"In der Kabine haben alle geheult" WM-K.o. schockt Brasilien
02.07.2010, 21:58 Uhr
Brasilianische Trauer (I)
(Foto: REUTERS)
Der sechste WM-Titel sollte in Südafrika her und Brasiliens "Seleção" ist gegen die Niederlande auch auf Kurs: Robinho gelingt die frühe Führung, sein Team ist besser, das Halbfinale scheinbar gebucht - bis Felipe Melo doppelt patzt und Johan Cruyff damit doppelte Genugtuung bereitet.
Lucio riss sich wütend die Spielführerbinde vom Arm, Kaka weinte hemmungslos, und Trainer Dunga sprach bereits von Abschied: Brasilien versinkt nach dem geplatzten Traum vom sechsten WM-Titel in einem Tränenmeer, an der Copacabana verstummten die Samba-Trommeln.
Während die "Seleção"-Stars nach dem 1:2 (1:0) im Viertelfinale von Port Elizabeth ihren verpassten Chancen nachtrauerten, standen 180 Millionen fußballverrückte Brasilianer unter Schock. Zur Mittagszeit verfolgten am Zuckerhut die gelb-grünen Fans fassungslos das unnötige Aus ihrer Lieblinge. Der Gastgeber der kommenden WM kehrt als verbitterter Verlierer Südafrika den Rücken und in die Heimat zurück.
"Keiner hat dieses Ergebnis erwartet. Die Gruppe war voller Selbstvertrauen. Im Fußball passieren solche Dinge", sagte Torwart Julio Cesar: "In der Kabine haben alle geheult. Wir waren uns doch so sicher. Die Niederlande haben sich den Sieg im zweiten Durchgang verdient. Es bleibt eine große Traurigkeit zurück."
Dunga rechnet mit Abschied
Brasilien hatte in Südafrika bis zum 3:0 im Achtelfinale gegen Chile souverän, aber unspektakulär agiert. Allein diese Tatsache löste in der Heimat deutliches Murren aus. Nun droht der Selecao ein Spießrutenlauf, und Dunga, der 2006 nach der WM in Deutschland als Trainernovize den begehrten Posten übernommen hatte, das Aus.
Damit rechnet der 46-Jährige auch selbst. "Ich wusste von Beginn meiner Arbeit an, dass es vier Jahre sein werden", sagte Dunga in der Pressekonferenz äußerlich völlig gefasst. Nur unmittelbar nach dem Schlusspfiff war ihm die Erschütterung anzumerken gewesen, als er sich leichenblass mit einem Kopfschütteln vom Spielfeld abwandte.
Dunga hatte sich in Südafrika mehrfach mit den heimischen Journalisten angelegt - und bekam unmittelbar nach dem Abpfiff die Rechnung präsentiert. "Er ist mehr ein Feldherr, er sollte von der Nationalmannschaft wegbleiben. Das ist das Mindeste, was die Leute erwarten können", schrieb die Zeitung "O Dia" auf ihrer Internetseite, auf der die Fotos vom Spiel in schwarz-weiß und mit Trauerflor zu sehen waren.
Doppelte Genugtuung für Cruyff
Am deutlichsten hatte die Kritik am Beamten-Fußball der Dunga-Elf allerdings ein Niederländer, "König" Johan Cruyff, formuliert. "Das Spiel der Brasilianer ist eine Schande für die Fans und das Turnier. Normalerweise verfügt Brasilien über eine Mannschaft, die die Menschen gerne spielen sehen wollen. Jetzt aber habe ich kein Geld übrig für eine Eintrittskarte, um Brasilien spielen zu sehen", sagte Cruyff. Ausgerechnet, nachdem die Selecao erstmals zumindest 45 Minuten lang geglänzt hatte, schied sie aus.

Kaka & Co. tanzten gegen die Niederländer nur eine Halbzeit. Nach dem Tor zum 1:2 fiel ihnen nichts mehr ein.
(Foto: dpa)
Im "vorweggenommenen Finale", wie es Stürmer Robinho nannte, straften Kaka und Co. Cruyff zunächst Lügen. Vor allem in der ersten Halbzeit spielten sie das Oranje-Team förmlich an die Wand. Nach dem 1:0 durch Robinho vergaben Kapitän Lucio und sein Team zahlreiche weitere Chancen, frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen. Doch in der zweiten Halbzeit machten sie sich selbst alles kaputt.
Melo zweimal indisponiert
Unglücksrabe Felipe Melo brachte das bis dahin fast hilflose Oranje-Team mit einem Eigentor (53.) wieder ins Spiel. Fünf Minuten, nachdem Wesley Sneijder (68.) zum 2:1 getroffen hatte, sah der Mittelfeldspieler auch noch die Rote Karte wegen einer Tätlichkeit an Arjen Robben. "Ich habe meinen Anteil an der Schuld, wie jeder andere auch. Wir haben versagt", sagte Felipe Melo, der sich auf einen heißen Tanz gefasst machen kann. "Felipe Melo sollte besser seine Ferien nicht in Brasilien verbringen", schrieb WM-Rekordtorschütze Ronaldo auf seinem Mikroblog Twitter.
Für die Selecao bedeutete die Unbeherrschtheit des Mittelfeldspielers den Todesstoß. "Es sollte nicht sein. Felipe Melo zerstört das brasilianische Fest", schrieb "O Globo": "Es war die Chronik eines angekündigten Todes."
Quelle: ntv.de, sid