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Von der Kneipe zum Massenevent Warum Darts die Weihnachtszeit dominiert

Peter Wright, Weltmeister 2020, nahm im Vorjahr als "Grinch" verkleidet an der WM teil.

Peter Wright, Weltmeister 2020, nahm im Vorjahr als "Grinch" verkleidet an der WM teil.

(Foto: picture alliance / augenklick/firo Sportphoto)

Früher standen Dartspieler mit Bierglas und Zigarette auf der Bühne. Heute begeistert die Darts-WM Millionen, nicht nur im Mutterland Großbritannien, sondern längst auch in Deutschland. Wie wurde aus dem Kneipensport ein Massenphänomen?

Darts war früher der verstaubte Sport aus der letzten Ecke einer verrauchten Kneipe. Heute bewegt es die Massen, Millionen gucken sich die großen Turniere der Profidartorganisation PDC an. Tausende strömen in die Hallen, so auch an diesen Tagen in London. Im historischen Alexandra Palace steigt noch bis zum 3. Januar die Weltmeisterschaft. 94 Spieler und 2 Spielerinnen aus 29 Ländern kämpfen um den Titel. Trotz Corona waren die meisten Tickets erneut schnell vergriffen. Am TV brechen die übertragenden Sender von Jahr zu Jahr neue Einschaltquotenrekorde.

Auch in Deutschland ist Darts längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber eher aus Zufall. 2004 hatte das DSF, heute Sport1, erstmals die Weltmeisterschaft im Fernsehen übertragen. "Man hatte sich ein Rechtepaket gesichert, aber gar nicht mit dem Ziel, unbedingt Darts groß zu machen. Da ging es um Poolbillard, man wollte eine Konkurrenz zu Eurosport schaffen, die mit dem Snooker großen Erfolg hatten. Und in diesem Paket mit mehreren Randsportarten war auch Darts mit dabei", erklärt der freie Journalist und Darts-Experte Kevin Barth im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Legendäres WM-Finale 2007

Auch Barth ist damals über eine Übertragung im Deutschen Sportfernsehen zum Darts gekommen. In diese Zeit fiel auch das bis heute berühmteste und spannendste WM-Finale aller Zeiten. Phil Taylor - mit 16 WM-Titeln - der Überspieler schlechthin, unterlag im Endspiel 2007 gegen den fünffachen Champion Raymond van Barneveld in einem Marathon-Match, das erst im Tie-Break endete. "Da hatte man erstmals richtig gute Quoten", erinnert sich Barth. Daraufhin habe man die Übertragungen aber trotzdem zunächst nicht weiter ausgebaut. "Erst 2009, 2010 gab es wieder häufiger TV-Übertragungen. Und diese Fernsehpräsenz, vor allem während der WM, war mit Sicherheit ein großer Punkt, weil man da natürlich gut ausnutzen konnte, dass viele andere Sportarten in der Zeit rund um Weihnachten pausieren."

Seit 1994 trägt die Professional Darts Corporation (PDC) jedes Jahr von Mitte Dezember bis Anfang Januar ihre Weltmeisterschaft aus. Sportliche Konkurrenz hat das Turnier im Fernsehen vor allem in der entscheidenden Phase zwischen den Jahren und Anfang des neuen Jahres kaum, weil zumindest in Deutschland die Fußball-Bundesliga dann in der Winterpause ist.

"Spieler mit Bierglas und Zigarette"

Die PDC hatte sich 1992 gegründet - in Konkurrenz zur British Darts Organisation (BDO). 16 Topspieler der BDO, darunter der spätere Dauer-Dominator Phil "The Power" Taylor und der erste PDC-Weltmeister Dennis Priestley, waren unzufrieden mit ihrem Verband, weil der Sport kaum im Fernsehen übertragen wurde und die Preisgelder ihren Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren konnten. "Ende der 80er-Jahre hatte der Dartsport ein großes Imageproblem. Spieler waren im Fernsehen mit Bierglas und Zigarette auf der Bühne zu sehen. Es gab einen Spieler, der so betrunken war, dass er nach seinem Spiel von der Bühne gefallen ist", berichtet Barth im Podcast.

Die PDC verbannte Alkohol und Zigaretten von der Bühne und achtet bis heute akribisch genau darauf, dass der Sport in der Außenwahrnehmung möglichst professionell rüberkommt. "Das war ein wichtiger Imagewandel, den man vollzogen hat. Und natürlich wurde es dann professioneller. Es gab mehr Preisgelder, es gab mehr TV-Turniere, es gab mehr Kameras, die die Events übertragen haben. Da ist dann der Sender Sky Sports ein tragender Faktor gewesen", analysiert Experte Barth.

Sky Sports war der erste große TV-Partner der PDC und ist es bis heute. Die WM wird von dem britischen Bezahlfernsehsender sogar mit einem eigenen 24-Stunden-Darts-Kanal zelebriert. Nach Fußball kommt zwar auch in Großbritannien lange nichts, doch Darts kommt gleichauf mit anderen Sportarten an zweiter Stelle, schätzt Kevin Barth ein.

Ballermann-Publikum dominiert WM

Und in der Tat sind Events der PDC ein Kassenschlager. Das zeigt nicht nur der regelmäßig bis auf den letzten Platz und die letzte Bierbank besetzte Alexandra Palace während der Weltmeisterschaft. Auch die Premier League Darts, das zweitgrößte Event des Darts-Jahres, kommt beim Publikum gut an. Sky Sports überträgt im Pay-TV, die PDC lässt die Topstars im Rahmen des Show-Events über vier Monate hinweg Woche für Woche in den größten Hallen des Landes auftreten, auch in Rotterdam und Berlin macht die Premier League mittlerweile regelmäßig Station.

Ein Meilenstein war für die PDC auch der Umzug der WM von der kleinen Circus Tavern in Purfleet in der Nähe von London in den viel größeren Alexandra Palace. Seit 2008 findet das wichtigste Turnier des Jahres im "Ally Pally" statt. In der Circus Tavern war die Atmosphäre ruhig, fast intim. Mit dem "Ally Pally" kam das Ballermann-Publikum zum Darts. "Man hat ab diesem Zeitpunkt begonnen, das Event-Image auszubauen und die Party stärker darzustellen. Es werden seitdem die beste Verkleidung des Abends gekürt, die besten Schilder, die Leute in die Menge halten", so Barth.

Darüber hinaus habe die PDC Europe, das ist die für das europäische Festland zuständige PDC-Tochterfirma, das Party-Image noch stärker herausgestellt. "Sie ist diesen Weg noch aggressiver gegangen. Dieses Image hat bestimmt einige Leute gezogen. Man muss sich dann aber auf der anderen Seite auch fragen, was man sich da geschaffen hat, weil man sich eine Art von Publikum geholt hat, die einem nicht immer Freude bereitet", sagt Barth. Vor allem bei den Turnieren in Deutschland seien viele Zuschauer im Publikum, "denen es gar nicht um den Sport" geht.

Dieses Jahr ist es wegen der Einreisebestimmungen zwar anders - vor der Corona-Pandemie wurde zuletzt aber fast jedes dritte WM-Ticket nach Deutschland verkauft. Das hiesige Party-Publikum scheint die WM mit den verrückten Kostümen und biertrinkenden Massen besonders zu mögen. Bei den restlichen Turnieren ist die Zusammensetzung des Publikums weniger international.

Deutscher Erfolg lässt auf sich warten

Auch deshalb sieht Experte Kevin Barth das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Es gebe weiterhin Potenzial für den Sport, zu wachsen. Das zeige vor allem die im Verhältnis zur WM und mit Abstrichen Premier League signifikant niedrigere Bekanntheit der anderen TV-Turniere. "Es wird alles auf die Weltmeisterschaft ausgelegt. Ansonsten hast du acht, neun weitere TV-Turniere im Jahr. Aber es ist nicht so wie beim Tennis, wo du weißt, du hast vier Turniere im Jahr, die sind wirklich alle wichtig." Der PDC sei es bisher nicht gelungen, weitere Turniere auch medial stärker zu präsentieren, kritisiert Barth. "Als Dartlaie kannst du die anderen Turniere ja gar nicht richtig voneinander abgrenzen."

Auch in Deutschland ist die Decke für Darts noch nicht erreicht. Ein WM-Finale funktioniert jedes Jahr, Sport1 zieht beim WM-Finale in der Spitze zwei Millionen Zuschauer an. Hinzu kommen weitere Abo-Kunden beim Streamingsender Dazn. Was soll erst passieren, wenn ein Deutscher mal bis zum Ende im Turnier mitspielt? Noch hat es in der 28-jährigen Geschichte der Weltmeisterschaft aber keiner weiter als bis ins Achtelfinale geschafft.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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