Humphries besiegt Pietreczko Topfavorit bei der Darts-WM fühlte sich "tot und begraben"
29.12.2023, 05:46 Uhr
Luke Humphries gewann gegen Ricardo Pietreczko trotz 1:3-Rückstand noch mit 4:1.
(Foto: picture alliance / empics)
Ärger mit den Zuschauern, Probleme mit dem deutschen Shootingstar und eigentlich kein Anzeichen für ein Comeback. Topfavorit Luke Humphries springt dem sportlichen "Tod" bei der Darts-WM doch noch von der Schippe.
Luke Humphries, der Topfavorit auf den Titel bei der Darts-WM, jubelte am Ende eines hochdramatischen Spiels, so wie es üblicherweise nur Gerwyn Price tut. Provokativ in Richtung der Zuschauer. Doch nachdem Price gut eineinhalb Stunden zuvor sensationell gegen Außenseiter Brendan Dolan gescheitert war, sprang Humphries an diesem Abend wie ein Flummi über die Bühne im Londoner Alexandra Palace.
Alles war angerichtet für die deutsche Darts-Sensation. Ricardo Pietreczko, der Shootingstar des Jahres, spielte zwar nicht sonderlich groß auf, aber immer noch viel besser als der vergleichsweise schwache Humphries. Nachdem sich der Engländer den ersten Satz geschnappt hatte, ging nicht mehr viel beim Weltranglistendritten. Stattdessen spielte "Pikachu" reif und überlegt, ohne große Emotionen, nur mit Becker-Faust nach jedem Leg-Gewinn. Und davon gab es viele. Drei Sätze in Folge gingen an den 29-jährigen Deutschen.
Längst hatte Humphries nicht nur sein gewohntes spielerisches Niveau, sondern mitunter auch die Fassung verloren. Sauer stapfte der Sieger von World Grand Prix, Grand Slam und Players Championship nach dem 1:3-Rückstand zur letzten Pause von der Bühne.
Angefressen dürfte Humphries in erster Linie von seinem Auftritt gewesen sein, aber auch ein Teil der 3000 Zuschauer im "Ally Pally" taten ihr Übriges. Anders als am Vortag, als mit Martin Schindler und Gabriel Clemens bereits zwei Deutsche gegen Engländer ausgeschieden waren, waren deutsche Fans an diesem Abend akustisch zunächst klar überlegen.
"Heimspiel in England" und vereinzelte Pfiffe
Mal schwappte ein stimmungsvolles "Heimspiel in England" über Bierbänke und Oberrang, mal das unkreative "Ohne Deutschland wär' hier gar nichts los". Mitunter mischten sich jedoch auch Buhrufe und die im Darts als Unsitte betrachteten Pfiffe in die durchaus hitzige England-gegen-Deutschland-Atmosphäre in der Halle. Gepfiffen wurde von einem kleinen Teil des Publikums meist dann, wenn Humphries aufs Doppel warf.
Doch als der WM-Topfavorit im fünften Satz zum Comeback ansetzte, erwachten auch die englischen Darts-Fans aus ihrem Winterschlaf und unterstützten ihren Schützling ebenso lautstark, wie es die Deutschen zuvor für Pietreczko taten.
Nach dem Spiel sprach der Engländer von "99 Prozent", die gegen ihn gewesen seien. "Das war echt hart. Sie haben nahezu jeden meiner Würfe gestört. Ich dachte zwischenzeitlich, ich bin in Deutschland", klagte Humphries sein Leid.
Die 99-Prozent-Aussage war zwar eine Übertreibung, schwer hatte es "Cool Hand Luke" aber in jedem Fall. Umso höher ist sein Arbeitssieg nach dem zwischenzeitlichen 1:3-Rückstand einzuschätzen. Im fünften Satz lag Pietreczko erneut in Führung, verpasste aber eine Möglichkeit zum 2:0 in den Legs. Humphries kämpfte sich daraufhin zunächst in den Satz und dann mit einem souveränen Decider ins Match zurück. Die Durchgänge sechs und sieben gingen schließlich deutlich mit 3:1 und 3:0 an den WM-Topfavoriten.
"Das war eines der schwierigsten Spiele meiner Karriere. Ich fühlte mich tot und begraben. Ich hatte nicht einmal Anzeichen für ein Comeback", gab Humphries zu. Was den Ausschlag doch noch zugunsten des Favoriten gegeben hat, konnte er sich kaum erklären. "Aber ich bin nicht ohne Grund dort, wo ich jetzt bin, also muss man eine Art von Widerstandskraft zeigen."
Für letzten Deutschen "war mehr drin"
Humphries spielte über weite Strecken der Partie deutlich unter dem Niveau, was er über die vergangenen Monate hinweg gezeigt hatte. Pietreczko hätte gar keinen überragenden Auftritt für die Überraschung gebraucht, doch ab dem sechsten Satz fand der Nürnberger kaum noch den Weg in die Triplefelder. "Ich weiß nicht, woran es gelegen hat. Ich bin nach dem vierten Satz auf die Bühne zurück und habe mir vorgenommen, so zu spielen, als würde es 0:0 stehen", kommentierte "Pikachu", der trotz Niederlage den Medienvertretern Rede und Antwort stand.
Gefragt nach dem persönlichen Fazit zu seinem WM-Debüt - inklusive Drittrunden-Einzug und Fast-Überraschung gegen den Topfavoriten - nahm Pietreczko Bezug auf seine Heimat. "Das war ein gutes Debüt, aber es war noch mehr drin. Der Franke würde sagen: Bassd scho!"
Nicht gepasst haben Pietreczko dagegen die Pfiffe einzelner Zuschauer. "Es gab rechts von der Bühne Leute, die immer in die Konzentrationsphase von Humphries gepfiffen haben. Das fand ich nicht in Ordnung. Man kann für Luke sein, man kann für mich sein, aber bitte niemals pfeifen. Das stört uns alle, das geht einfach nicht."
Quelle: ntv.de