Sport

Österreich-Deutschland 1938 Provokation unterm Hakenkreuz

Die deutsch-österreichische Fußballgeschichte ist reich an historischen Spielen. Das WM-Halbfinale 1954, die "Schmach von Cordoba" 1978, oder die "Schande von Gijon" 1982. Insgesamt 34 Länderspiele bestritten die Nachbarn, doch eine für Österreich sehr wichtige Partie fehlt in den Statistiken: Das "Anschlussspiel" vom 3. April 1938 prägte das sportliche Verhältnis der beiden Länder wie kaum eine zweite Begegnung.

Dieser Frühlingstag sollte ein Festtag für das neugeschaffene "Großdeutschland" werden. Das Wiener Praterstadion war mit 58.000 Zuschauern voll besetzt, auf den Zinnen der Sportstätte wehten Hakenkreuzfahnen, und am Hauptportal prangte der Spruch "Ein Volk, ein Reich, ein Führer".

Ein Fußballspiel zwischen der "Ostmark" und dem "Altreich" sollte drei Wochen nach dem "Anschluss Österreichs" das neue Zusammengehörigkeitsgefühl sportlich dokumentieren. Doch die Wiener Ballästheten verdarben den Nazis die geplante Party.

Widerstand aus dem Sturm

Am 15. März 1938 hatte Adolf Hitler auf dem Heldenplatz in Wien unter dem Jubel Zehntausender "den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündet. Letzte Zweifel an der Zustimmung der Bevölkerung zu Hitlers Gewaltaktion sollte eine Volksabstimmung am 10. April ausräumen, das "Versöhnungsspiel" eine Woche zuvor war eine von vielen Propagandaveranstaltungen der neuen Machthaber.

Diese wollten eine Demonstration großdeutscher Verbrüderung, doch viele Österreicher erhofften sich das, wozu es im richtigen Leben nicht reichte: Widerstand. In Matthias Sindelar, dem genialen Mittelstürmer und Kapitän, sahen sie ihr Werkzeug auf dem Platz.

Affront in Rot-Weiß

Der "Papierene", wie Sindelar wegen seines fast körperlosen Stils genannt wurde, enttäuschte die wenigen Aufrechten nicht. Er sorgte dafür, dass die "Ostmärker" in rot-weiß-roter Spielkleidung antraten - ein Affront gegen die versammelte Politprominenz um Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, die empört von "Austria-Nationalismus" sprach.

Für die Nazibonzen kam es noch schlimmer: DFB-Präsident Felix Linnemann hatte den Mannschaften das Ergebnis nicht vorgeschrieben, ihnen aber zu verstehen gegeben, dass das politische Wunschresultat ein Remis sei. Doch Sindelar und seine Mitspieler dachten gar nicht daran, sich an diese Vorgabe zu halten - und gewannen.

"Triumph der Wiener Fußballschule"

Von Beginn an zogen sie ihr "Scheiberlspiel", ballettartigen Fußball mit List und Technik, auf. Die Deutschen, deren Spiel als "Kraft durch Tritte" verschmäht wurde, konnten kaum mithalten. Einige Zeitungen berichteten später, wie provokativ die Wiener zahlreiche Chancen vergaben und die Funktionäre verhöhnten. "Unsere Mannschaft ist vollkommen auseinandergefallen", schrieb etwa der "Kicker", und berichtete von einem "glücklichen 0:0 zur Pause".

Nach der Pause konnte Sindelar nicht mehr an sich halten. Er drückte einen Lattenabpraller nach einem Schuss von Franz "Bimbo" Binder ins Tor (62.) - und die Legende besagt, dass er demonstrativ vor der Ehrentribüne jubelte. Ein vom Wind getragener Freistoß aus 50 Metern von Karl Sesta besiegelte das 2:0 (71.). Die Neue Freie Presse sah einen "Triumph der Wiener Fußballschule".

Der deutsche Torwart Hans Jakob hatte die neuen Verhältnisse dagegen verinnerlicht. "Deutschland hat ja doch gewonnen", sagte er. Bei der WM 1938 trat "Großdeutschland" auf "Wunsch" der Partei mit der Mischung 6+5 an und scheiterte in der ersten Runde an der Schweiz. Reichstrainer Sepp Herberger hatte es geahnt: "Wiener Melange mit preußischem Einschlag - das konnte nicht gut gehen."

Marco Mader, sid

Quelle: ntv.de

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