Sprinter Bolt die Beine kürzen? Trans-Sportler kritisiert Semenya-Urteil
02.05.2019, 20:15 Uhr
Die Läuferin Caster Semenya hat einen zu hohen Testosteronspiegel - und darf nach dem Urteil des Sportgerichtshofes nun nicht mehr als Frau starten.
(Foto: imago images / CTK Photo)
Der Ex-Hochspringer Balian Buschbaum verurteilt die Entscheidung des Sport-Gerichtshofes im Fall Semenya. Für den Sportler, der sich selbst einer Geschlechtsangleichung unterzog, gehören körperliche Unterschiede zum Sport dazu - schließlich würde auch niemand Usain Bolt die Beine kürzen wollen.
Balian Buschbaum feierte als Yvonne Buschbaum vor einer Geschlechtsangleichung große Erfolge im Stabhochspringen. Den Fall Caster Semenya verfolgt der 38 Jahre alte, ehemalige Athlet mit großem Interesse - und Unverständnis. "Schade, dass Caster Semenyas Anliegen von jemand be- und verurteilt wurde, der nie in ihren Schuhen gelaufen ist. Schade, dass Gerichte über Verstand und nicht mit Empathie entscheiden. Mich würde wirklich interessieren, was Usain Bolt sagen würde, wenn man ihm Hormone gäbe, damit seine Beine schrumpfen. Nichts anderes verlangt man von Semenya."
In einem wegweisenden Urteil hatte der Internationale Sportgerichtshof Cas am Mittwoch im Streit um Testosteron-Grenzwerte für Frauen den Einspruch der südafrikanischen 800-Meter-Olympiasiegerin von 2012 und 2016 abgelehnt. Damit ist eine Regel des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF rechtens, mit der Testosteron-Limits für Mittelstreckenläuferinnen mit intersexuellen Anlagen festgesetzt werden.
Es gibt nicht nur Mann und Frau
Der Fall beschäftigt den internationalen Sport seit Semenyas erstem WM-Triumph 2009 in Berlin. Die Mann-Frau-Kategorisierung im Wettkampfsport ist Buschbaum "zu eindimensional. Wir wissen wissenschaftlich schon sehr, sehr lange, dass es eben nicht nur Männer und Frauen gibt, sondern viele Nuancen dazwischen. Wenn ich mir den Verlauf von Caster Semenyas Geschichte genau ansehe, hat sie mein Mitgefühl für alles, was sie schon durchmachen musste - nur auf Grund der Tatsache, dass die Gesellschaft noch nicht so weit ist", sagte Buschbaum. "Ich bin davon überzeugt, wäre sie 100 Jahre später geboren, wären viele Diskussionen und Anordnungen undenkbar."
Der gebürtige Ulmer errang als Yvonne Buschbaum jeweils zwei deutsche Meistertitel in der Halle und im Freien, wurde bei Olympia 2000 in Sydney Sechster und gewann 1998 sowie 2002 EM-Bronze. 2008 schrieb Buschbaum bundesweit Schlagzeilen mit dem öffentlichen Bekenntnis, sich einer Geschlechtsangleichung zu unterziehen. Im Buch "Blaue Augen bleiben blau" schilderte er seinen Weg und beschrieb auch die Auswirkungen seiner Hormonbehandlung und Operation.
Jeder Sportler hat seine Vorteile
Buschbaum hatte damals seine Stabhochsprung-Karriere beendet, arbeitete zeitweise noch als Trainer in Mainz und lebt heute als Autor und Coach in Aschaffenburg und hält Vorträge. Der frühere Leichtathlet wies auch auf besondere Körpermerkmale anderer Topstars hin, zum Beispiel bei 100-Meter-Weltrekordler Usain Bolt (Jamaika) und beim 23-fachen Schwimm-Olympiasieger Michael Phelps. "Usain Bolt, mit einer Körpergröße von 195 Zentimetern und einer Beinlänge von 110 Zentimetern, schreibt man ja auch nicht vor, dass er sich bitte die Beine kürzen lassen sollte", erklärte Buschbaum.
"Die Gegner von Michael Phelps, der jahrelang den Schwimmsport dominierte, haben sich vielleicht auch gewünscht, dass er sich die Spannweite seiner Arme kürzen ließe. Fakt ist, dass Caster Semenya mit einem natürlich erhöhten Testosteronspiegel auf die Welt gekommen ist." Sicherlich sei der Testosteronwert entscheidend. "Allerdings sollten wir uns wirklich die Frage stellen, wie wir mit Vorteilen, die bei langer Suche jeder Sportler aufweisen wird, umgehen werden."
DLV schließt sich CAS-Urteil an
Der deutsche Leichtathletikverband (DLV) übernimmt die von der IAAF geplanten Regularien zu Testosteron-Limits ab dem 9. Mai. DLV-Präsident Jürgen Kessing begrüßt das Urteil als ein "klares Bekenntnis für den Frauensport in seiner bisherigen Klassifizierung innerhalb der Sportart Leichtathletik." Er erachtet den Beschluss auch als richtungsweisend für den gesamten Leistungssport", meinte Kessing.
Auch der Deutsche Olympische Sportbund hat Verständnis dafür, dass der Weltverband IAAF Rechtssicherheit für das Startrecht von Sportlerinnen mit von der Norm abweichenden Hormonspiegeln sucht. Allerdings sei dieses Urteil in keinem Fall allgemeingültig: "Hier scheint eine von Sportart zu Sportart sehr differenzierte Betrachtungsweise notwendig", betonte der DOSB. Offenbar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Gegen das Urteil des CAS kann Semenya beim Schweizer Bundesgericht binnen 30 Tagen Einspruch einlegen. Möglich wäre auch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg.
Quelle: ntv.de, Ulrike John, dpa