Kantersieg und Abwehrlücken Team-Analyse vor der WM
19.05.2002, 15:46 UhrVon Alexander Schubert
Zwei Wochen vor dem Auftakt zur Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea zeigte sich die deutsche Nationalmannschaft gegen den Aufbaugegner aus Österreich in Torlaune. Nachdem die Mannschaft von Rudi Völler fünf Tage zuvor beim Testspiel gegen Wales ein miserables Spiel gezeigt und gegen die Nr. 97 der Weltrangliste zu Recht mit 0:1 verloren hatte, beruhigte sie mit sechs Toren gegen die Alpenrepublik die besorgten deutschen Fußball-Gemüter.
Das auf dem Niveau eines typischen Freundschaftsspieles ausgetragene Match eröffnete vor allem den Sturmreihen die Möglichkeit zur Profilierung. Diese Chance nutzten zwei Spieler, die in Völlers Wunschformation nicht unbedingt an erster Stelle stehen. Fünf der sechs Treffer gingen auf das Konto von Marco Bode und Miroslav Klose.
Nach einer längeren Phase der Nichtberücksichtigung sorgte der Bremer Bode in seinem 34. Länderspiel für das 3:0 und das 5:2, außerdem leistete er die Vorarbeit zum zweiten deutschen Tor. Der Stürmer vom 1. FC Kaiserslautern, Miroslav Klose, schraubte mit seinen drei Toren die persönliche Bilanz auf eindrucksvolle acht Treffer in zwölf Länderspielen hoch. Der Neu-Leverkusener Daniel Bierofka, der nicht für die WM nominiert ist, machte mit seinem ersten Länderspieltreffer während eines elfminütigen Kurzeinsatzes auf sich aufmerksam.
Demgegenüber reichten dem derzeit erfolglosesten deutschen Akteur auch 72 Minuten Spielzeit nicht zum Torerfolg. Trotz der von den österreichischen Abwehrreihen ausgesprochenen Einladung, Tore zu schießen, blieb Carsten Jancker wieder ohne Treffer. Der beim FC Bayern München ausgemusterte Stürmer hatte bereits während der gesamten Bundesliga-Saison seine Ladehemmung bewiesen.
Völlers Festhalten an dem „Null-Tore-Mann“ erscheint nur schwer nachvollziehbar, zumal mit dem deutschen Torschützenkönig Martin Max von 1860 eine mehr als brauchbare Alternative zur Verfügung steht. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Einsehen beim Trainer-Duo Völler/Skibbe, vor der endgültigen Bekanntgabe des Kaders am 21. Mai bei der Nominierung nach Leistungskriterien zu gehen.
Es steht zu befürchten, dass die hohe Torausbeute gegen Österreich über die eklatante Abwehrschwäche im deutschen Team hinwegtäuscht. Ähnlich wie die Abwehr der Österreicher erwies sich auch die deutsche Verteidigung keineswegs als Festung. Mit ihren Fehlpässen leiteten Christoph Metzelder und Thomas Linke jeweils die beiden Gegentore ein. Gerade in der Defensive stehen im deutschen Kader aber kaum noch Alternativen zur Verfügung.
Nach den verletzungsbedingten Ausfällen von Abwehrchef Jens Nowotny und von Christian Wörns steht möglicherweise auch der Langzeitverletzte Marco Rehmer vor seinem WM-Aus. Der 30-Jährige, der sich gerade erst von einem doppelten Bänderriss im Sprunggelenk erholt hatte, war im Training nach einem Zweikampf mit Dietmar Hamann unglücklich auf die Schulter gestürzt und hatte sich eine schmerzhafte Zerrung im Kapselbereich der rechten Schulter zugezogen.
Kaum mehr für Überraschung dürfte der erneute verletzungsbedingte Ausfall von Sebastian Deisler gesorgt haben. Nachdem der Mittelfeldakteur und Neu-Bayer während der Bundesligasaison 2001/2002 nur elf Partien bestreiten konnte und ansonsten sein lädiertes rechtes Knie pflegen ließ, musste er auch dieses Mal wieder bereits nach 19 Minuten vom Platz.
Geradezu beklemmend wirkt da die von Michael Skibbe und Rudi Völler gebetsmühlenartig vorgetragene Hoffnung auf Deislers rechtzeitige Genesung vor der in zwei Wochen beginnenden WM. Die Aussage des Teamchefs, Deisler sei solche Situationen ja gewohnt, kann kaum zur Beruhigung beitragen. Schließlich gehören Krankenhauserfahrungen nicht zu den klassischen Tugenden eines WM-Teilnehmers.
Mit Ziege steht ein weiterer Rekonvaleszent im derzeitigen Aufgebot. Heinrich, Asamoah und Jancker verfügen noch über sehr wenig Spielpraxis für ein langes internationales Turnier. Noch hat Völler Gelegenheit, vor der offiziellen Verkündung des Aufgebots am 21. Mai den einen oder anderen Anruf bei jenen Spielern zu tätigen, die sich derzeit bereit halten. Gestandene Bundesligaprofis mit internationaler Erfahrung wie Lars Ricken oder Martin Max werden sich sicher über einen Anruf freuen.
Quelle: ntv.de