Sport

Nach Triumph "leidet" Trainer Gold-Heldin Preuß besiegt sogar ihren eigenen Körper

Zwölf Jahre gehört Franziska Preuß bereits zur Weltelite des Biathlon. Jetzt feiert sie bei der WM den größten Triumph. Hinter ihr liegt eine irre Leidenszeit, ihr eigener Körper wehrt sich jahrelang gegen den Spitzensport. Umso doller fließen jetzt bei allen die Tränen - und fallen die Haare büschelweise.

Franziska Preuß hatte am Sonntagabend noch einen wichtigen Job zu erledigen. Die Weltmeisterin betätigte sich kurzerhand als Friseurin. Ihre Trainer Sverre Olsbu Roiseland und Kristian Mehringer mussten ihre Köpfe hinhalten - und das für fragwürdige Muster der Künstlerin. Ein Herz hier, ein Blitz dort, hier ein komischer Pony und eine Tonsur. Preuß hatte sichtlich Spaß, die vielen Zuschauer des deutschen Biathlon-Teams ebenfalls. Roiseland und Mehringer dürften sich derweil freuen, dass sie Trainer bei einem Outdoor-Sport sind und in den kommenden Tagen nicht nur wegen der Kälte, sondern auch wegen der Sponsorenaufnäher ihre Mützen tragen müssen.

Die Frau von Roiseland, Ex-Spitzenathletin Marte Olsbu Roiseland, schrieb bei Instagram jedenfalls: "Franzi, was hast du mit meinem Mann gemacht?" Und stellte gleichzeitig fest: "Ich denke, das ist der Preis, den du zahlen musst, wenn du Trainer einer Weltmeisterin bist." Und damit liegt sie goldrichtig, denn das war der Deal: Preuß gewinnt und darf rasieren.

"Könnte Rotz und Wasser heulen"

Die 30-Jährige so gelöst zu sehen, das dürfte den Trainern ihr Haar locker wert sein. "Es war verrückt. Ich habe gegen die Tränen gekämpft, dann musste ich lachen vor Glück. Dieses Rennen werde ich nie vergessen", sagte Preuß nach ihrem größten Erfolg. Statt zu lachen und zu siegen, hat Preuß schon allzu oft bittere Tränen vergießen müssen. Immer wieder hatte ihr Körper gestreikt und den Dienst einer Spitzenathletin verweigert. Mehrfach hatte sie Saisons vorzeitig beenden müssen, hatte auf die Heim-WM 2023 in Ruhpolding verzichten müssen. Preuß hatte aber nie aufgegeben, hatte immer wieder einen neuen Anlauf genommen, sich herangekämpft an die Weltspitze - um den nächsten Nackenschlag zu kassieren. Bis jetzt.

Ex-Biathlet Michael Rösch zeigte sich deswegen völlig begeistert: "Es gibt keine, die es sich mehr verdient hat, als Franzi. Sie hat so oft aufs Maul gekriegt, so viel durchgemacht. So viele Verletzungen, Krankheiten. Die letzte Einzelmedaille war 2015, wir reden von zehn Jahren und heute war dieser Tag X, wo alles geklappt hat", sagte der heutige Eurosport-Experte bei sport.de. "Das fasst mich so emotional an, weil da eine Geschichte dahintersteht. Wenn da Tränen kommen - ich bin ja eigentlich eher ein emotionaler Muffel - aber bei sowas könnte ich Rotz und Wasser heulen."

Auch Preuß vergoss so einige Tränen. Nach Bronze mit der Mixed-Staffel und Silber in der Verfolgung holte sie im dritten Rennen ihre dritte Medaille, der Satz ist jetzt schon komplett. Da weinte auch das Team, da weinten auch ihre Eltern, die bei der WM im schweizerischen Lenzerheide live dabei sind. Ihre Mutter Elisabeth musste sich beim Zieleinlauf ihrer Tochter erst einmal kurz setzen. "Ich habe einfach die Fassung verloren. Wir haben viele, viele zähe Jahre mit Franzi hinter uns. Dass wir das jetzt miterleben dürfen, ist einfach unglaublich", sagte sie laut "nd". Wenig später schlossen sie und ihr Mann Georg die Tochter fest in die Arme. "Für meine Eltern auch ein mega Moment, die haben alle Tiefen am meisten mitgekriegt. Die wissen mit am besten, was in einem Sportler los ist, wenn es mal nicht läuft", so Preuß.

Erstes Olympia mit Nervenzusammenbruch

Ihre Eltern waren es, die die junge Franziska einst zum Biathlon brachten. 2009 schenkten sie ihr die Teilnahme an einem Biathlon-Trainingscamp von Legende Fritz Fischer. Preuß hatte bis dahin Leichtathletik gemacht, fing aber sofort Feuer. Nur drei Jahre später war sie bei den ersten Olympischen Jugend-Winterspielen dabei, gewann dreimal Gold und einmal Silber und war die erfolgreichste Athletin. Im November 2013 gab sie mit gerade einmal 19 Jahren ihr Debüt im Weltcup, ein Jahr später war sie bei den Olympischen Spielen in Sotschi dabei, hechelte da aber von Debakel zu Debakel. Der schreckliche Höhepunkt war das Einzelrennen, in dem sie nach fünf Schießfehlern mit "einem Nervenzusammenbruch" - so sagte es Ex-Siegläuferin Magdalena Neuner, die auch mit Kritik an den Trainern nicht sparte - vorzeitig aus dem Rennen genommen wurde. Doch bereits ein Jahr später zahlte sich die Qual aus: Bei der WM 2015 gewann Preuß Silber im Massenstart und gehörte zur Gold-Staffel.

Wer nun dachte, ab jetzt gibt es die nächste deutsche Siegläuferin, der wurde getäuscht. Das Leiden begann erst richtig. In der Saison 2015/16 erlitt sie einen Haarriss im Steißbein, ein Jahr drauf kämpfte sie gegen Infekte und eine Grippe und musste letztlich die WM 2017 sausen lassen. Immer wieder warfen Infekte sie zurück - bis sie 2020/21 aufgrund der Hygienemaßnahmen wegen der Coronavirus-Pandemie erstmals einigermaßen gesund blieb. Prompt wurde sie Dritte im Gesamtweltcup. Dann ereilte auch sie eine Corona-Erkrankung, sie fiel mehrere Wochen aus, startete 2022/23 neu durch, musste aber vorzeitig einsehen, dass die Saison für sie keinen Sinn ergibt. Bitter: die Weltmeisterschaft in ihrer Heimat Ruhpolding fand ohne sie statt. Dann infizierte sie sich erneut mit dem Coronavirus, fiel wieder aus und musste mit ansehen, wie sie als bis dahin Führende des Gesamtweltcups überholt wurde. Bis zur WM 2024 berappelte sie sich - um dann mit Halsschmerzen ausgerechnet in der Staffel erneut zu fehlen, das Frauen-Quartett gewann ohne sie Bronze. Wieder einmal beendete sie die Saison vorzeitig.

Irre Krankenakte

Andere hätten bei dieser Krankenakte wohl längst aufgegeben, Preuß aber hielt sich am letzten Strohhalm fest: Operation der Stirnhöhle, ein chronischer Entzündungsherd ihres Körpers. "Es war nicht gerade die angenehmste Operation, aber ich bin froh, dass ich mich dazu entschieden habe. Denn ich merke tatsächlich jetzt schon eine deutliche Verbesserung", sagte sie im Herbst 2024 der "Abendzeitung": "Im Training merke ich schon, dass ich belastbarer bin."

Eine Aussage, die so viel Hoffnung schürte. Und schon Anfang Dezember wieder infrage gestellt wurde. Beim Weltcup-Auftakt im finnischen Kontiolahti stieg sie mit einem dritten Platz im Massenstart ein - musste aber direkt für die Staffel wieder einmal krank absagen. Die Sorgen waren groß, dass doch alles umsonst war. Nicht aber bei Preuß, die ihrem Körper trotz der ganzen Tiefschläge vertraute. Sie sollte Recht behalten. Mit einem offenbar funktionierenden Immunsystem hat sie ein Abo auf Podiumsplätze abgeschlossen. Den Gesamtweltcup führt die 30-Jährige, die seit 2015 mit Ex-Biathlet Simon Schempp liiert ist, an. Auch im Sprintweltcup und im Massenstartweltcup liegt sie auf Platz eins, im Einzel- und Verfolgerweltcup ist sie jeweils Zweitplatzierte hinter der Französin Lou Jeanmonnot.

"Es ist wirklich ein Traum"

"Der Gamechanger war vielleicht einfach, dass ich mal gesund bleibe und körperlich alles gut wegstecke. Die Erholung funktioniert aktuell. Manchmal ist das die Schlüsselstelle, die den Unterschied machen kann", sagte sie vor der Weltmeisterschaft. Beim Schießen macht ihr sowieso keine was vor, mit 92 Prozent Trefferquote gehört sie zu den Besten im Feld. Und wer gesund bleibt, kann tatsächlich endlich auch mal konsequent in der Loipe trainieren.

Das zahlt sich nun bei der WM voll aus. Zum Einstieg gab es Bronze in der Mixed-Staffel, dann folgte Silber im Sprint und schon beim dritten Wettkampf machte sie den Medaillensatz komplett. Gold in der Verfolgung. Ihr größter Erfolg. "Wahnsinn! Cool! Ich kann es gar nicht fassen. Es war wirklich ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist." Einer, für den sie seit zwölf Jahren kämpft.

Einer, den sie nun mit dem Rasierer in der Hand feiert. Und mit Schlaf - denn mit dem Einzel, der Staffel, der Single-Mixed-Staffel und dem Massenstart stehen noch vier Rennen an, für die Preuß aufgestellt werden kann. "Wenig Sport und viel Zeit im Bett, um möglichst viele Körner zu sparen" nahm sie sich daher für den freien Montag vor. Dann sollen weitere Medaillen folgen.

Quelle: ntv.de

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