Bayerns Zitterpartie Glück - aber keine Glücksgefühle
11.12.2003, 13:30 UhrSie hatten Glück, aber waren alles andere als glücklich. Als der Super-Gau in der Champions League gerade noch verhindert worden war und sich Bayern München ins Achtelfinale gezittert hatte, redete Franz Beckenbauer einmal mehr Tacheles. "Ich habe gedacht, ich erlebe ein Fußballspiel, aber das hatte mit Fußball nichts zu tun. So kommen wir nicht weiter. Das war ein Rückfall in die schlimmen letzten Wochen. In der zweiten Hälfte ist die Mannschaft völlig aus den Fugen geraten", wetterte der ergraute Vereinspräsident, nachdem Roy Makaay per Foulelfmeter (42.) für ein schmeichelhaftes 1:0 (1:0) über den RSC Anderlecht gesorgt hatte.
Während Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge lieber gänzlich schwieg, gestand auch Manager Uli Hoeneß die Malaise offen ein: "Wir müssen zugeben, dass wir im Moment nicht der FC Bayern sind, den wir gerne sehen. Ich muss die Worte, dass Europa vor uns Angst haben muss, zurücknehmen." Der "Bayern-Dusel" ist wieder da, das Selbstbewusstsein noch lange nicht: "Egal, wen wir in der Auslosung erwischen, wir werden wahrscheinlich Außenseiter sein", meinte Innenverteidiger Thomas Linke.
"Wir sind psychologisch noch nicht so gefestigt", klagte auch der erneut überragende Torwart Oliver Kahn, der seine Mannschaft einige Male vor dem Ausgleich bewahrt hatte: "Die Mannschaft kann 50 Prozent mehr, als das, was sie bisher gezeigt hat. Das Einzige, was ich im letzten halbe Jahr gelesen habe, ist: Dass hier alles nur scheiße ist. Und das nagt natürlich an den Spielern."
Auch Trainer Ottmar Hitzfeld redete um die panikartigen Aktionen in der letzten halben Stunde nicht lange herum: "Das hängt mit den Nerven zusammen. Jeder Spieler hat Angst bekommen, einen Fehler zu machen. Und das lähmt dann auch die Beine."
Hauptsache: Bayern ist weiter
Wenigstens DFB-Teamchef Rudi Völler hatte ein paar aufmunternde Worte für den deutschen Rekordmeister parat. "Die Bayern haben sich das hart erarbeitet, auch wenn der Sieg ein bisschen glücklich war. Aber jetzt zählt nur eines: Hauptsache weiter ", sagte der 43-Jährige, der sich die Partie als einer der 52.000 Zuschauer im Olympiastadion angeschaut hatte - und freute sich für den deutschen Fußball im Ganzen: "Dass wir mit Stuttgart noch zwei Mannschaften in der Champions League haben, ist für uns ganz wichtig."
Ein wenig stille Genugtuung herrschte dann aber doch - darüber, dass es trotz aller Probleme gelungen war, die drohende Wiederholung der Vorjahres-Blamage abzuwenden. "Der FC Bayern bekommt permanent auf die Schnauze, aber ist dann doch am Ende erfolgreich", meinte Kahn. "Ich bin um einige Jahre gealtert. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen", gestand auch Trainer Ottmar Hitzfeld, dessen Schützlinge vor allem in der Offensive gegen den belgischen "Herbstmeister" nur wenig bis gar nichts zu bieten hatten.
Hitzfeld will AS Monaco
Als Gruppenzweiter droht den Bayern, die am Samstag in der Bundesliga den VfB Stuttgart empfangen, nun ein "Hammerlos". Der deutsche Meister ist schließlich bei der Auslosung am Freitag in Nyon nicht gesetzt und könnte daher schon in der Runde der besten 16 am 24./25. Februar und am 9./10. März beispielsweise auf Real Madrid oder Arsenal London treffen.
Doch von einem weiteren Nervenspiel gegen einen europäischen Top-Klub wollen die Münchner vorerst nichts wissen. Nur Hitzfeld äußerte einen konkreten Wunsch: "Jetzt sind nur noch absolute Top-Klubs dabei. Der AS Monaco wäre ein angenehmer Gegner. "
Bis zur nächsten Runde gibt es aber auf jeden Fall noch eine Menge zu tun. "Irgendwie durchbeißen und dann in die Winterpause gehen", forderte Kahn. "Die Angst vor dem FC Bayern müssen wir uns in der Winterpause erst wieder erarbeiten ", formulierte Hoeneß. Denn, so Beckenbauer: "Die Brust der Bayern ist sehr schmal im Moment."
Großes Lob für Kahn und Makaay
Großes Lob gab es derweil nicht nur für Kahn (Beckenbauer: "Er hat den Sieg festgehalten"), sondern auch für Makaay. Der Niederländer hatte den Strafstoß anstelle des etatmäßigen Schützen Michael Ballack geschossen und so bereits sein fünftes Champions-League-Tor für die Münchner markiert. "Er ist ein eiskalter Spieler. Der weiß gar nicht, was das ist: Nerven", schwärmte Kahn.
Eine erneute Diskussion um Ballack, der diesmal wie befohlen deutlich defensiver agierte, will der Rekordmeister indes um jeden Preis vermeiden. Trotz aller Kritik meinte Beckenbauer: "Es ist Unsinn, mit dem Finger auf einen zu zeigen. Der Einzelne ist da machtlos. Da standen doch gestandene Profis auf dem Platz, jeder mit 100 Länderspielen auf dem Buckel, das ist doch keine Schülermannschaft."
(von Christian Pfennig und Markus Seyrer, sid)
Quelle: ntv.de