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Venezuela-Kenner zum Drogenkrieg "Maduro lässt nicht das Kartell gewähren - eher umgekehrt"

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Die USA behaupten, Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro führe ein Drogenkartell an.

Die USA behaupten, Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro führe ein Drogenkartell an.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Das US-Militär tötet seit Wochen angebliche Drogenschmuggler in internationalen Gewässern vor der Küste von Venezuela. Plant US-Präsident Donald Trump sogar einen Angriff auf das südamerikanische Land?

Die Situation in Venezuela ist ein Pulverfass. Machthaber Nicolás Maduro spricht von einem "nicht erklärten Krieg" seitens der USA. Donald Trump wiegelt ab: "Das bezweifle ich. Ich glaube nicht", entgegnet der US-Präsident in einem Interview mit CBS News auf die Frage, ob Amerika in den Krieg gegen Venezuela ziehen wird.

Klar ist: Vor der Küste des südamerikanischen Landes ist die Lage angespannt. Die USA führen nach eigenen Angaben seit Wochen einen Drogenkrieg in internationalen Gewässern. Die amerikanische Armee bombardiert vermeintliche Boote mit "Narco-Terroristen" an Bord, wie Kriegsminister Pete Hegseth die Opfer der amerikanischen Attacken bezeichnet. Inzwischen sind laut US-Angaben mindestens 65 vermeintliche Schmuggler im Pazifik getötet worden.

Die tödlichen Angriffe stoßen auf erhebliche Kritik, nicht nur bei den Regierungen lateinamerikanischer Staaten wie Venezuela und Kolumbien. Aus Sicht von UN-Menschenrechtsexperten verstößt die US-Regierung gegen das Völkerrecht. "Das Ganze dient selbstverständlich einer 'Big Stick Policy', die von Trump im Karibischen Meer im Geiste Präsident Theodore Roosevelts fortgesetzt wird", sagt Venezuela-Experte Christian Cwik im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Die USA betrachten die Region als ihren Backyard, ihren Hinterhof."

Als "Big Stick Policy" wird der außenpolitische Ansatz von Theodore Roosevelt bezeichnet, wonach diplomatische Ziele durch militärische Gewalt erreicht werden sollten. Der US-Präsident von 1901 bis 1909 wandte diese Politik vorwiegend in Lateinamerika an. Und Roosevelt blieb nicht der letzte US-Präsident, der mit dieser Art der Politik Amerikas Stellung in der Welt auszubauen versuchte. "Trump spricht gefährliche Drohungen aus und versucht, das militärisch zu untermauern", sagt Cwik. Der Historiker lehrt an der Universität Klagenfurt und fungiert als Direktor des Internationalen Zentrums für Atlantische Geschichte (ICAH) in Gibraltar.

Washington: Maduro führt ein Drogenkartell an

Die USA werfen Venezuelas autoritärem Staatschef Maduro vor, das Drogenkartell Tren de Aragua anzuführen und die Vereinigten Staaten mit Rauschgift zu fluten. Washington hat ein Kopfgeld in Höhe von 50 Millionen Dollar auf Maduro ausgesetzt. "Dass Maduro neben seinen Regierungsgeschäften und sonstigen Problemen, mit denen es Venezuela zu tun hat, an der Spitze einer Mafia-Organisation stehen soll, scheint eigentlich unmöglich zu sein. Dass es Mafiosi ins Umfeld des Präsidenten geschafft haben, könnte möglich sein. Aber dass es hier eine Organisation gibt, die von Maduro gesteuert wird, halte ich für ausgeschlossen", bewertet Experte Cwik die amerikanische Position.

Es sei vielmehr lateinamerikanische Normalität, dass Drogenbanden vielerorts die Zügel in der Hand halten. "In Kolumbien und Mexiko ist das so, mittlerweile auch in Ecuador, Peru, Bolivien, Zentralamerika und eben auch in Venezuela", nennt Cwik Beispiele und macht deutlich: Kartelle wie Tren de Aragua beeinflussen massiv die Politik und Wirtschaft in Staaten wie Venezuela. "Das ist eine Organisation, die das ganze Land durchdrungen hat. Da stellt sich eher die Frage, ob Maduro das Kartell gewähren lassen muss. Es ist also eher umgekehrt."

"USA wollen zu alten Spielregeln zurück"

Dass es Donald Trump vor der Küste Venezuelas vorrangig um die Bekämpfung von Drogenkartellen geht, glaubt Cwik aber nicht. "Ja, es überschwemmen sehr viele Drogen aus Lateinamerika den US-Markt, aber die Droge Nummer eins in den USA ist zurzeit Fentanyl und das wird auch in den USA selbst hergestellt."

Auch Jeremy McDermott, Experte für organisierte Kriminalität in Lateinamerika, ist überzeugt, dass es Trump in erster Linie nicht um einen Drogenkrieg geht. Ansonsten würden die USA ihre Kriegsschiffe vorrangig in eine andere Region schicken. "Der Pazifik ist für den Drogenschmuggel in die Vereinigten Staaten wichtiger als die Karibik oder die Atlantikküste", sagt der Gründer des Portals "In Sight Crime" im Interview mit der Deutschen Welle. Laut McDermott sei es aus Perspektive der USA deshalb "sinnvoller, diese Flottille im Pazifik zu stationieren".

Statt der Bekämpfung von Drogenkartellen stünden wahrscheinlich vor allem die Rohstoffe Venezuelas im Mittelpunkt des amerikanischen Interesses, ist Cwik überzeugt. "Ich erinnere daran, dass die natürlichen Asphaltseen (Guanoco-See) im venezolanischen Bundesstaat Sucre schon in den 1880er- und 1890er-Jahren den Teer für den Asphalt der Straßen von New York, Philadelphia und Boston produziert haben. Das zeigt, dass die USA schon sehr früh Interesse an den Rohstoffen von Venezuela hatten", analysiert der Historiker im Podcast.

Kein Land auf der Welt sitzt auf so viel Erdöl wie Venezuela. Die Produktion ist in den vergangenen Jahren aber stark eingebrochen. Der Grund dafür ist gigantisches Politikversagen. Maduro hat den staatlichen Erdölkonzern PDVSA zum verlängerten Arm seines Machtapparats gemacht. Amerikanische Sanktionen haben den Einbruch des Erdölsektors zusätzlich verstärkt.

Bis zum Amtsantritt von Maduro-Vorgänger Hugo Chávez im Jahr 1999 sei das Erdöl Venezuelas gewissermaßen "fest in amerikanischer Hand" gewesen, erklärt Cwik. "Die Amerikaner wollen jetzt wieder zu diesen alten Spielregeln zurück."

Isla Margarita als Einfallstor?

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Amerikaner aber Maduro loswerden, ist Cwik überzeugt. "Das hier ist der Versuch eines klassischen Regime Change. Die USA setzen auf eine Blockadepolitik. Dabei könnten sie die vorgelagerten Inseln militärisch besetzen."

Christian Cwik hat jahrelang in Südamerika geforscht, auch in Venezuela, wo er noch heute bestens vernetzt ist. "Wenn ich mit den Kollegen in Venezuela rede, ist die Stimmung angespannt. Da könnte etwas entstehen, das bislang noch nicht wirklich vorstellbar war, nämlich, dass die USA die Kontrolle über die vorgelagerten Inseln übernehmen könnten. Das geht bis zu dem Verdacht, dass möglicherweise die Isla Margarita von den Amerikanern besetzt werden könnte", sagt der Experte.

Die Isla Margarita ist die größte Insel vor der venezolanischen Küste, früher eine beliebte Touristeninsel, auch für Urlauber aus dem Westen. Die Insel ist etwas größer als Rügen. Sie liegt nur etwa 20 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernt.

Wenn die Amerikaner ihren Militäreinsatz vor Venezuela ausweiten wollen, wäre sie ein ideales Einfallstor. Eine Art Sprungbrett, um die Region unter Kontrolle zu bringen. Eine Landoperation der US-Streitkräfte in Venezuela schließt Cwik zwar aus. Die bräuchte es aber auch gar nicht, um Venezuela entscheidend zu schwächen. Von der Isla Margarita aus könnten die Amerikaner das Orinoco-Delta im Nordosten der venezolanischen Küste versperren. Von hier aus transportiert Venezuela große Mengen Erdöl in die Welt.

Venezuelas Partner in Antiamerikanismus vereint

Wie fest sitzt Maduro im Sattel? "Seine Tage sind gezählt", hatte Trump im CBS-Interview diese Woche gesagt. Venezuela-Kenner Cwik ist sich nicht so sicher. Der Historiker kann sich verschiedene Szenarien vorstellen, wie es für Maduro weitergehen könnte.

Die Opposition hat es in dem diktatorisch geführten Staat naturgemäß schwer, daran ändert auch der Friedensnobelpreis für María Corina Machado nichts. "Ich sehe keine Bewegung, die zum Sturz der Regierung führt", analysiert Cwik. "Die Frage ist: Wie verhalten sich die Militärs? Halten sie dem Präsidenten weiter die Treue oder werden ihnen von anderer Seite Zugeständnisse gemacht? Und dann muss man schauen, ob sich daraus eine Militärdiktatur entwickelt oder ob die Militärs nur für einen begrenzten Zeitraum die Macht übernehmen, bis es demokratische Wahlen geben kann."

Aber vielleicht sorgt Trumps Drohkulisse sogar dafür, dass Maduros Regierung an Stabilität gewinnt. Eine lateinamerikanische Front, die sich hinter Maduro vereint, auch das hält Cwik für theoretisch möglich. "Wir dürfen nicht vergessen, dass der anti-angloamerikanische Bolivarismus Venezuela mit Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien verbindet. Und der Antiamerikanismus und Antiimperialismus durchzieht nicht nur das linke Spektrum der lateinamerikanischen Parteien, sondern auch das rechte Spektrum und die Zentrumsparteien."

Auf Unterstützung kann Washington in Lateinamerika jedenfalls nicht setzen. Im Gegenteil. "Wir haben in Brasilien mit Lula zwar keinen Busenfreund von Maduro, aber doch jemanden, der über die Brics-Staaten einen selbstbestimmten Süden einfordert. Im selben Atemzug würde ich Präsident Petro in Kolumbien nennen. Die Gemengelage könnte für Venezuela nicht besser sein", analysiert Cwik im Podcast. "Hinzu kommt Claudia Sheinbaum in Mexiko, die als dritte große lateinamerikanische Macht sicherlich nicht auf Seite der USA stehen würde."

China hat großen Einfluss

Die amerikanische Regierung sei einerseits "daran interessiert, die Demokratie in Venezuela voranzubringen", beschreibt Geoff Ramsey von der US-Denkfabrik Atlantic Council die aktuelle Situation bei der "Deutschen Welle": "Aber die andere Realität ist, dass Venezuela die größten Ölreserven der Welt hat. Und natürlich ist Venezuela auch ein Aufmarschgebiet für den chinesischen und russischen Einfluss in der westlichen Hemisphäre."

Vor allem China profitiere von Venezuelas Isolation auf dem Weltmarkt, sagt Cwik. Peking kann trotz langer Transportwege besonders billig Öl kaufen. Chinas Einfluss im Land sei schon vor 20 Jahren, als Christian Cwik in Caracas gelebt und an der Universität gearbeitet hat, "tagtäglich gewachsen".

Fällt das Maduro-Regime in sich zusammen, könnten die Amerikaner ihren Einfluss auf dem südamerikanischen Kontinent ausweiten, China und Russland einen Verbündeten in Südamerika entreißen und hätten darüber hinaus leichteren Zugang zu einem Rohstoff-Eldorado. Möglicherweise ist das der wahre Plan der USA. "Es geht um Rohstoffe und Regime Change", fasst Cwik zusammen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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