L.A. Rams in den NFL-Playoffs Sie spielen für die geschundene Stadt der Engel
19.01.2025, 07:31 Uhr
Sean McVay mit einem Trikot mit dem LAFD-Kürzel.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Los Angeles steht in den Schlagzeilen. Feuer und Flammen haben für ein unendliches Ausmaß an Zerstörung gesorgt. Ein wenig Abwechslung in all dem Chaos bieten die L.A. Rams. Sie spielen nicht nur, um zu gewinnen, sondern auch für die leidgeprüften Menschen ihrer Stadt.
Eigentlich sollten sie gar nicht mehr dabei sein. Denn eigentlich hätte ihre Saison am Montag enden sollen, im Wildcard-Game gegen die Minnesota Vikings. Doch dann gewannen die Los Angeles Rams 27:9 - und zwar völlig verdient. Gegen ein Team, das mit 14:3-Siegen die drittbeste Vorrunden-Bilanz der gesamten Liga hatte.
Eigentlich hätte diese Partie ein Heimspiel sein sollen, im SoFi Stadium. Doch in L.A. hatten die horrenden Brände eine Austragung unmöglich gemacht. So wurde es ein überzeugender Heimsieg in der Ferne, rund 600 Kilometer weit weg. In Glendale, am Stadtrand von Phoenix, der Heimat der Arizona Cardinals. Und nun spielen diese Rams heute im Playoff-Viertelfinale bei den Philadelphia Eagles (ab 20.15 Uhr bei RTL). Eigentlich gelten sie wieder als Außenseiter. Doch was bedeutet diese Rolle schon in einem einzigen Match?
Ein Sieg für die Menschen von L.A.
Es mag mitunter etwas kitschig klingen, wenn davon die Rede ist, dass ein Team nicht nur für sich spielt und seine Fans, sondern für die Stadt, aus der es kommt und eine ganze Region. Doch im Fall der Rams ist das tatsächlich so. Natürlich, sagte Quarterback Matthew Stafford nach dem Sieg gegen Minnesota, habe man gewinnen wollen. Aber dieser Sieg sei vor allem für die Menschen von Los Angeles gewesen, die derzeit um ihr Hab und Gut kämpfen. Ein Sieg, damit sie etwas zu jubeln hätten, zumindest für einen Moment.
Und für all diese Los Angelinos, die in den vergangenen Tagen viel oder gar alles verloren haben, die vor einer Brandruine stehen und nicht wissen, wie es für sie weitergehen sollen und wo - für all die wollen die Rams auch in Philadelphia alles geben. 27 Menschen sind bislang gestorben, mehr als 12.000 Gebäude verbrannt, eine Fläche von 155 Quadratkilometern ist regelrecht verkohlt. "Das ist eine noch nie dagewesene Situation. Die Leute tun mir so leid, es schmerzt, mitanzusehen, was da passiert ist", sagt Wide Receiver Cooper Kupp.
Auch Trainer McVay musste sein Haus verlassen
Spieler und Trainer der Rams sind selbst betroffen von Flammen, Rauch und Zerstörung. Einige von ihnen, darunter Head Coach Sean McVay, gehörten zu den mehr als 170.000 Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten. Ein Feuer kam bis auf wenige Kilometer an das Rams-Trainingszentrum heran. Mittlerweile ist die Mannschaft in Philadelphia angekommen. Doch die Gedanken sind natürlich auch weiterhin daheim, wo unter anderem die Frauen und Männer des Los Angeles Fire Department unermüdlich gegen meterhohe Flammen ankämpfen. Als Hommage an sie, ihren Mut und ihren Einsatz, tragen alle Spieler und Coaches der Rams das "LAFD" auf ihren T-Shirts und Trainingsanzügen.
Beim Aufwärmen für das Wildcard-Game gegen Minnesota hatte Sean McVay bei seinen Profis eine gewisse "Aura" vernommen. Sie hätten einen "besonderen Blick in ihren Augen" gehabt, seien "sehr fokussiert" gewesen, so der Coach. Und diese Einstellung wurde auch im Spiel sichtbar. Neunmal rissen die kalifornischen Rammböcke Vikings-Quarterback Sam Darnold zu Boden (NFL-Rekord). Zweimal fingen sie Pässe von ihm ab. Eine dieser Interception beendeten sie mit einem Touchdown.
Defensive Coordinator mit großem Namen
Überhaupt ist die Rams-Defensive in Top-Form. Mit Ausnahme der 25:30-Niederlage gegen die Seattle Seahawks am letzten Spieltag der Punktrunde, als einige Spieler geschont wurden, hat sich der Abwehrverbund in den vergangenen Partien nahezu präsentiert wie ein Fels, der alles abprallen ließ und den nichts erschütterte oder ins Wanken brachte. Gegen San Francisco (12:6-Sieg), die New York Jets (19:9), Arizona (13:9) und Minnesota (27:9) erlaubte L.A. zusammengerechnet gerade mal 33 Zähler. Das macht im Schnitt 8,25 Punkte - ist also weniger als drei verwandelte Field Goals oder die Addition von einem Touchdown und einem Field Goal.
Verantwortlich für dieses Dickicht ist Chris Shula, seit dieser Saison der Defensive Coordinator. Shula? Shula? Da war doch was? Richtig. Chris ist der Enkelsohn des berühmten Don Shula, der die Miami Dolphins als Trainer zu zwei Super-Bowl-Siegen führte. Legendär, weil bis heute einzigartig, ist vor allem die Saison 1972, als Shula's Dolphins ohne Niederlage blieben. Sie hatten zunächst alle 14 Partien der Punktrunde gewonnen - und anschließend auch die drei Playoffs-Spiele. Ebenfalls historisch sind Shula's 347 Siege. Kein NFL-Trainer hat mehr Spiele gewonnen als er.
Ein Fischernetz und ein unglaublicher Saquon Barkley
Enkelsohn Chris kennt natürlich all diese Statistiken und Rekorde. Und er weiß selbstverständlich, dass mit seinem Nachnamen Bewunderung und Respekt genauso verbunden sind, wie Erwartungen, Hoffnungen und womöglich auch ein bisschen mehr Druck als bei anderen. Doch der 38-Jährige braucht all diese Vergleiche und Kommentare hinsichtlich seines Grandpa nicht. Er setzt sich selbst am meisten unter Druck und ist zudem sein größter Kritiker.
Und als dieser denkt er nur ungern an den 24. November zurück. Da verloren die Rams daheim gegen die Eagles 20:37. Shula spricht rückblickend von einem "erniedrigenden Abend". Seine Defensive war wie ein grobmaschiges Fischernetz. Und das nutzte Philadelphias Saquon Barkley gnadenlos aus. Der Runningback erlief einen Raumgewinn von sagenhaften 255 Yards und stellte damit einen neuen Vereinsrekord auf. Die Rams-Defensive war so zuvorkommend ihm gegenüber, dass sie ihm gleich zwei Touchdownläufe über 70 und 72 Yards - also über mehr als das halbe Spielfeld - gestattete.
Kälteresistente Kalifornier
Diesmal treffen die Eagles und die Rams in Philadelphia aufeinander, mitten im Winter. Es sind Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schneefall vorhergesagt. Also Vorteil Eagles? Vielleicht. Allerdings haben die Rams bewiesen, dass sie auch in der Kälte erfolgreich sein können. Am 22. Dezember gewannen sie bei den New York Jets 19:9. Das Thermometer zeigte minus fünf Grad an, der Wind sorgte für gefühlt noch kältere Temperaturen. "Kälter als damals kann es diesmal nicht werden", betonte McVay und ergänzte, dass es, Wetter hin oder her, vor allem auf die Einstellung ankomme.
Sie werden einem starken Kontrahenten gegenüberstehen, diese Rams. Bei, für sie, ungewöhnlichen Außentemperaturen. Doch sie waren auch gegen Minnesota schon der Außenseiter gewesen. Das Wichtigste jedoch - und das macht die Rammböcke so gefährlich: sie werden nicht nur wieder spielen, um zu gewinnen. Und um somit ins Halbfinale zu kommen. Sie werden wieder alles geben - und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Denn die Rams spielen für L.A. - ihre geschundene Stadt.
Quelle: ntv.de