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Flacco erhebt sich von der Couch Quarterback-Ikone erlebt unerwartetes Weihnachtsmärchen

Joe Flacco erlebt ein furioes Comeback in der NFL.

Joe Flacco erlebt ein furioes Comeback in der NFL.

(Foto: AP)

Im Sommer wollte ihn kein Verein, nun gilt Joe Flacco als Hoffnungsträger der Cleveland Browns. Der 38-Jährige ist der vierte Quarterback diese Saison. Seine Glanzjahre liegen lange zurück. Doch seine Erfahrung könnte Cleveland in die K.-o.-Runde bringen.

Er begann die Saison auf der heimischen Couch - und ist nun ein Grund dafür, weshalb die Cleveland Browns ernsthafte Playoff-Ambitionen hegen. Ja, das klingt eigentlich schon fast zu kitschig, selbst in einer Zeit, in der Millionen Kinder in den USA allen Ernstes glauben, dass ein dicker, alter Mann mit Rauschebart in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember durch ihren Schornstein klettert, um Geschenke vor den Kamin zu legen.

Doch im Gegensatz zu Santa Claus gibt es Joe Flacco wirklich - und er liefert laut "CNN" derzeit "eine der unwahrscheinlichsten Storys der NFL-Saison". Flacco ist zwar 38 Jahre alt, fühlt sich aber nach eigenen Angaben derzeit "wieder wie ein zehnjähriges Kind". Das sagte er vor einer Woche. Da hatte der Aushilfs-Quarterback die Cleveland Browns mit drei Touchdowns und Pässen für 311 Yards Raumgewinn zu einem 31:27-Heimsieg gegen die Jacksonville Jaguars geführt.

Starting-Quarterback für den Rest der Saison

Dass es zugleich der 100. Sieg seiner Karriere in der Hauptrunde war, war eher etwas für die Medien. Für Flacco zählte nur das Ergebnis - dessen Ergebnis wiederum sein Aufstieg zum Starting-Quarterback war. Kurz nach dem Triumph gegen Jacksonville gab Cleveland-Coach Kevin Stefanski bekannt, dass Flacco auch in den verbleibenden vier Hauptrunden-Partien sein Nummer-eins-Spielmacher sein werde.

"Er hat viel gesehen, viel erlebt, in vielen Systemen gespielt. Auf all diese Erfahrungen kann er zurückgreifen", begründete Stefanski seine Entscheidung. Und vielleicht werden es ja sogar mehr als vier Spiele für Flacco und den Verein. Die Browns haben eine Bilanz von 8:5. Und sie haben nun endlich wieder einen erfahrenen Ballverteiler. "The Athletic" schreibt über Flacco: "Er hat schon grau in seinem Bart, aber es ist noch genug Wucht in seinem rechten Wurfarm, um der Offensive eine Chance zu geben, weiterhin um die Playoffs zu kämpfen."

Zwei Hiobsbotschaften erschüttern die Browns

Die K.-o.-Runde war ohnehin das Saisonziel der Browns gewesen. Doch Nick Chubb, der Runningback-Star, riss sich bereits im zweiten Spiel das Kreuzband - und musste die Saison somit vorzeitig beenden. Am 12. November gewann die Mannschaft zwar 33:31 bei den Baltimore Ravens, verlor aber dafür Quarterback Deshaun Watson für den Rest der Saison. Der Spielmacher, der im Frühjahr 2022 einen Fünf-Jahresvertrag mit einem Wert von 230 Millionen Dollar unterschrieb, verletzte sich schwer an der Schulter.

Acht Tage später holten die Browns Flacco in ihren Practice Squad. Der hatte bis dahin daheim in New Jersey gesessen, sich so gut fit gehalten, wie man sich eben als ein Profi fit halten kann, der im Januar sein letztes Spiel hatte, anschließend keinen Verein mehr fand und trotzdem die ständige Hoffnung auf den Anruf irgendeines in Not geratenen Teams noch nicht aufgegeben hatte. Der Practice Squad ist eine spezielle Gruppe von Spielern, die nur im Training zum Einsatz kommen und nicht zum offiziellen NFL-Kader des Teams gezählt werden. Erst wenn sich dort jemand verletzt, kann jemand auf dem Practice Squad nachrücken.

Super Bowl-Champion und Super Bowl-MVP

Nun ist dieser Joseph Vincent Flacco natürlich nicht irgendein Akteur gewesen, den die Browns da in ihre Trainingsgruppe aufnahmen. 2008 kam er in die Liga, war von Beginn an der Starting-Quarterback der Baltimore Ravens - und blieb dies für die kommenden zehn Jahre. Das Highlight: der Superbowl-Sieg 2013. Baltimore gewann das Finale in New Orleans 34:31 gegen die San Francisco 49ers. Flacco wurde nicht nur Super Bowl-Champion, sondern auch Super Bowl-MVP.

Er hatte in den vier Playoff-Partien jener Saison elf Touchdowns geworfen - und keine einzige Interception. Das war zuvor nur dem legendären Joe Montana gelungen. Flacco befand sich in der Glanzzeit seiner Karriere - und er war am Saison-Ende Free Agent. Für ihn gab es also keinen besseren Zeitpunkt, um sein Können zu Kohle zu machen. Der Zahltag kam am 4. März 2013, als er einen Sechs-Jahres-Vertrag bei den Ravens über 120,6 Millionen Dollar unterschrieb - und somit, wenn auch nur für kurze Zeit, der bestbezahlte Playmaker der NFL-Geschichte war.

Im Februar 2019 endete die Flacco-Ära in Baltimore. Die Ravens hatten in Lamar Jackson einen Nachfolger gedrafted und aufgebaut - und brauchten ihren langjährigen Franchise-Quarterback nicht mehr, gaben ihn an die Denver Broncos ab. Es war der Anfang seiner Wanderjahre als Backup. Denver, New York Jets, Philadelphia Eagles und wieder Jets - vier Vereine in vier Jahren, 20 Spiele. Das Letzte war am 8. Januar 2023 eine 6:11-Niederlage bei den Miami Dolphins.

Karriere-Ende nach 15 Jahren?

Dann war Ruhe - und es kam die Frage auf, ob es das wohl gewesen sein könnte? Nach 15 Jahren. Denn in den Planungen der 32 Teams schien für Flacco kein Platz mehr gewesen zu sein. Zumindest vorerst nicht. Und so saß er daheim in New Jersey, als am 7. September die neue Saison begann. In den vergangenen Monaten, sagt Flacco, habe er schon einige Male das Gefühl gehabt, dass Teams sich bei ihm melden würden. Quarterbacks (zum Beispiel Aaron Rodgers/NY Jets gleich am ersten Spieltag) waren verletzt, Backups erwiesen sich als zu wackelig. Warum also nicht mal bei einem Routinier wie Flacco anfragen? Doch all das blieb Wunschdenken.

Dann verletzte sich Deshaun Watson. Flaccos Telefon klingelte, die Browns wollten ihn. Am 20. November unterschrieb er einen Vertrag für den Practice Squad. Sechs Tage später zog sich Watson-Ersatz Dorian Thompson-Robinson bei der 12:29-Niederlage in Denver eine Gehirnerschütterung zu. Dessen Backup, P.J. Walker, ersetzte ihn - und wurde gleich viermal zu Boden gerissen. Den Vereins-Verantwortlichen war klar: Es war Zeit für Quarterback Nummer vier der Saison, Zeit für Joe Flacco.

Am 3. Dezember begann mit dem Auswärtsspiel bei den Los Angeles Rams dessen 16. NFL-Saison. Cleveland verlor 12:29. Doch was sollte nach den wenigen gemeinsamen Trainingseinheiten auch möglich gewesen sein? Eine Woche später sah es beim 31:27-Sieg gegen Jacksonville schon ganz anders aus.

Mitspieler sah ihn als Junge im TV Meister werden

Im Schlussviertel warf Flacco einen 41 Yard-Pass auf Dennis Bell und verhalf dem 23-jährigen Wide Receiver somit zum ersten Touchdown seiner Karriere. Er war zwölf Jahre alt, als Flacco 2013 den Super Bowl gewonnen hatte. "Ihn als Junge einst im TV zu sehen und nun mit ihm zusammenzuspielen, ist etwas Besonderes", sagt Bell.

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Dennis Pitta hat mit Flacco die besten Jahre erlebt - und 2013 den Super Bowl gewonnen. Der frühere Tight End ist genauso alt wie Flacco, hat seine Karriere aber bereits 2016 beendet. Wenn es um Joe gehe, dann sei er natürlich ein bisschen voreingenommen, hebt Pitta hervor. Denn Joe sei einer seiner "besten Freunde auf der Welt." Doch wenn er Flacco jetzt spielen sehe, dann frage er sich schon, warum Vereine eigentlich so lange gewartet haben, um ihn zu verpflichten? "Er war wie lange weg vom Football, neun Monate? Dann zu einem Team zu kommen, das er nicht kennt, deren Wide Receiver er kaum kennt, aber so zu spielen, wie er spielt, ist einfach außerordentlich", sagt Pitta.

Er fing bei Baltimores Super Bowl-Sieg einen von Flacco's drei Touchdown-Pässen - und er gehörte zu einer Gruppe ehemaliger Ravens-Spieler, die Flacco vor seinem Saisondebüt bei den Rams rund 70 SMS schickten, ihn beglückwünschten und wissen ließen, wie stolz sie auf ihn seien. Flacco weiß all das sehr zu schätzen, sagt allerdings auch: "Mir ist klar, dass ich nicht mehr in meinen Zwanzigern bin. Aber so alt ist 38 ja nun auch nicht." Er hat fünf Kinder im Alter von elf bis fünf Jahren. Doch seine vier Söhne und eine Tochter sind nun in einem Alter, in dem sie sehen und verstehen, was ihr Papa da eigentlich Sonntag für Sonntag so macht. Auch deshalb, oder vor allem deshalb, spricht Flacco von "einer einzigartigen Erfahrung".

Quelle: ntv.de

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