Kinder-Doping in der DDR Funktionär verklärt Vergangenheit
14.09.2010, 17:11 UhrThomas Köhler war in den 1980er Jahren zweimal Chef de Mission der DDR-Mannschaft. Jetzt gibt er flächendeckendes Doping zu, auch bei Jugendlichen. "Der DDR blieb nichts anderes übrig", schreibt er. Zugleich relativiert Köhler die Praktik - und fällt mit längst widerlegten Behauptungen auf.
Fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung hat Thomas Köhler als erster hoher DDR-Sportfunktionär flächendeckendes Staatsdoping zugegeben und selbst Doping von Jugendlichen im Schwimmen eingestanden. In seinem Buch "Zwei Seiten der Medaille" bricht der frühere zweite Mann des DDR-Sports sein Schweigen. Der 70-Jährige widmet dem Dopingproblem in seinem Buch 20 von insgesamt 232 Seiten. Allerdings ist der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zweifelhaft.
"Wenn die DDR weiterhin im internationalen Sportgeschehen erfolgreich mithalten wollte, blieb nichts weiter übrig, als den Einsatz von Dopingmitteln zu gestatten", schreibt der 70-jährige Rodel-Olympiasieger und ehemalige Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB). Auch unterstellt Köhler Top-Athleten eine Mitwisserschaft. "Alle Mittel wurden im Einvernehmen mit dem Sportler verabreicht", behauptet er. Mir ist aus meiner Tätigkeit im Leistungssport nicht bekannt, dass ein Trainer oder ein Sportler von oben angewiesen wurde, Dopingmittel zu verwenden", so Köhler weiter.
Falsche Behauptungen Köhlers
Für zahlreiche Dopingverweigerer, die deshalb unter fadenscheinigen Gründen aus Nationalmannschaften der DDR ausgeschlossen wurden, müssen Köhlers Worte allerdings wie blanker Hohn klingen. Doch Köhler behauptet: "Es stimmt nicht, dass Sportler, die es ablehnten, unerlaubte Mittel zu verwenden, ihre Kaderzugehörigkeit verloren hätten". Im DDR-Sport war der heute 70-Jährige zweiter Mann hinter DTSB-Chef Manfred Ewald.

DDR-Schwimmerin Kristin Otto gewann 1988 in Seoul sechs Goldmedaillen. Wissentliches Doping bestreitet sie.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Laut Köhler waren kurz vor der Wende 90 Fachärzte in den Sportvereinen der DDR angestellt. "Die Vergabe von Medikamenten", berichtet Köhler, "erfolgte unter strengster Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht." Schwere gesundheitliche Zwischenfälle oder sogar Todesfälle habe es in der DDR nicht gegeben. Diese Behauptung Köhlers ist schlicht falsch, da längst durch die zahlreichen Prozesse von geschädigten DDR-Sportlern widerlegt.
Der Sportfunktionär räumt auch ein, dass sogar Minderjährige gedopt wurden. "Wenn Sportler bereits ab dem 16. Lebensjahr beteiligt wurden, geschah das vor allem unter Beachtung ihres biologischen Reifegrades." Dies sei vor allem im Schwimmen passiert. Inzwischen habe sich gezeigt, dass sogar noch jüngere Sportler gedopt wurden.
DOSB: Aussagen bringen Klarheit
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) begrüßte das Geständnis Köhlers. "Die Aussagen von Thomas Köhler bringen mehr Klarheit in die Aufarbeitung der Dopinggeschichte. Natürlich war der Staatsplan für flächendeckendes Doping bekannt gewesen, genau wie das Doping auch an Minderjährigen bereits in Prozessen in den 90er Jahren aufgedeckt worden ist", sagte Präsident Thomas Bach: "Aber die sportpolitisch Verantwortlichen der früheren DDR haben das immer weitgehend geleugnet."
Köhler lebt heute als Pensionär in Berlin. Von 1968 bis 1976 arbeitete er als Cheftrainer der DDR-Rennrodler. 1984 in Sarajevo und 1988 in Calgary war er Chef de Mission der DDR-Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen. Bis 1990 gehörte er dem Nationalen Olympischen Komitee der DDR an.
Quelle: ntv.de, dpa/sid