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"Greek Freak" & Co. am Abgrund Titelkandidat gleitet immer tiefer ins Chaos ab

Coach Doc Rivers steht in der Kritik, Superstar Giannis Anteteokounmpo vermisst die Identität der Milwaukee Bucks.

Coach Doc Rivers steht in der Kritik, Superstar Giannis Anteteokounmpo vermisst die Identität der Milwaukee Bucks.

(Foto: AP)

Giannis Antetokounmpo und Damian Lillard zählen zu den 75 besten Basketballern aller Zeiten. Nach zwei verletzungsgeplagten Saisons wollten die NBA-Champions von 2021 wieder ins Titelrennen eingreifen. Stattdessen scheint bei diesen Bucks die letzte Stunde geschlagen zu haben.

Es war Sonntagnachmittag, ein ungewohnt ruhiger mit nur drei Spielen in der NBA, als Bobby Portis auf seinen Social-Media-Kanälen eine besorgniserregende Nachricht teilte: Während er einen Tag zuvor mit seinen Milwaukee Bucks die Cleveland Cavaliers empfing, drangen Einbrecher in sein Haus ein und klauten "einen Großteil seiner wertvollsten Besitztümer". Ähnlich glücklos agieren derzeit die Bucks und ihre Protagonisten, die von einem Schlamassel ins nächste zu schlittern scheinen.

Beinahe hätte es gereicht, am Samstagabend, zum ersten Heimerfolg in der laufenden Saison. Es wäre erst der zweite überhaupt gewesen, nach dem Auftaktsieg bei den Philadelphia 76ers am allerersten Spieltag. Cavs-Star Donovan Mitchell gewann jedoch die Partie für sein Team, mit dem entscheidenden Treffer in letzter Sekunde. Milwaukee kassierte seine fünfte Niederlage in Folge, trotz insgesamt 75 Punkten seiner beiden Top-Stars Giannis Antetokounmpo (34 Punkte, 16 Rebounds, 9 Assists) und Damian Lillard (41 Punkte, 9 Assists, zehn erfolgreiche Dreier). Am Montag setzte es im Rematch mit Cleveland die sechste Pleite in Folge.

Seit Beginn der Saison 2018/19 hat kein Klub mehr reguläre Siege eingefahren als Milwaukee (321), im Sommer 2021 krönten sie sich 50 Jahre nach dem ersten Titel zum zweiten Mal zum NBA-Champion. Vor etwas mehr als drei Jahren gewannen die Bucks den NBA-Titel. Zu Beginn der dritten Woche in dieser neuen Spielzeit rangieren die Ex-Champs auf Platz 15 (von 15) in der Eastern Conference, und Platz 29 von 30 ligaweit. Nur Utah Jazz - ein Team im Neuaufbau, das so viele Partien wie möglich verlieren möchte, um im kommenden NBA-Draft das Top-Talent Cooper Flagg zu ziehen - ist noch mieser als Milwaukee. Nur ein Sieg aus sieben Spielen bedeuten den schlechtesten Bucks-Start in diesem Jahrtausend.

Käse-Defense und maroder Kader

Niederlagen gegen Titelanwärter wie Boston (7-1) und Cleveland (8-0) sind noch vertretbar. Sich allerdings 115 Punkte von den Brooklyn Nets, 122 von den Memphis Grizzlies und 133 von den Chicago Bulls einschenken zu lassen und dabei immer zweistellig zu verlieren, ist unentschuldbar. Die Defensive gleicht einem Schweizer Käse. Gegnerische Guards drehen ungehindert ihre Runden durch den Bucks-Backcourt, der viel zu klein, zartweich und durchlässig agiert. Opponenten machen sich bisher einen Spaß daraus, Milwaukees Guards zu drangsalieren. Vor allem Lillard wird ein ums andere Mal gezwungen, im Pick-and-Roll zu verteidigen. Sein Team geht nur selten als Sieger aus diesem Spiel im Spiel hervor.

Memphis' Ja Morant produzierte ein Triple-Double, die Grizzlies erzielten 40 Punkte im Auftaktviertel, pflückten 18 Rebounds mehr als die Bucks und lagen zwischenzeitlich mit 31 Punkten in Führung. Chicagos Guards Coby White und Josh Giddey trafen 60 Prozent ihrer Wurfversuche, die Bulls versenkten insgesamt 21 Dreier. Brooklyns Dennis Schröder und Cam Thomas fackelten die Bucks mit insgesamt 61 Punkten - darunter 18 von 19 Freiwürfen - fast im Alleingang ab.

Sowohl im Angriff (Rang 20) als auch in der Verteidigung (22.) rangieren die Bucks bisher im unteren Ligadrittel. Die Transition-Defense zählt zu den schlechtesten in der NBA. Selbst beim eigenen Tempogegenstoß, bei Drives in die Zone und Pässen auf freie Mitspieler platziert sich das Team aus Wisconsin irgendwo im Statistik-Keller - eine Verschwendung der eigenen Möglichkeiten, angesichts der individuellen Qualitäten seiner zwei besten Spieler.

Obwohl der "Greek Freak" und "Dame Time" individuell gute Zahlen auflegen, fehlt es nach wie vor an Spielfluss, Feinabstimmung und Kohärenz in dieser Mannschaft. Außer den beiden Topstars erreicht bisher kein anderer Rotationsspieler auch nur ansatzweise Normalform. Die Ersatzgarnitur legt das schlechteste Net-Rating der Liga auf. Der im Sommer an beiden Sprunggelenken operierte dreifache All-Star Khris Middleton soll bald ins Team zurückkehren und dringend benötigte Qualität liefern. Middleton gilt als idealer "glue guy", die Sorte Fugenkitt, die alle Einzelteile einer Mannschaft perfekt amalgamiert. Ob jedoch ausgerechnet der dauerverletzte Veteran die großen Schwachstellen Athletik, Spieltempo und Perimeter-Defense beheben kann, darf bezweifelt werden.

Pannen im Teamaufbau... und beim Coaching?

Die Restriktionen im neuen Tarifvertrag haben es für Teams in Milwaukees Situation ungleich schwerer gemacht als früher, einen alternden Kader beisammen und wettbewerbsfähig zu halten. Manager Jon Horst und die Bucks haben es nicht geschafft, die neue Landschaft erfolgreich zu navigieren, und sich mehr und mehr in eine Sackgasse manövriert. Zwei Blockbuster-Deals - zunächst für Jrue Holiday 2020, dann im Sommer 2023 für Lillard - haben den Klub beinahe aller personellen und finanziellen Verhandlungsoptionen beraubt.

Zwischen 2025 und 2030 kontrollieren die Bucks keinen einzigen ihrer Erstrundenpicks, dazu wurden alle Zweitrundenpicks bis einschließlich 2030 veräußert. Im besten Fall schafft es ein guter Klub, trotz niedriger Draft-Picks immer mal wieder einen ungeschliffenen Diamanten zu finden, der mit den Jahren zum (relativ günstigen) Schlüsselspieler eines Titelanwärters heranreifen kann. Horsts einziger Treffer im Draft war 2018 Donte DiVincenzo - ein solider Guard und Teil der Meistermannschaft, der aber nach dreieinhalb Jahren im Tausch für einen weiteren Veteranen aus der Stadt geschickt wurde. Alle Verpflichtungen dieses Sommers verpuffen bisher.

Nicht nur Horst und das Management stehen in der Schusslinie. Auch die leidige Trainerfrage wird wieder vermehrt gestellt. Milwaukee hat jetzt 25 von 43 Partien unter Doc Rivers verloren. Der 63-Jährige coacht mittlerweile in seinem 26. Jahr in Folge in der NBA. Vergangene Saison kassierte der Übungsleiter zum erst vierten Mal in seiner Trainer-Karriere mehr Niederlagen als Siege. Mit mehr als zehn Millionen US-Dollar geschätztem Jahresgehalt zählt er zu den fünf bestbezahlten Coaches im Business - kein Wunder, bei den zweitmeisten Siegen unter allen aktiven Coaches (Gregg Popovich führt die Liste an) und achtmeisten aller Zeiten. Nur vier Cheftrainer in der Geschichte der Liga standen länger an der Seitenlinie als er.

Bei aller Erfahrung und viel größerer Anlaufbahn als im Vorjahr, als er erst in der zweiten Saisonhälfte zum Team stieß und einfach nicht genügend Zeit hatte, um seine Systeme einzupflanzen, hat es Rivers trotz diesmal komplettem Training-Camp, einem weitaus kompakteren Assistenz-Stab und viel mehr Kontinuität weiterhin nicht geschafft, seine Mannschaft adäquat auf- und einzustellen. Zwar nimmt der Coach den schlechten Start auf seine Kappe: "Alles ist meine Schuld, bis wir das hier gelöst haben. Wir müssen es hinkriegen." Die Zweifler, dass Rivers der richtige Mann ist, um das Schiff zu wenden, werden aber immer lauter. Auch das ist normal im brutalen Tagesgeschäft NBA.

Lösungsnöte - oder Giannis ist weg!

Und so ist es kein Wunder, dass bereits die Geier kreisen. Gegnerische Klubs, die mit mehr als einem Auge auf Milwaukee schielen und nur darauf warten, dass der griechische Ausnahmespieler und zweifache MVP schon bald keinen Ausweg mehr sieht und einen Trade fordert. Kaum ein anderes Team hat mehr Druck als die Bucks. Die Möglichkeiten, den Kader per Trade zu verstärken, gehen gegen null. Die Franchise steckt tief in der Luxussteuer, die Restriktionen durch den Tarifvertrag sind immens. Ohnehin ist es nicht so, als würde sich hier viel für ein potenzielles Tauschgeschäft anbieten. Der einzige verfügbare Erstrundenpick ist 2031, begehrte Talente fehlen gänzlich, und die besten Spieler, die nicht Antetokoumpo heißen, sind allesamt Mitte 30 - und enorm teuer.

Klar, diese Saison ist noch (sehr) jung. Überreaktionen nach einer Handvoll absolvierter Partien helfen niemandem weiter, ebenso wenig wie die Realität zu ignorieren. Jegliche Verbesserung muss von intern kommen. Die besten Spieler müssen gesund bleiben, Rotationen und Strategien angepasst werden. Der Trainerstab muss nicht nur die marode Defensive korrigieren, sondern eine gesündere Mischung aus jugendlicher Athletik und erfahrener Veteranen-Präsenz finden.

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Es hilft, in Antetokounmpo immer noch den vielleicht dominantesten Two-Way-Superstar der Liga in den eigenen Reihen zu wissen. Der oszillierte in den ersten beiden Saisonwochen noch zwischen besonnenem Widerstand ("Warum sich beschweren, wenn man nicht aufgibt? Ich gebe nicht auf.") und offen kommuniziertem Frust: "Wir haben keine Identität. Wie wollen wir ein Spiel gewinnen? Wollen wir 48 Minuten verteidigen? Oder 48 Minuten den Ball laufen lassen? Wie attackieren wir? Wir müssen eine Identität finden - die haben wir derzeit einfach nicht."

Die kommenden Tage werden nicht einfacher: Das Team aus Wisconsin muss in dieser neuen Woche noch gegen die Knicks in New York und den amtierenden Meister Boston Celtics ran. Erst dann lichtet sich der Spielplan. Acht Heimspiele in den dann folgenden elf Partien - darunter nur eines gegen Teams mit über 50 Prozent Siegesquote - versprechen etwas Linderung sowie die Chance auf eine Rückkehr zu Respektabilität, vielleicht sogar wieder ins obere Tabellendrittel der Eastern Conference. Milwaukee wird jeden Sieg brauchen, um wieder die Kurve zu kriegen und nicht bereits zum Jahreswechsel komplett implodiert zu sein.

Quelle: ntv.de

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