Brutale Segelregatta startet Boris Herrmann bricht ins Unberechenbare auf
16.01.2023, 11:50 Uhr (aktualisiert)
Deutschlands Segelstar Boris Herrmann bricht in sein nächstes Abenteuer auf. Das "Ocean Race" ist die wichtigste Mannschaftsregatta der Welt. Die Königsetappe führt die Sportlerinnen und Sportler Ende Februar über 12.750 Seemeilen. Es ist ein historisch langes Teilstück.
Tosende Stürme, eisige Herausforderungen im Südpolarmeer, quälend heiße Flautenregionen. Mit Astronautennahrung im Gepäck, Reparaturmaterialien für Bruch an Bord, Notfallausrüstung für Verletzungen und viel Entschlossenheit starten fünf internationale Segel-Crews am Sonntag im spanischen Alicante in eines der letzten großen Sportabenteuer unserer Zeit: das Ocean Race rund um die Welt. "Sicher ist nur, dass nichts sicher ist", sagt Boris Herrmann: "Im Ocean Race ist stets mit dem Unerwarteten zu rechnen."
Herrmann ist der Star unter den vier deutschen Teilnehmern im 14. Ocean Race. Der Hamburger startet mit seinem Team Malizia unter deutscher Flagge in die wichtigste Mannschaftsregatta um die Welt. Der Berliner Robert Stanjek ist Co-Skipper im Team Guyot, dem auch der Hauptstädter Phillip Kasüske angehört. Die Olympia-Zweite Susann Beucke aus dem schleswig-holsteinischen Strande hat beim Schweizer Team Holcim-PRB angeheuert. Nie zuvor waren in der 50-jährigen Renngeschichte auf so vielen Booten deutsche Akteure im Einsatz.
Von den 2085 Seglern und Seglerinnen bei den vergangenen 13 Auflagen kamen 85 aus Deutschland. Vier Yachten unter deutscher Flagge, der einzige deutsche Sieg der "Illbruck" im Jahr 2002 und Einzelakteure wie der Hamburger Tim Kröger, der Münchner Toni Kolb und der Kieler Michael Müller haben den 1973 als "Whitbread Round the World Race" durchgestarteten Segelklassiker in den ersten 40 Jahren mitgeprägt. Im vergangenen Jahrzehnt fehlten die Deutschen. Jetzt feiern sie ihr fulminantes Comeback.
"Ich werde weinen, wenn es über die Startlinie geht"
"Boris hat es vorgemacht. Die starke deutsche Präsenz im Ocean Race ist auch eine Materialisierung aus seinem Erfolg bei der letzten Vendée Globe", zollt der Berliner Jens Kuphal dem deutschen Segel-Star und kommenden Gegner Respekt. Kuphal ist ein erfahrener Musikproduzent, Musiker, Komponist und früherer Manager von Künstlern wie Nena oder Alphaville.
Gemeinsam mit Starboot-Weltmeister Robert Stanjek hatte Kuphal 2017 das Offshore Team Germany mit dem Ziel der Ocean-Race-Teilnahme gegründet. Zusammen mit dem französischen Skipper und Bootseigner Ben Dutreux kreuzen sie jetzt als Guyot Environnement – Team Europe an der Startlinie auf. "Ich werde weinen, wenn unser Team am Sonntag über die Startlinie geht", reflektiert Teammanager Kuphal den steinigen Weg zur Teilnahme. Mit einem sieben Jahre alten, aber gut bewährten Boot sucht das Team Guyot seine Chance gegen die anderen vier Neubauten im Starterfeld. Das Budget reicht mit rund vier Millionen Euro nicht für Riesensprünge, trägt aber um die Welt.
"Mit Guyot ist zu rechnen. Alle fünf teilnehmenden Teams können eine Etappe oder auch das Rennen gewinnen", urteilt Boris Herrmann. Im Alter von 41 Jahren steht der Familienvater und Vendée-Globe-Fünfte nach vier absolvierten Weltumseglungen vor seiner Ocean-Race-Premiere. Sein Neubau "Malizia – Seaexplorer" hatte zuletzt überraschend Probleme mit den Foils, den Tragflächen am Rumpf. "Das war ein schwerer Rückschlag für uns", sagte Herrmann. Das Team konnte aber Ersatzfoils finden und erfolgreich einbauen.
Schmaler Grat zwischen Tempo und Materialschutz
Die steilste Lernkurve absolviert Susann Beucke. Die 31-Jährige war erst Anfang 2022 vom olympischen Segelsport zum Hochseesegeln gewechselt. Sie trainiert in Frankreich für ihr Fernziel Vendée Globe. Dass sie nach nur einem Jahr im neuen Umfeld bereits einen Ocean-Race-Job ergattert hat, macht Beucke als Olympia-Zweite von Japan zur Senkrechtstarterin. Sie kommt voraussichtlich auf Etappe zwei von den Kapverden nach Kapstadt erstmals zum Einsatz.
Gesegelt wird das Ocean Race erstmals auf Booten vom Typ Imoca. Bekannt sind die 18 Meter langen Foiler aus der Solo-Weltumseglung Vendée Globe, wo sie von Solisten gebändigt werden müssen. Im Ocean Race werden sie nun von vierköpfigen Crews angetrieben. Darin liegen Chancen und Risiken: "Unsere Aufgabe besteht darin, die Boote im Team so schnell zu segeln, dass sie nicht kaputtgehen", erklärt Herrmann.
Die beiden Auftaktetappen von Alicante zu den Kapverden und weiter nach Kapstadt bilden die Ouvertüre zum Ocean Race über insgesamt ein halbes Jahr. Ende Februar folgt die historisch längste Königsetappe: Sie führt über brutale 12.750 Seemeilen vorbei am Kap der Guten Hoffnung ins brasilianische Itajai. "Das ist alleine eine halbe Weltumseglung", sagt Herrmann. Weiter geht es dann im April ins amerikanische Newport. Dort setzt die Flotte im Mai zum Transatlantik-Sprung zurück nach Europa ins dänische Aarhus an. Die vorletzte Etappe führt via "Fly-By" in Kiel am 9. Juni nach Den Haag. Das große Finale wird im Juli im italienischen Zielhafen Genua gefeiert.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 15. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, tno/dpa