"Ansammlung von Kriminellen" Interview mit Werner Franke
04.07.2002, 13:23 UhrDer Heidelberger Doping-Experte Werner Franke spricht über den Fall Jan Ullrich. Er prangert die verbrecherischen Strukturen im Radsport an und verurteilt das inkonsequente Vorgehen gegen die Sünder.
Wie sehr überrascht die Meldung über die positive A-Probe von Jan Ullrich?
Werner Franke: Der Radsport ist von Amphetaminen verseucht und eine Ansammlung von Kriminellen. Das klingt hart. Aber man muss sich klar machen, dass es hier nicht nur viele Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz gibt, sondern dass hinter dem Handel mit Rauschmitteln, mit illegalen Drogen, eine Beschaffungskriminalität steckt, ein verbrecherischer Handel.
Wie logisch ist für Sie, dass Jan Ullrich zu einem Zeitpunkt ohne Rennen Amphetamine genommen haben soll?
Franke: Nicht nur im American Football sind Amphetamine ein beliebtes Mittel in der Trainingsphase. Die schnelle Pulle hat auch im Radsport schon lange Tradition. 1960 fiel der der Däne Knud Jensen tot vom Rad, 1967 der Brite Tom Simpson - beides Amphetaminfälle. In den vergangenen Jahren gab es in dieser Sportart sehr viele Delikte mit diesem Mittel.
Welche Leute könnten Jan Ullrich die verbotene Substanz verschafft haben. Ist der Telekom-Arzt Lothar Heinrich automatisch der Schuldige?
Franke: Er ist viel zu intelligent, um Jan Ullrich solche Mittel zu geben. Fast alle Teams haben in ihrem Umfeld solche Gurus. Aber man kann den Ärzten zumindest vorwerfen, dass sie diese Leute dulden.
Es gibt jede Menge Doping-Affären im Radsport, aber die Konsequenzen sind vergleichsweise gering. Das Problem wird offenbar wenig erfolgreich bekämpft?
Franke: Allein bei der Skandal-Tour 1998 gab es in Frankreich 63 strafrechtliche Urteile, das muss man sich mal vor Augen führen. Aber die Strafen sind lächerlich. Ein paar Monate Sperre, meistens außerhalb der Saison - das dient nicht zur Abschreckung. Ein Andreas Kappes beispielsweise wäre in einer anderen Sportart nach dem zweiten Fall lebenslang gesperrt worden.
Das Interview führte Gerd Holzbach, sid
Quelle: ntv.de