Deutschland und deutsche Türken Integrationstest Halbfinale
23.06.2008, 17:26 UhrFreude auf eines der feurigsten Fußballfeste, aber durchaus auch Angst vor Ausschreitungen - die Gefühle zum EM- Halbfinale Deutschland-Türkei sind in der Bundesrepublik gemischt. Angesichts millionenfachen Fußballfiebers in Straßen, Kneipen und Fanmeilen kommt plötzlich wieder hoch, was Millionen Deutsche und Deutsch-Türken zusammen erlebt oder versäumt haben. Ein Spiel als Integrationstest - wie erwachsen ist die Beziehung zwischen Eingewanderten und Einheimischen?
Ungebrochen freudig ist der Tonfall der Amtsträger vor Mittwoch nicht. Da hofft Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff auf eine friedliche Stimmung. Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spricht vom gegenseitigen Respekt der Fans. Sadi Arslan, Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Union DITIB will, dass auch die deutsch- türkische Freundschaft gewinnt. Sind Beschwörungsformeln nötig?
Gegenseitiges Fremdeln
Widersprüche, auch Verletzungen im deutsch-türkischen Verhältnis kommen immer wieder hoch. Argwohn schwang zuletzt mit, als von Deutschland aus beobachtet wurde, wie der junge Marco in der Türkei wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt war. Nach dem Brand in einem von Türkischstämmigen bewohnten Haus in Ludwigshafen mischte sich in Trauer zunächst Misstrauen. Immer wieder beklagen Politiker die Parallelgesellschaften türkischer Prägung in hiesigen Städten - was von Soziologen ebenso regelmäßig zurückgewiesen wird, weil es so große Einheitlichkeit gar nicht gebe.
Die Geschichte gegenseitigen Fremdelns ist so alt wie die Einwanderung von Türken - vor rund einem halben Jahrhundert zunächst als Gastarbeiter - nach Deutschland. Viele schienen keineswegs forsch nach fließendem Deutsch und nach Aufstieg zu streben - viele Deutsche sahen Zuwanderung ihrerseits weniger als Bereicherung, mehr als Belastung. "Ein Einwanderungsland wider Willen sollte sich über gelegentlich widerwillige Einwanderer nicht wundern", meint der Migrationsforscher Klaus J. Bade. Schon 1979 warnte der erste Bundesausländerbeauftragte Heinz Kühn seine Landsleute vor mangelnder Integrationsförderung. Erst 2005 wurde Integration mit dem Zuwanderungsgesetz zur staatlichen Aufgabe erklärt.
Identitäten mischen sich
Der Kontakt vieler Deutscher zu Deutsch-Türken beschränkte sich auf den regelmäßigen Kauf von Döner und Falafel. Zugleich avancierte die Türkei zu einem der beliebtesten Urlaubsziele Deutschlands. Eingewanderte in Deutschland schneiden bei Arbeitslosigkeit, Schulchancen und Einkommen im Schnitt aber bis heute deutlich schlechter ab als seit jeher Einheimische. Doch auch die Deutschen sehen ihre Lage bekanntlich keineswegs durchgängig rosig. Und je mehr rund zwei Millionen Menschen türkischer Abstammung in Deutschland bei Bildung und Karriere-Chancen aufholen, desto öfter begegnen sich Deutsche und Deutsch-Türken auch außerhalb der Döner-Restaurants.
Und die Identitäten bei den Deutsch-Türken mischen sich längst - wie es zum Halbfinale wieder deutlich wird. "Ich empfinde mich als Halb-Türkin, Halb-Deutsche", sagt eine in Deutschland aufwachsende Schülerin. Beim Fußballgucken schlage ihr türkisches Herz, gemeinsam mit ihren deutschen Freunden eher ihr deutsches. Die Autorin Mely Kiyak zitierte in der "Frankfurter Rundschau" einen türkischen Fan: "Ich bin so glücklich, dass die Türkei gegen Deutschland spielen wird. Wer dann gewinnt, ist völlig egal." Kiyak meint, das bedeute vor allem: "Endlich sind wir auf Augenhöhe."
Die Wahrheit liegt auf dem Platz
Manchmal schwierig, aber auch nicht schlecht ist auch das Verhältnis zwischen den maßgeblichen Stellen. Jetzt erst ließ aufhorchen, dass die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) dem Bundeskongress der Türkischen Gemeinde absagte, weil Vertreter wegen der geplanten Einbürgerungstests Böhmer auch persönlich attackiert hatten. Zäh gestaltete sich auch das Ringen vor und während der jüngsten Islamkonferenz im März, hier allerdings vor allem zwischen den islamischen Organisationen - es gab aber auch Beschlüsse hin zu Islam-Unterricht und für forcierten Moscheen-Bau in Deutschland.
Viele Fortschritte und Hemmnisse im Verhältnis zwischen Deutschen und deutschen Türken spielen sich unspektakulär ab. Nach Ansicht von Klaus Bade haben die Zuwanderer bereits seit Jahrzehnten eine "friedliche alltägliche Integrationsbereitschaft". Der Chemnitzer Migrationsforscher Bernhard Nauck sagt zum Halbfinale: "Ich sehe keine Indizien für eine aufgeheizte Stimmung." Und der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening zeigt sich überrascht von der Debatte über Integration und mögliche Sicherheitsprobleme im Fußballtaumel: "Die Menschen, die dies diskutieren, wissen nicht, wie groß die Normalität ist." Zumal die Wahrheit angesichts der vielen deutschen Nationalspieler mit Migrationshintergrund ohnehin auf dem Platz liegt.
Von Basil Wegener, dpa
Quelle: ntv.de