 
		                      Punktrichter sein, bedeutet vor allem hoch konzentriert zu beobachten.
(Foto: MMA Unfolded)
Bei MMA-Veranstaltungen der UFC werden Knockouts von den Fans frenetisch gefeiert. Endet der Kampf nicht vorzeitig, entscheiden drei Punktrichter über den Ausgang des Käfigduells. Die Urteile werden heiß diskutiert und sind nicht immer eindeutig. Der deutsche Punktrichter Clemens Werner klärt auf, woran das liegt.
Ein krachender Knockout oder eine geschickte Submission - Mixed-Martial-Arts-Kämpfer legen es darauf an, das Duell im Käfig vorzeitig zu beenden. Auch in der Ultimate Fighting Championship (UFC), der Champions League des Kampfsports, ist ein Finish erwünscht. Geht ein Kampf über die volle Distanz, entscheiden drei Punktrichter, welcher Fighter sich besser geschlagen hat. Dabei kommt es immer wieder zu Wertungen, die sowohl Kämpfer und Zuschauer als auch Veranstalter überraschen. "Das liegt vor allem daran, dass viele Beteiligte das Regelwerk nicht kennen und nicht wissen, welche Kriterien für die Punktrichter entscheidend sind", erklärt Clemens Werner, der einzige aktive deutsche "Judge" in der UFC, im Gespräch mit ntv.de.
Zusammen mit zwei anderen Punktrichtern, die in Dreiecksformation direkt am Käfig sitzen, soll der Fight "möglichst allumfassend aus verschiedenen Perspektiven eingefangen werden", erklärt der 30-Jährige. Das passiert anhand der visuellen und akustischen Eindrücke, die am Käfig noch einmal anders sind als für einen TV-Zuschauer oder einen Besucher vor Ort. "Du siehst die Kämpfer in realer Größe, du siehst die Augen und Bewegungssignale einfach besser."
Werner: Effektivität nicht mit Schaden gleichsetzen
Bewertet wird dann vor allem ein Kriterium: Effektivität. Effektivität kann durch Striking (Schläge und Tritte) und Grappling (frei übersetzt "Griffmethoden") erzielt werden. Elemente des Grappling sind zum Beispiel das zu Boden bringen des Gegners ("Takedowns") oder Aufgabegriffe ("Submission"), ebenso wie Positionsverbesserungen am Boden. Laut Werner bestehe oft ein großes Missverständnis: "Effektivität sollte man nicht ausschließlich mit Schaden gleichsetzen." Bei dem Wort Schaden denke man in erster Linie an Striking, aber ein Kämpfer könne mit seinem Grappling genauso effektiv sein, wie der Striker, ohne dabei enormen Schaden anzurichten. "Striking bewirkt eine physische Schädigung des Kontrahenten, Grappling führt eher dazu, den Gegner müde und mürbe zu machen und ihn seines Kampfeswillen zu berauben". Primär würden die Richter im Sinne der Effektivität also wie folgt bewerten: Welcher Athlet führt welche Aktion aus und wie effektiv ist sie.
Und dennoch gibt es häufig Kämpfe, bei denen die Effektivität der beiden Kämpfer nah beieinander liegt. Die Bewertungskriterien der Punktrichter folgen immer einer Hierarchie, erklärt Werner. "Das primäre Kriterium: Effektivität. Das ist entscheidend. Der eine Kämpfer kann so viel Druck machen und kontrollieren, wenn er nicht effektiver ist, gewinnt der andere die Runde. Erst wenn die Effektivität ausgeglichen ist, geht man als Judge zum zweiten Kriterium - effektive Aggressivität." Dabei spielen verschiedene Fragen eine Rolle. Wer geht nach vorne? Wer sucht den Schlagabtausch und wer will den Kampf beenden? Das dritte Kriterium sei schließlich die Kontrolle der Ringfläche. "Wer kontrolliert die Position am Käfigrand, wer kontrolliert die Ringmitte. Spätestens bei diesem Kriterium muss sich der Punktrichter entscheiden", so Werner.
Nach jeder Runde erfolgt dann in der UFC und vielen anderen Organisationen eine Punktvergabe wie im Boxen. Der Gewinner der Runde bekommt 10 Punkte, der Verlierer 9, 8 oder 7. Je nachdem wie deutlich der Unterschied war. Nach drei oder fünf Runden werden die Punkte addiert und der Sieger steht fest.
Strichliste kostet wichtige Millisekunden
Alle drei Judges machen das Gleiche und haben dabei auch einige wenige Hilfsmittel. Bei großen Promotern wie der UFC gibt es einen Extra-Monitor. "Da sieht man das Live-TV-Bild ohne Einblendungen", so der deutsche Punktrichter. Die Sichtbehinderung könne ein kritischer Faktor werden, wenn die Athleten beispielsweise auf der gegenüberliegenden Seite auf dem Boden liegen. "Da wird mit den Monitoren auf dem höchsten Level Abhilfe geschaffen."
Dazu führen viele Judges eine Art Strichliste für signifikante Aktionen. "Die haben sich aber meistens ein eigenes System dafür zurechtgelegt", erläutert Werner. Für den Berliner, der selbst MMA betreibt, ist das nichts. "Ich mache das nicht, denn dafür musst du teilweise auf deinen Notizblock runterschauen. Selbst wenn es nur eine Millisekunde ist. Ich vertrete die Position, dass der Judge 100 Prozent während des Matches ohne Ablenkung auf den Kampf gucken sollte." Deswegen habe er sich über die Jahre angeeignet, den Kampf im Kopf aufzuzeichnen. Eine Hochkonzentrationsphase. "Ich merke dann überhaupt nicht mehr das Umfeld, die Halle kann so laut sein, wie sie will. Wenn man das Go vom Referee hört, ist man ziemlich im Tunnel drin. In den Pausen zwischen den Kämpfen mache ich dann einfach nichts, damit sich die Konzentration wieder aufbaut." Veranstaltungen der UFC sind für Werner oft Zehn-Stunden-Tage. Pro Veranstaltung ist Werner in mehreren Fights als Judge am Käfig, bei der UFC folgt nach dem letzten Kampf noch eine Nachbesprechung, Thema sind dabei natürlich auch Urteile, die für Aufsehen gesorgt haben oder nicht eindeutig waren.
Mutmaßlich unverständliche Bewertungen haben für die Judges in der UFC oft ein mediales Nachspiel. In der Champions League der Mixed Marial Arts sind die Punktrichter wie der Schiedsrichter im Fußball dann und wann Ziel von Anfeindungen - vor allem im Internet. Werner geht mittlerweile entspannt mit dem Thema um. "Irgendwann bekommt jeder sein Fett weg. Da kann man konstruktiv seine Lehren draus ziehen. Dann gibt es den Trash Talk, den Hass und die Shitstorms. Das brauch man sich nicht reinziehen."
"Viele Eindrücke entstehen durch Unwissenheit"
Strittige Urteile wird es aber auch in Zukunft weiterhin geben. "Judgen bleibt subjektiv, die Kriterien sind da, aber die genaue Gewichtung einzelner Aktionen ist nicht vorgegeben. Nur die Athleten können letztlich genau angeben, wie effektiv die Aktion des Kontrahenten eigentlich ist. Und daher gibt es bei der Einschätzung durch den Punktrichter nicht immer ein eindeutiges falsch oder richtig. Dadurch wird es immer zu einem gewissen Grad kontrovers bleiben." Werner verfolgt in dieser Hinsicht zwei Ansätze, um die Chance auf abweichende Urteile kleinzuhalten: "Bis zu einem gewissen Level geht das. Geschulte Punktrichter einsetzen, Reflexion nach den Veranstaltungen. So, dass alle in ihrem Wertungsbild enger zusammenrücken. Da sind wir auf einem guten Weg."
Für diesen Weg setzt sich das Vorstandsmitglied der GEMMAF, der German Mixed Martial Arts Federation, für mehr Anerkennung von MMA ein. Die GEMMAF veranstaltet Turniere und fördert Athleten. Ein weiteres Herzensprojekt ist seine Plattform MMA Unfolded. Dort verbreitet er Content zum Offiziellenwesen und Regelwerk. Außerdem ist eine Art Ausbildungsplattform für Leute, die Punktrichter werden wollen, geplant. "Viele kennen sich im Regelwerk nicht so gut aus. Viele Eindrücke entstehen durch Unwissenheit, auch bei Leuten, die bereits seit Jahren mit dem Sport vertraut sind", erklärt Werner. Das will ich mit dem Projekt ändern."
Quelle: ntv.de

 
   
   
		                             
		                             
		                             
		                             
		                             
		                            