"Contador dopingverseucht" Kampf gegen Tour-Kollaps
26.07.2007, 15:03 UhrDie Tour de France kämpft nach der Nacht- und Nebelaktion mit dem Rauswurf von Michael Rasmussen ums Überleben. Verzweifelt versuchte die Tour-Leitung am Tag eins nach dem Rasmussen-Eklat, den Kollaps des 104 Jahre alten Radsport-Klassikers nach dem Rückzug der Teams Astana und Cofidis zu verhindern.
Als neuer Hoffnungsträger wurde dabei der neue Führende im Gesamtklassement, der Spanier Alberto Contador präsentiert. Ein Fahrer, den der deutsche Doping-Bekämpfer Werner Franke gegenüber n-tv offen der Manipulation beschuldigte. Der 24-Jährige sei "ganz klar dopingverseucht".
Tour-Chef Christian Prudhomme erging sich derweil in pathetischen Heilsbeschwörungen: "Wir haben die heilige Pflicht, dieses französische Kulturgut zu retten." Und Frankreichs Premier Francois Fillon machte den Fall gar zur Staatsaffäre: "Wir stehen weiter hinter der Tour und unterstützen sie auf ihrem Weg der Erneuerung".
In den vergangenen Tagen hat die Frankreich-Rundfahrt einige der bittersten Stunden ihrer Geschichte erlebt. Sie gipfelten in der Flucht des Dänen Rasmussen in der Nacht zum Donnerstag aus dem Mercure-Hotel in der Pyrenänen-Stadt Pau. Als der französische Staatsanwalt um 3.30 Uhr erschien, war es zu spät: Bergkönig Rasmussen war bereits über alle Berge.
Verzeihliche Managementfehler
"Das ist das Beste, was der Tour passieren konnte", sagte Prudhomme. Rasmussen habe über seine Trainingsorte gelogen, um den Doping-Kontrollen zu entkommen und sei deswegen als zweiter Spitzenreiter der Tour-Geschichte nach dem Belgier Michel Pollentier 1978 ausgeschlossen worden. Weil die Vergehen direkt nichts mit der Tour zu tun hätten, könnten Rabobank und das Team T-Mobile mit dem Fall Patrik Sinkewitz im Rennen bleiben. "Beide Mannschaften haben aber Managementfehler begangen".
Doch kaum war der Fall Rasmussen geklärt, stellte die Tour - als wäre nichts passiert - wieder einen Persilschein aus - diesmal für den bisherigen Zweiten Alberto Contador. Der Spanier, schärfster Rivale Rasmussens, steht ebenfalls unter Doping-Verdacht. Unter dem Kürzel "A.C" wird der 24-Jährige mit dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes in Verbindung gebracht, dem mutmaßlichen Drahtzieher eines grenzüberschreitenden Blutdoping-Kartells, das auch Jan Ullrich und Ivan Basso versorgt haben soll.
"Iberische Korruption"
"Contadors Name erscheint nur auf dem Protokoll eines Telefongesprächs, hat aber keine Verbindung zu Fuentes", wiegelte Tour-Präsident Patrice Clerc ab. Deswegen sei der Spanier auch zum Rennen eingeladen worden.
Doping-Experte Werner Franke sieht das freilich ganz anders. Auf n-tv erhob er schwere Dopingvorwürfe gegen den Spanier: „Contador ist nicht sauber. Er ist ganz klar dopingverseucht. Er ist ein Kunde des Herrn Fuentes. Contador, das steht in den Akten, hat das Gleiche gekriegt wie Jacksche." Der spanische Dopingarzt habe das eigenhändig dokumentiert.
Vor diesem Hintergrund ist es für Franke unverständlich, wieso Contador ebenso wie sein Landsmann Alejandro Valverde, der "genauso dick" in der Fuentes-Affäre drin stehe, von der Tour "geschützt wird". "Warum die fahren dürfen und Leute wie Basso und Jan Ullrich nicht, das kann man keinem erklären. Es kann sich hier nur um eine speziell iberische, das muss man so sagen, Korruption handeln.“
Rasmussen sauer – und ruiniert
Unterdessen reagierte der gestürzte Spitzenreiter Rasmussen mit Wut und Verzweiflung auf seinen Rauswurf. "Ich habe die Schnauze voll. Ich bin mir bewusst, dass meine Karriere ruiniert ist", sagte Rasmussen der Online-Ausgabe der Zeitung "Algemeen Dagblad", "ich habe keine Ahnung, was ich machen soll oder wo ich hin soll." Noch vor knapp einer Woche, als die ersten Verdächtigungen gegen den ehemaligen Mountainbike-Weltmeister aufkamen, hatte sich die Rennleitung hinter den dürren Dänen gestellt.
Nach der Wende im Fall Rasmussen hatte Prudhomme dann aber schnell die Verantwortlichen für das Desaster parat. "Die Heilige Allianz mit der Tour ist von den Teams und dem Weltverband UCI nicht respektiert worden." Die bisherigen Doping-Kontrollen seien obsolet, ein neues System müsse her.
Doping instrumentalisiert?
Immerhin bekam der neue Führende Contador das Gelbe Trikot vorsichtshalber nicht schon beim Start der 17. Etappe überreicht, die der Italiener Daniele Bennati (Lampre) im Schlusssport einer Ausreißergruppe gewann. Erst im Ziel in Castelsarrasin durfte der neue Spitzenreiter das mittlerweile reichlich befleckte Textilstück überstreifen. In Pau war Contador als bester Nachwuchsfahrer noch ganz unschuldig in Weiß gestartet.
"Der Schmutz ist nicht die Tour de France, der Schmutz ist Doping, wir müssen das Kartell des Schweigens brechen", bemühte sich ASO-Chef Clerc jedoch die Frankreich-Rundfahrt verbal reinzuwaschen und die Schuld am diesjährigen Debakel von sich zu weisen. Für Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer sind die großen Probleme des Radsports aber auch im Konflikt zwischen dem Weltverband UCI und Tour-Veranstalter ASO begründet.
"Es bestehen abgrundtiefe persönliche Animositäten. Durch diese Kämpfe sind wir in eine Situation gekommen, wo Doping als Waffe gegeneinander instrumentalisiert worden ist", erklärte Holczer in der "Westdeutschen Zeitung". Im Frühjahr hatte die ASO einen Beschluss der ProTour-Teams boykottiert, wonach allein die UCI über das Startrecht für alle großen Rennen entscheiden sollte. Die Rennställe beugten sich schließlich, um ihre Tour-Teilnahme nicht aufs Spiel zu setzen. Das Ergebnis ist bekannt – und verheerend für den Radsport.
Keine Siegerehrung für Contador
Sylvia Schenk, ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), sprach sich angesichts der Skandale gegenüber n-tv dafür aus, die diesjährige Tour spätestens am Samstag zu beenden und auf die ansonsten als Triumphzug inszenierte Einfahrt des Pelotons auf dem Champs Elysee zu verzichten: "Ich würde keine Siegerehrung machen, zumindest nicht, solange vorne noch Contador liegt."
Tour-Chef Prudhomme wies die Möglichkeit eines Tour-Abbruchs jedoch erneut vehement zurück. "Das können wir den vielen, ehrlichen jungen Fahrern und den hunderttausend Zuschauern am Straßenrand nicht antun".
Quelle: ntv.de