Für Weißrussland zu Olympia US-Turnerinnen sorgen für bizarre Posse
29.10.2015, 15:04 Uhr
"Unsere Trainer haben das so entschieden": Kylie Dickson, 16 Jahre alt.
(Foto: AP)
Der Fall hat für Aufsehen in der Turnwelt gesorgt: Zwei US-Amerikanerinnen starten bei der WM in Glasgow für Weißrussland. Ein Land, in dem sie noch nie waren. Überraschung: In den USA lösen die beiden einen Shitstorm über die sozialen Netzwerke aus.
Das bizarre Wechselspiel zweier Turnerinnen aus den USA erregt die Gemüter in der Turner-Welt. Alaina Kwan und Kylie Dickson haben bei den Weltmeisterschaften in Glasgow für so viel Aufsehen gesorgt wie sonst nur Stars wie Kohei Uchimura oder Simone Biles. Kwan und Dickson turnten aber nicht etwa im siegreichen US-Team, sondern in den Trikots von Weißrussland. Ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen - und dem sie auch noch nie einen Besuch abstatteten. Über die sozialen Netzwerke löste der Start für das von Machthaber Alexander Lukaschenko autoritär geführte Regime eine Beschimpfungs-Arie aus, viele Amerikaner warfen den beiden Frauen "unpatriotisches Verhalten" vor. Auch Fans und Turn-Experten schütteln den Kopf.
Sichtlich genervt reagierten beide in der prall gefüllten Mixed-Zone der Hydro Arena auf Nachfragen zu ihrem ungewöhnlichen Trikotwechsel. "Ich wollte mal bei einer Weltmeisterschaft Erfahrungen sammeln. Und ich hatte Spaß dabei. Alles andere blende ich aus", verteidigte sich die 17 Jahre alte Alaina Kwan. Auch ihr Vater habe sie zu ihrem ungewöhnlichen Schritt bekräftigt. Die Frage, ob sie denn demnächst russisch lernen wolle, überhörte sie geflissentlich. Im Juli hatten beide Turnerinnen bei den US-Classics auf den Plätzen neun und elf die Qualifikation für die nationalen Meisterschaften verpasst.
"Sind froh, dass wir hier sein können"
Im kalifornischen Camp entstand danach bei ihren Trainern Galina Marinowa und Artur Akopjan die Idee von der WM- und vielleicht auch Olympia-Teilnahme über den Umweg Weißrussland. Der Sprung-Weltmeister von 1983 für die UdSSR und die bulgarische Olympia-Teilnehmerin von 1980 ließen ihre Beziehungen spielen und fanden bei der einstigen Star-Turnerin Nellie Kim offene Ohren. "Wenn ich um Rat gebeten werde, dann helfe ich. Mehr ist dazu nicht zu sagen", erklärte die fünfmalige Olympiasiegerin, die heute dem Technischen Komitee des Weltverbandes FIG vorsitzt.
Doch nicht zufällig ist Nellie Kim auch Vizepräsidentin des weißrussischen Turn-Verbandes, der derzeit keine Weltklasseathletin in seinen Reihen hat. Umgehend erhielten die US-Girls neben der amerikanischen auch die weißrussische Staatsbürgerschaft. "Unsere Trainer haben das so entschieden. Und wir sind froh, dass wir hier sein können", kommentierte die 16-jährige Kylie Dickson. "Es ist eine Ehre, für Weißrussland zu starten." Zugleich gab sie zu, keinerlei Kontakt zu ihrem neuen Team zu haben. "Unser Trainer hat gute Kontakte zu Nellie Kim, und das ist eben unsere Art der Verbundenheit", sagte Dickson. Doch Alaina Kwan offenbarte auch einen Gewissenskonflikt: "Ich war mir nicht sicher, wie ich mich im Trikot Weißrusslands fühle, denn ich bin Amerikanerin. Aber ich sehe die Vorteile: Ich kann durch die Welt reisen. Ich mache das nur für ein anderes Land." Ihre Reise dürfte weitergehen. Denn durch die Plätze 71 (Kwan) und 73 (Dickson) holten sie in Glasgow einen Einzel-Startplatz für Weißrussland bei den vorolympischen Tests im April 2016 in Rio de Janeiro. Wer von beiden um das Olympia-Ticket kämpfen darf, soll erst im Frühjahr entschieden werden.
Quelle: ntv.de, Frank Thomas, dpa