosphäre darunter, dass die meisten Fans an diesem Abend die deutsche Mannschaft hier erwartet hatten. Sie boten zu Dutzenden vor dem Stadion ihre Eintrittskarten feil. Ein Schwarzmarkt war das nicht, die Tickets verkamen zur Ramschware und wechselten, wenn überhaupt, zu stark reduzierten Preisen ihren Besitzer. Eine Frau hatte von Beginn an die Lage realistisch eingeschätzt und bot auf einem Plakat ihre Karten gleich um die Hälfte billiger an. Nach Beobachtungen von n-tv.de allerdings bis kurz vor Spielbeginn erfolglos.

Viele Plätze jedenfalls bleiben leer, die Lücken waren deutlich zu sehen. Und die offizielle Zuschauerzahl lag offensichtlich höher als die Zahl der Menschen, die tatsächlich im Stadion waren. Für die, die da waren und auf ein gutes Spiel gehofft hatten, hat es sich immerhin gelohnt. Zumindest für die, die sich ernsthaft für Fußball interessieren. Wie Silvia Neid zum Beispiel.

Als Belohnung eine Armbanduhr

Die sah nämlich noch etwas, was die Japanerinnen auszeichnete. Während die Deutschen, glaubt man ihrer Trainerin, letztlich auch an der Last der hohen Erwartungen und dem damit verbundenen Druck gescheitert sind, scheinen die Asiatinnen damit kein Problem zu haben. Dabei hatte ihr Trainer sie vor dem Spiel damit motiviert, dass er ihnen Bilder von explodierenden Atomreaktoren in Fukushima zeigte. "Unser Land hat durch die Katastrophe viel mitgemacht. Wir wollen den Opfern eine kleine Hilfestellung geben und ein bisschen Mut machen."

Dank an die Welt: Japans Kickerinnen nach dem Finaleinzug in Frankfurt.

Dank an die Welt: Japans Kickerinnen nach dem Finaleinzug in Frankfurt.

(Foto: REUTERS)

Herr Sasaki war an diesem Abend in Frankfurt aber durchaus auch zum Scherzen aufgelegt. Und hatte auf Nachfrage eine originelle Idee, was seine Spielerinnen denn für eine WM-Prämie bekommen könnten. Denn über Geld habe man noch gar nicht gesprochen. "Ich fände es schön, wenn wir belohnt würden. Armbanduhren für alle, das wäre doch eine schöne Sache."

Quelle: ntv.de

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