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Interview Klinsmann glaubt an 1899

Trainer Jürgen Klinsmann hat vor dem Gipfeltreffen in der Fußball-Bundesliga zwischen dem FC Bayern München und 1899 Hoffenheim seine "höchste Wertschätzung" für den Aufsteiger und Tabellenführer zum Ausdruck gebracht. In einem Interview zog er zudem eine Bilanz seiner ersten rund fünf Monate als Coach des Rekordmeisters aus München. Klinsmann prophezeite, dass die weltweite Finanzkrise auch den Fußball "richtig treffen" wird. Er erwartet "eine Neudefinierung des Marktes, auch was Transfers und Gehälter betrifft".

Auf Leverkusen folgt für den FC Bayern am Freitag gleich das nächste Top-Spiel gegen Hoffenheim. Wie sehr imponiert Ihnen der Aufsteiger?

Klinsmann: "Ich habe höchste Wertschätzung für Hoffenheim, weil sie dort sehr zielstrebig, durchdacht und mit sehr guten Leuten aufgebaut haben. Darauf können sie stolz sein. Die Mannschaft hat absolut das Potenzial, auch mittelfristig in der Tabelle unter den ersten Drei, Vier zu bleiben."

Der FC Bayern hatte immer Rivalen, einst Gladbach, dann Dortmund, Leverkusen, Bremen. Ist Hoffenheim der neue Herausforderer?

"Hoffenheim kann langfristig eine Rolle einnehmen, wie es Bayer Leverkusen über Jahre hinweg geschafft hat. Leverkusen wird von der Bayer AG mitgetragen, Hoffenheim von Dietmar Hopp. Da ist nichts Negatives dabei. Er hat früher für den Club gespielt, ist ein Fußball-Mensch durch und durch und hilft dem Verein auf die Beine. So was ist toll. Weil sie dort konzeptionell und langfristig arbeiten, hat Hoffenheim das Zeug, sich im deutschen Fußball ganz oben zu etablieren und vielleicht schon nächstes Jahr europäisch zu spielen."

Der FC Bayern ist Ihr erster Job als Vereinstrainer. Gab es trotz Ihrer Erfahrungen als Spieler und Bundestrainer Überraschungen?

"Mir war sehr wohl bewusst, dass der FC Bayern aufgrund seiner Dominanz im deutschen Fußball und seines Rufs im Weltfußball sehr starke Anforderungen an mich stellen wird. Es war klar, dass es im Umfeld nach ein oder zwei verlorenen Spielen unruhig werden kann. Wenn man in der Verantwortung steht, muss man sich in entsprechenden Momenten auch selbst verändern können. Man macht Kompromisse, obwohl ich zuerst meinte, eine höhere Schlagzahl ansetzen zu können."

In der Tat: Ist die Experimentierfreude der Anfangszeit, als Sie viel ausprobierten und sogar Ihren Kapitän auf die Bank setzten, etwas der Einsicht gewichen, dass der Fußball vor allem ein Tagesgeschäft ist?

"Nein. Ich bin nach wie vor nicht davon gefangen, dass nur das nächste Spiel zählt. Von mir wird erwartet, dass wir Dinge mittel- und langfristig entwickeln. Das ist natürlich einfacher, wenn der Erfolg da ist. Wenn man 2:5 daheim gegen Bremen und danach auch in Hannover verliert, muss man schauen, dass man das sofort anpackt, ohne den Blick für die nächste und übernächste Saison zu verlieren. Dieser Spagat ist die größte Herausforderung."

Sind die Spieler reformwillig genug?

"Natürlich waren am Anfang viele Fragezeichen da; es gab das neue Leistungszentrum und neue Technologien, die wir einsetzen. Es ist viel auf die Spieler zugekommen, aber sie haben mit der Zeit gemerkt, dass alle Maßnahmen nur für sie sind. Alle merken jetzt, dass die Arbeit sich auszahlt. Ich kann aus dem Vollen schöpfen, ob ich einen Breno, einen van Buyten, Lell oder Borowski einwechsle - es kommt Qualität. Wir sind auf Tuchfühlung zur Spitze. Wir haben in der Champions League gesehen, dass wir uns vor niemandem verstecken müssen."

Auch dank Franck Ribry. Besteht die Gefahr, dass die Abhängigkeit von ihm zu groß wird?

"Nein, weil Franck weiß, dass er eine intakte, harmonisch geführte Mannschaft braucht, um diese Leistungen abzurufen. Er braucht einen Philipp Lahm, der für ihn unglaubliche Arbeit leistet. Er braucht einen Z Roberto, mit dem er auch geistig gewisse Automatismen entwickelt. Und er braucht Stürmer, die die Aktionen abschließen. Er braucht die Mannschaft, und diese weiß, wie sie ihn zu den Höchstleistungen treiben kann. Indem sie ihm ein Umfeld gibt, wo er sich wohlfühlen kann, Scherze machen kann. Die Mannschaft weiß aber, dass sie auch gewinnen kann, wenn er ausfällt."

Ist es als Trainer schwieriger, die Spieler in der heutigen Medien- und Beraterlandschaft zu erreichen als früher?

"Für den Spieler ist es heute schwieriger, sich permanent auf den Beruf Fußball-Profi zu fokussieren. Die mediale Präsenz ist permanent gegeben. Der Freundeskreis wird auch durch viele Schulterklopfer groß, es gibt Berater, die mit ihm Geld verdienen wollen. Das Umfeld ist ein sehr heikles Thema, weil ein 20- oder 22- Jähriger dafür nicht ausgebildet wurde. Da müssen die Clubs - und vielleicht auch der DFB - neue Wege gehen. Wenn ein Thema medial hochgeht und ein Spieler auf allen Titelseiten der Zeitungen steht, geht es den Medien nicht darum, dem Spieler etwas Nettes zu tun, sondern nur dieses Thema zu verkaufen."

Das Paradebeispiel dafür ist Lukas Podolski. Erklären Sie dennoch einmal Millionen Fußball-Fans, warum er in der Nationalmannschaft wertvoll ist, aber beim FC Bayern nicht?

"Der Unterschied ist, dass er bis zuletzt bei der Nationalmannschaft gesetzt gewesen ist, was ihn die Dinge relaxter angehen lässt. Jetzt ist er bei einem europäischen Top-Club, der eigentlich vier oder fünf Stürmer haben muss, die um die Plätze fighten. Das ist ein interner Wettkampf, bei dem er sich schwer tut. Was daraus gemacht wird, wie die Schlagzeilen verkauft werden, dafür kann er nichts, da ist er nur Mittel zum Zweck. Ich will, dass er sich durchboxt. Wenn eines Tages bei der Nationalmannschaft vier, fünf Stürmer um die zwei Plätze im Angriff kämpfen, wird es eine ähnliche Situation."

Gab es in den vergangenen Monaten einen Moment des Zweifels bei Ihnen, ob die Rückkehr zum FC Bayern richtig war?

"Nein, niemals. Weil der holprige Beginn nachvollziehbar war. Die EM-Nachwirkungen, die Ribry-Verletzung, unsere Neuerungen. Ich wusste, dass es Momente gibt, wo ich ein paar mitbekomme, aber da muss man durch. Hier drin war alles ruhig, auch wenn draußen der Wind blies. Jetzt zahlt sich die Arbeit aus, und die Mannschaft orientiert sich international. Die Champions League ist im Fußball der Maßstab. Irgendwann im Finale zu stehen, ist unser großes Ziel. Aber da muss alles passen."

Nach zwei Jahren als Bundestrainer waren Sie ausgepowert und brauchten eine Auszeit. Wie wollen Sie den anstrengenden Job beim FC Bayern womöglich länger als zwei Spielzeiten durchhalten?

"Die Erfahrung als Nationaltrainer hat mir sehr viel geholfen. Ich weiß, wann ich mir eine Pause gönnen, wann ich Dinge delegieren muss. Ich möchte niemanden an meiner Seite, der mir die Hütchen trägt. Das kann ich nicht brauchen. Mein Co-Trainer Martin Vasquez zum Beispiel muss das Ziel haben, irgendwann Cheftrainer zu werden. Ich will nicht Leute um mich, die das Ziel haben, ihre Position beizubehalten, sondern ich möchte, dass sie weiterkommen. Das hilft mir, Luft zu schnappen."

Gibt es auch jetzt eine Art Rückzugsort, wie es die USA zu Ihrer Zeit als Bundestrainer waren?

"Mein Rückzugsort ist die Familie. Das ist der Energiegeber. Bei der Nationalmannschaft war es ein zwei Jahre langer Hype, der sich in Deutschland bis zur WM entwickelte. Sich dem zu entziehen, war das Beste, was ich machen konnte. So konnte ich mich auf die Nationalmannschaft konzentrieren. Jetzt ist es eine andere Konstellation. Ich habe mich bestens vorbereitet auf den FC Bayern und hatte das Glück, ein halbes Jahr Vorlaufzeit zu haben."

Ist die globale Finanzkrise eher eine Chance oder Gefahr für die Fußball-Bundesliga?

"Die Finanzkrise wird den Fußball die nächsten Monate richtig treffen. Die ersten Anzeichen gibt es in England, wo es große Fragezeichen um Eigentümer und Investoren gibt. Wenn in Italien bei FIAT tausende Arbeitsstellen bedroht sind, wird es irgendwann auch Juventus Turin treffen. Bei Chelsea wurde radikal gestrichen und eingespart. Es wird immer Ausnahmen geben, wie gerade Manchester City, wo das Geld aus ganz anderen Ölquellen kommt. Es wird eine Neudefinierung des Marktes geben, auch was Transfers und Gehälter betrifft."

Erwarten Sie einen Einbruch der Spieler-Gehälter?

"Ich würde nicht sagen, Einbruch. Aber der Verein wird sich sehr wohl Gedanken machen, wie er Gehälter einstuft. Es wird immer Ausnahmen geben, wie bei einem Zlatan Ibrahimovic von Inter Mailand oder einem Kaka beim AC Mailand. Aber es wird bei den Clubs mehr und mehr die Denke kommen - so weit und nicht weiter. Das wird ein spannender Prozess."

Könnte der FC Bayern als solider Verein ein Gewinner sein?

"Der FC Bayern ist gesund und hat ein solides Fundament. Es gibt keinen Gewinner, aber es wird eine neue Konstellation geben. Spieler, deren Verpflichtung jetzt im Januar undenkbar wäre, weil sie 20 oder 30 Millionen Euro kosten würden, sind vielleicht auf einmal im Juni zu viel niedrigeren Summen zu haben."

Im Zuge der Banken-Krise wird auch viel über Manager-Gehälter debattiert. Auch im Fußball werden Millionen-Gagen gezahlt? Wie betrachten Sie diese Diskussion, ist das für Sie Populismus?

"Ich denke, dass es nach dem, was in der Bankenwelt passiert ist, erforderlich war, Regeln einzuführen, die ein Ausufern verhindern. Aber es gibt einen globalen Markt, und das Preis- Leistungs-System ist ein globales Thema. Wenn wir sagen, wir wollen das drosseln, aber Real Madrid bietet das Drei- oder Vierfache für einen Spieler, dann verlieren wir den internationalen Wettbewerb.

Was einige in der freien Wirtschaft getan haben, war unverantwortlich, angefangen bei den Amerikanern. Aber wir müssen auch aufpassen, dass unsere Spitzenkräfte nicht ins Ausland gehen, weil sie dort bessere Möglichkeiten bekommen. So ist das auch im Fußball. Wir wollen ja im Wettkampf stehen mit Manchester, Barcelona und Real Madrid."

Könnte ein in Not geratener Fußball-Club eine Bürgschaft beim Staat beantragen?

"Das ist ausgeschlossen und wäre nicht zu rechtfertigen. Dann muss der Verein runter in die Kreisliga und von vorne anfangen."

Sie haben Deutschland das "Sommermärchen 2006" beschert. War der dritte Platz bei der WM für Sie wirklich ein Erfolg?

"Für das, wie wir die Dinge zwei Jahre vorangetrieben haben und bei dem Kader, den wir hatten, war es das Maximum. Wenn man das Quäntchen Glück gehabt hätte, hätte es auch im Halbfinale 1:0 gegen Italien ausgehen können - und plötzlich wird man Weltmeister. Nein, es war das Nonplusultra, was wir erreichen konnten."

Könnte Nationaltrainer und damit eine weitere WM-Chance nach dem FC Bayern noch einmal ein Thema für Sie werden?

"Ich denke nicht so in die Ferne. Ich arbeite mit viel Freude und Stolz beim FC Bayern und möchte hier wirklich lange bleiben. Es war für uns nach zehn Jahren USA eine große Entscheidung, nach Deutschland zurückzukommen. Diese war nicht kurzfristig angelegt. Ich habe als Bundestrainer gespürt, dass es der Trainer- Beruf ist, den ich ausüben möchte. Das erfüllt mich - auch wenn der des Spielers noch einen Tick schöner ist. Ich lebe auf in dieser Arbeit. Wenn ich mich zu etwas entschließe, bin ich hartnäckig."

Der FC Bayern steht im Führungszirkel vor Umwälzungen? Uli Hoeneß will Ende 2009 als Manager aufhören und Franz Beckenbauer als Präsident ablösen. Wie betrachten Sie diese Pläne?

"Uli weiß, dass es unser großer Wunsch ist, dass er ein paar Jährchen in der bisherigen Funktion weitermacht. Aber er allein trifft die Entscheidung. Er ist Gold wert mit all' seiner Erfahrung. Er hat den Verein zu dem gemacht, was er ist, einer der größten der Welt. Das ist der Uli Hoeneß. Es ist eine Freude für mich, neben Uli auf der Bank zu sitzen - obwohl wir nicht immer einer Meinung sind."

Quelle: ntv.de, Klaus Bergmann und Christian Kunz, dpa

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