Verletzungsmisere, Playoff-Aus Starensemble der Milwaukee Bucks scheitert kläglich
04.05.2024, 07:08 Uhr
Damian Lillard (rechts) konnte das Playoff-Aus seiner Bucks nicht verhindern.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Zum zweiten Mal in zwei Jahren segeln die NBA Champions von 2021 bereits in Runde eins aus den Playoffs - obwohl sie das höher gerankte Team waren. Sind die Milwaukee Bucks zu alt oder ist der Coach der Schuldige? Und passen Giannis Antetokounmpo und Damian Lillard überhaupt zusammen?
Indianas Fans waren aus dem Häuschen, Menschen in Gelb lagen sich in den Armen, klatschten selbstzufrieden ab. 120:98 stand auf der Anzeigetafel im "Gainbridge Fieldhouse", der Spielstätte der Pacers. Die hatten gerade Spiel sechs und damit die NBA-Erstrundenserie gegen die höher platzierten Milwaukee Bucks gewonnen. Damian Lillard, eine Hälfte des Superstar-Duos der Bucks, war pünktlich zu Spiel sechs von einer Achillessehnenverletzung zurückgekehrt, nachdem er die beiden vorherigen Partien vier und fünf hatte aussetzen müssen. Obwohl sichtlich gehandicapt, erzielte "Dame Time" ineffiziente 28 Punkte, war damit bester Scorer der Partie.
Khris Middleton, der drittbeste Spieler des Klubs und bereits die gesamte Erstrundenserie angeschlagen unterwegs, kam auf 14 Zähler. Brook Lopez und Bobby Portis, die beiden Big Men, sammelten jeweils 20 Punkte ein. Dass es dennoch ein Blowout wurde, lag an der minderwertigen Produktivität der Reservisten, die insgesamt mickrige zehn Punkte zustande brachten - 40 weniger als die Ersatzleute der Pacers. Indiana brauste locker und entspannt zum vierten Sieg in sechs Partien - auch und vor allem, weil ohne Milwaukees wichtigsten Mann viel zu wenig Gegenwehr da war.
Dem blieb nichts anderes, als im Trainingsanzug, mit leerem Blick und den Händen in den Hosentaschen, aufs Geschehen zu starren, bevor er heimlich, still und leise in die Katakomben schlich: Giannis Antetokounmpo, Megastar und zweifacher MVP, verpasste die gesamten Playoffs und musste dabei zusehen, wie seine Teamkollegen viermal überrannt wurden. Der Grieche hatte akribisch an seinem Comeback von einer hartnäckigen Wadenverletzung gearbeitet, die er sich am 9. April im viertletzten Saisonspiel - ein Sieg gegen die Boston Celtics - zuzog. Am Ende fehlten ihm 24 bis 48 Stunden, zu Spiel sieben an diesem Wochenende wäre der "Greek Freak" wohl wieder einsatzbereit gewesen.
Dauer-Pech seit dem Titelgewinn 2021
"Ich weiss, wie sehr es in ihm brodelt", erklärte Middleton, Antetokounmpos Teamkollege seit 2013, nach dem Ausscheiden. "Sein Frust steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er hat alles getan, um mit uns da draußen zu sein, er wollte unbedingt auflaufen und zeigen, dass er immer noch einer der besten Spieler der Welt ist. Ich weiß selbst, wie das ist, wenn du dich mit dem Medizin-Stab anlegst, weil du unbedingt mitmachen willst. Zu diesem Zeitpunkt nicht spielen zu können, ist so ärgerlich."
2021 gewannen Middleton und Antetokounmpo (Lopez, Portis, Pat Connaughton und Giannis' Bruder Thanasis standen damals ebenfalls schon im Kader) den NBA-Titel. Antetokounmpo brillierte mit 50 Punkten und 14 Rebounds in Spiel sechs der Endspiele gegen die Phoenix Suns, wurde als Finals MVP geehrt und brachte den Bucks ihre erste Meisterschaft in 50 Jahren. Die beiden Frontcourt-Partner Antetokounmpo und Middleton, ihre Synergie und ihre All-Around Qualitäten, sind seit fast einer Dekade der Erfolgsgarant in Wisconsin: Acht Jahre in Folge hat der Klub stets weit mehr als die Hälfte seiner Partien gewonnen und immer die Playoffs erreicht. Seit der Spielzeit 2017/18 hat keine Franchise in der NBA mehr Spiele gewonnen als die Bucks (364).
Wie schwer es jedoch ist, in der Basketball Association trotz Elite-Spielern, Erfahrung und Top-Leistungen Championships abzuräumen, merkt man hier: Seit dem Titel fehlte Milwaukee drei Jahre in Folge das nötige Glück. Jedes Mal fiel mindestens ein Starter für entscheidende Momente in einer Playoff-Serie aus. 2022 verlor das Team Middleton noch vor dem Viertelfinale gegen Boston; 2023 gegen Miami und 2024 gegen Indiana schieden die Bucks trotz Heimvorteil bereits in der ersten Runde aus. Beide Male verpasste ein verletzter Antetokounmpo entweder einen Teil oder die gesamte Serie. Lillard, der extra nach Milwaukee gekommen war, um endlich einen Titel zu gewinnen, sagte anschließend: "Es ist enttäuschend, weil jeder weiß, wie viel besser wir sind, wenn er spielt. Hier stehen wir, im Kampf um den ultimativen Preis, und sind völlig dezimiert. Das ist ärgerlich und frustrierend... aber eben auch Teil des Spiels."
Saison voller Tumulte
Milwaukee war als einer der größten Meisterschaftsfavoriten in die Saison gegangen - spätestens, als Manager Jon Horst vier Tage vor Beginn des Trainingscamps in einem spektakulären Blockbuster-Tausch für den heute achtfachen All-Star und siebenfachen All-NBA Teamer Lillard tradete. Der Scharfschütze (Karriereschnitt 25,1 Punkte pro Partie) zählt nicht nur zu den besten Scorern und Crunchtime-Performern aller Zeiten, sondern auch zu #NBA75 - und damit offiziell zu den 75 besten Spielern der NBA-Geschichte. Anstatt jedoch ein kongeniales Superstar-Duo mit Antetokounmpo zu bilden, hatte Lillard mit privaten Problemen (Scheidung und Sorgerechtsstreit, während seine drei Kinder und Familie in Portland blieben) und einem neuen System zu kämpfen, das zum ersten Mal in seiner Karriere nicht exklusiv auf ihn zugeschnitten war.
Middleton wurde nach einer OP geschont und kam nur langsam in Schwung; und der Meistercoach, Mike Budenholzer, war nach fünf Jahren im Amt durch den langjährigen Assistenztrainer Adrian Griffin ersetzt worden - auf Wunsch von Antetokounmpo, einem notorischen Winner-Typen. Griffin, ein Rookie Head Coach, strauchelte vor allem in Punkto Defensive und Kommunikation mit seinem Team. Nach nur wenigen Monaten verlor er das Vertrauen der Umkleide und wurde, trotz Top-Offensive und starker 30:13-Bilanz, im Januar gefeuert. Um die hohen Ambitionen und Ziele zu erreichen, wurde Doc Rivers - einer der erfolgreichsten Cheftrainer der Moderne, allerdings mit einer miserable Playoff-Bilanz nach seinem NBA-Titel mit den Celtics 2008 - verpflichtet. Die Schwierigkeit, einen veritablen Contender inmitten einer Saison umzukrempeln, zeigte sich in der Folge deutlich. Und das nicht nur, weil zehn unterschiedliche Assistenten aus den beiden Vorgänger-Regimes auf der Trainerbank Platz finden mussten.
Exklusiv darauf erpicht, die Chemie zwischen Lillard und Antetokounmpo im Pick-and-Roll zu optimieren, und die marode Transition-Defense einer in die Jahre gekommenen Rotation zu verbessern, verloren die Bucks 19 ihrer 36 Partien unter Rivers. Der Angriff büßte an Effizienz ein, die Abwehr zeigte sich nur marginal stabiler. Es half nicht, dass der Spielplan in der zweiten Saisonhälfte brutal schwer wurde und die drei wichtigsten Akteure - Antetokounmpo, Lillard und Middleton - nur acht Partien gemeinsam auf dem Parkett standen. Obwohl Milwaukee alle Top-Teams der Liga mindestens ein Mal schlagen konnte, kam diese Truppe nie richtig in Schwung. Ein April zum Vergessen ruinierte schließlich alle Intentionen.
Run it back?
Viele im Bucks-Umfeld werden sich jetzt viele Fragen stellen. Sind die Protagonisten zu alt? Ist Doc Rivers der richtige Head Coach? Und passen Antetokounmpo und Lillard überhaupt zusammen? Vergangene Offseason, der 1:4-Niederlage in der Serie gegen Miami auf dem Fuß folgend, wagte der Klub einen riskanten Sternschritt, um seinen Superstar bei Laune und das eigene Meisterschaftsfenster ein Weilchen länger offenzuhalten. Mit Jrue Holiday und Grayson Allen verlor Milwaukee nicht nur beide Starter im Backcourt; eine ganze Reihe von künftigen Draft-Picks wurde ebenfalls geopfert, um Lillard an Bord zu holen. Dass Allen in Phoenix 13,5 Punkte pro Abend erzielte und die gesamte Liga bei der Dreierquote anführte, ist noch zu verschmerzen. Dass Holiday über die neue NBA-Abstellrampe Portland ausgerechnet in Boston landete und den Celtics dank seiner Elite-Verteidigung zur besten Bilanz der Liga verhalf, während Milwaukee zur defensiven Drehtür am Halbkreis verkam, ist jedoch doppelt bitter.
Denn die Celtics werden auch künftig das größte Hindernis für diesen Klub bleiben, dem aufgrund seiner aggressiven Manöver die Optionen ausgegangen sind. Es fehlt an Talenten, die entwickelt wurden - keine Seltenheit bei Veteranen-Teams, die der Meisterschaft hinterherjagen. Die finanziellen Verpflichtungen an die Big Four Antetokounmpo (29 Jahre), Lillard (33), Middleton (32) und Lopez (36) macht es unmöglich, hochqualitative Free Agents unter Vertrag zu nehmen. Der Klub steckt tief in der Luxussteuer, hat null Cap Space, kann nur auf "Exceptions" und Minimal-Deals zugreifen. Die Bucks müssen aber unbedingt ihre marode Ersatzgarnitur aufbessern, die katastrophal war. Ein paar athletische, junge Beine, um die alternden Protagonisten zu entlasten, würden ebenfalls nicht schaden.
Eine Überreaktion in Form eines weiteren Mega-Trades darf dennoch nicht erwartet werden. Milwaukee wird auf den Faktor Kontinuität setzen - und darauf, dass das Trio Antetokounmpo-Lillard-Middleton zu den besten der Liga zählte, wenn es spielte. Ein ganzer Sommer Vorbereitungszeit plus Training Camp unter Rivers, ein paar kleinere Additionen hier und da, vor allem aber ein gesunder Antetokounmpo... all das sollte reichen, um auch in der kommenden Saison wieder zu den Titelfavoriten zu zählen. Das Championship-Fenster, es bleibt noch solange offen, solange der "Greek Freak" die grün-weiße Uniform trägt. Je mehr aber die Jahre ins Land ziehen, desto schneller und abrupter schließt es sich. Gevatter Zeit können eben auch die spektakulärsten Superteams nicht von der Schippe springen.
Quelle: ntv.de