"Argentinien weh tun" Löw bringt die Sieger-Elf
03.07.2010, 10:59 UhrVor dem Viertelfinale wird Bundestrainer Löw diplomatisch und schmeichelt den auf Rache sinnenden Argentiniern, während die Siegerelf aus dem Spiel gegen England Härte ankündigt. Klose hält es wie Bayern-Coach Louis van Gaal - und beweist floristische Kompetenz.

Der Kapitän geht voran: Bastian Schweinsteiger lief die vergangenen Tage verbal auf Hochtouren.
(Foto: REUTERS)
Schmeicheln, sticheln und provozieren: Die deutsche Nationalmannschaft und der Trainerstab fährt vor dem WM-Viertelfinale gegen Argentinien das komplette Programm auf. Um 16 Uhr (n-tv-Liveticker, ZDF und Sky) beginnen mindestens eineinhalb Stunden der Wahrheit. "Unsere Vorfreude auf das Spiel ist riesig. Wir wollen, dass es endlich losgeht. Ich liebe solche Spiele wie gegen England oder Argentinien, das ist auch für mich eine große Herausforderung, mich mit den Besten der Welt zu messen", sagte Bundestrainer Joachim Löw vor dem K.o.-Spiel gegen die Südamerikaner.
Das Gleiche würden wahrscheinlich sämtliche deutschen Nationalspieler - schon das Trikot der beiden Team sagt vieles über die Neuauflage des Viertelfinals von 2006. Während die "Gauchos" zwei Sterne für ihre beiden gewonnenen Weltmeisterschaften auf der Brust tragen, sind es beim DFB-Team drei. Doch nach dem Finale sollen es bitteschön doppelt so viele sein wie vom Konkurrenten aus Südamerika. Die DFB-Elf kann in Bestbesetzung auflaufen, auch Lukas Podolski ist dabei.
Und so wollen Lahm, Özil, Schweinsteiger und Co. ihre Mission "4. Stern" mit einem erneuten Sieg fortsetzen. Zur "besonderen Motivation" vor dem brisanten Klassiker zeigte Löw seinen Stars im fernen Südafrika Bilder von jubelnden Fans in der Heimat. Eben die will der Vize-Europameister nicht enttäuschen. "Argentinien soll nicht das Ende sein" kündigte Miroslav Klose, der sein 100. Länderspiel bestreiten wird, vor dem Duell gegen die von Diego Maradona betreuten Argentinier selbstbewusst an und ergänzte: "Es ist nicht einfach. Allerdings ist ab jetzt alles möglich. Frei nach Louis van Gaal: Tod oder Gladiolen."
DFB-Team ohne Angst

Paul, das WM-Orakel im "Sea Life" Oberhausen, hat sich entschieden: Deutschland wird gewinnen.
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Auch Löw stellte bei allem Respekt vor den Argentiniern, "die für mich der WM-Favorit schlechthin sind", Zuversicht zur Schau: "Wir alle wissen, dass es weitergehen kann. Wir sind unter den letzten Acht - und wollen und können unter die letzten Vier kommen. "Erfahrung spiele dabei "nicht immer die entscheidende Rolle. Wir können sie auch mit dieser jungen Mannschaft schlagen", ergänzte der Bundestrainer. Außerdem sei seine Mannschaft "bis in Haarspitzen" motiviert: "Wir werden nicht zitternd in der Kabine sitzen und hoffen, dass der Schiedsrichter nicht anpfeift."
Während in den vergangenen Tagen die Giptpfeile hin- und hergeflogen waren und vor allem Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger die Stimmung zusätzlich angeheizt hatte, bemühte sich Löw sichtlich, die Wogen zu glätten und das Sportliche in den Vordergrund zu rücken. Sogar die Rauferei im Anschluss an das WM-Viertelfinale 2006 (4:2 i.E.) spielte der Bundestrainer herunter.
Löw schwärmt von Messi
"Ich habe das Spiel vor vier Jahren in keiner Phase unfair oder brutal gesehen. Es war hart umkämpft, aber nie geprägt von Unfairness. Dass Argentinien sehr leidenschaftlich, emotional, körperbetont und einsatzfreudig spielt, entspricht ihrer Mentalität. Darauf müssen wir uns einstellen", sagte Löw. Gleichzeitig schwärmte der DFB-Chefcoach von Argentiniens Offensive um Weltfußballer Lionel Messi. "Sie haben offensive Spieler die fast unvergleichlich sind. Wenn ich sehe, dass da ein Milito auf der Bank sitzt, spricht das für die unglaubliche Qualität der Mannschaft." Deshalb warnte Löw auch davor, sich bei "dieser Offensivmacht" nur auf Superstar Messi zu konzentrieren: "Nicht nur Messi ist schwer unter Kontrolle zu bringen. Spieler wie Tevez, Higuain oder Rodriguez können ein Spiel auch alleine entscheiden. Sie können Fehler gnadenlos ausnutzen."
Die Mannschaft selbst steht unter Hochspannung: So kündigt Schweinsteiger eine Taktik an, "die Argentinien hoffentlich weh tut". Löw hat nach intensivem Videostudium die ein oder andere Schwäche ausgemacht: "Auch Argentinien ist verwundbar." Das eigene Spiel stellt sich der Bundestrainer deshalb wie folgt vor: "Die ganze Mannschaft muss verteidigen. Es müssen sich alle beteiligen, wenn wir in Ballbesitz sind und auch alle, wenn wir in der Defensive sind. Wir dürfen nach Ballverlusten nicht stehen bleiben und müssen alle hinter den Ball kommen", forderte er und fügte an: "Ansonsten haben wir gegen Argentinien kaum eine Chance."
Als moralische Unterstützung stieß auch der verletzte Kapitän Michael Ballack zur Mannschaft. "Es freut uns sehr, dass Michael da ist. Es zeigt die Verbundenheit. Er hat allen persönlich gratuliert", erzählte der Bundestrainer. Ballack wird auf der Tribüne des laut Löw "sehr imposanten" Green-Point-Stadions zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Daumen drücken.
"Auf Biegen und Brechen"
Eine tragende Rolle in diesem Drehbuch dürfte gegen den zweimaligen Weltmeister mit den "überragenden Offensiv-Möglichkeiten" die neue deutschen Kicker-Generation um Özil, Khedira, Müller, Neuer und Boateng spielen. Das die neue junge Achse der Mannschaft Qualität hat, zeigt die bisherige Turnier-Leistung. "Wir haben uns gesteigert als Mannschaft", betonte der 21-jährige Jérome Boateng, der ebenfalls den viel bestaunten Aufstieg des jungen DFB-Teams in Südafrika personifiziert.
Neben der gefährlichen Offensive um Messi warnte Löw nochmals besonders vor der körperbetonten Spielweise und der Aggressivität der Südamerikaner. "Sie bestreiten Zweikämpfe am Rande der Legalität, das ist ihre Stärke", sagte der 50-Jährige. Darauf müsse sich sein Team einstellen, auch wenn gleich sechs einsatzfähigen Spielern bei einer Gelben Karte das Aus für ein mögliches Halbfinale gegen Europameister Spanien oder Paraguay droht. Boateng versicherte, dass sich vom aggressiven Stil der Südamerikaner keiner beeindrucken lassen werde: "Wir werden natürlich auch hart spielen."
Merkel und Ballack auf der Tribüne
Der Zuspruch und die Zuversicht sind im und um das Team groß. Was die Mannschaft bislang schon geleistet hat, sei hervorragend, übermittelte Michael Ballack. Im "Southern Sun"-Hotel im Vorort Newsland bezog der verletzte Kapitän gemeinsam mit den aktuellen WM-Spielern Quartier. "Das zeigt seine Verbundenheit", bemerkte Löw. Gegen Argentinien muss sich Ballack aber mit einem Tribünenplatz in der Nähe von Edelfan Angela Merkel begnügen, denn auf die Bank darf er als inoffizielles Mitglied des deutschen WM-Teams nicht.
Nicht nur die Zuschauer im Stadion und zuhause in Deutschland freuen sich auf einen weiteren Höhepunkt bei dieser WM: "Es gibt einen Fight auf Biegen und Brechen", kündigte Löw in souveräner Art an. Seit Monaten habe er "ein Drehbuch im Kopf". Hoffentlich das passende.
Quelle: ntv.de, rpe/dpa/sid