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Schmerzen, Gänsehaut, Triumph Verrücktes Monfils-Comeback verzaubert Frankreich

Gael Monfils hat es noch einmal geschafft.

Gael Monfils hat es noch einmal geschafft.

(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)

Der französische Tennisprofi Gael Monfils kreiert und erlebt ein magisches Finale seines Erstrundenmatches bei den French Open. Der 36-Jährige liegt scheinbar aussichtslos zurück, ehe "etwas Verrücktes passiert". Am Ende steht ein sportliches Wunder.

Es ist spät auf dem Court Philippe Chatrier, über das gewaltige Tennisstadion von Roland Garros hat sich längst die Nacht gesenkt, als Gael Monfils mit einer Rückhand die Linie lang ein großes Tennismatch beendet. Und ein großes Comeback besiegelt. Es ist der Schlusspunkt unter ein wahnsinniges Match, das für den Franzosen wenige Minuten vorher schon verloren schien. 0:4 lag Monfils im fünften Satz gegen Sebastian Baez zurück, bei 5:4 schlug der Argentinier dann zum Matchgewinn auf. Monfils humpelte immer wieder zwischen den Ballwechseln, am Ende standen 3:49 Stunden Spielzeit auf der Uhr. Viele Minuten davon waren schmerzhaft. Doch am Ende kreierte Monfils wieder einen dieser magischen Monfils-Momente.

Es waren unglaubliche Szenen, die sich auf dem Center Court abspielten: Monfils, der in dieser Saison überhaupt erst acht Matches auf Profiniveau gespielt hatte und nur eines davon gewinnen konnte, war körperlich schon sichtbar mitgenommen, als es in den fünften Satz ging. Er habe "den vierten Satz einfach abgegeben, weil ich müde war, weil ich tot war. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr kann." Und lange sah es so aus, als hätte er seinem 14 Jahre jüngeren Gegner überhaupt nichts mehr entgegenzusetzen.

Die Spiele gingen dahin, Monfils lief unrund und spätestens als Baez einen Breakball zum 5:0 hatte, schien alles vorbei zu sein. Doch Monfils wehrte irgendwie ab, rettete sich zum ersten Spielgewinn im finalen Satz und dann passierte irgendetwas, das sich nur mit festem Glauben an sportliche Wunder oder eben "Bei Gael Monfils ist alles möglich" erklären lässt. Es war wohl beides. "Ich habe heute Abend etwas Verrücktes erlebt", sagte Monfils selbst.

Die Nationalhymne als Soundtrack

Der Franzose nahm Baez den Aufschlag ab, zum ersten Mal seit dem dritten Satz. Danach verkürzte Monfils bei eigenem Aufschlag auf 3:4 und als Baez in sein nächstes Aufschlagspiel starten wollte, war die Marseillaise, die französische Nationalhymne, aus Tausenden Kehlen noch nicht verklungen. Es herrschte Davis-Cup-Atmosphäre in Paris. Und weil Monfils, körperlich am Ende, und offensichtlich vor allem vom Glauben, vom Willen und der Atmosphäre auf den Beinen und im Match gehalten, Fabelball an Fabelball reihte, stand es plötzlich um kurz vor Mitternacht 4:4. Doch dann der nächste Rückschlag: Geschüttelt von Krämpfen, verlor der Franzose unter den entsetzten Blicken seiner Landsleute, die alles taten, um den wortwörtlich wankenden Helden durchs Match zu tragen, sein Aufschlagspiel. Zu null.

Wie das erneute Break gelang, ist eines der großen Mysterien der jüngeren Tennisgeschichte und wie das Match endete, wird Teil der französischen Tennisfolklore werden. "Dass ich es geschafft habe, unerwartete Lösungen zu finden, macht mich einfach nur glücklich, das ist einer der besten sportlichen Momente, die ich je erlebt habe." Monfils hielt seinen Aufschlag, einen Tiebreak zur Entscheidung hätte er wohl nicht mehr überstanden. Ein Break musste her und mit vereinten Kräften nahmen die entfesselten Franzosen im Stadion dem tapfer gegen den entfesselten Wahnsinn um ihn herum kämpfenden Argentinier final seinen Aufschlag ab.

0.19 Uhr war es, als Philippe Chartrier endgültig explodierte und Gael Monfils erst ungläubig staunte und dann den Tränen nah war, während er sich zum Netz zum Shakehands mit dem enttäuschten Argentinier schleppte. Als ein tief enttäuschter Baez den Platz schon verlassen hatte, lag Gael Monfils nahe dem Netz auf dem Rücken und weinte hemmungslos. Der Schmerz war für den Moment überwunden, das Glück war rein. Er hatte es mal wieder geschafft. Und dafür lieben sie ihn. 37 Jahre alt wird der Profi in diesem Jahr, immer wieder wurde er von Verletzungen zurückgeworfen, immer wieder kämpfte er sich zurück. Für diese Augenblicke, die die Tennisfans rund um die Welt zum Ausrasten bringen.

"Es war wichtig für diese beiden Menschen"

"Es war definitiv eines der zwei besten Matches meiner Karriere. Es war eine unglaubliche Atmosphäre", sagte der Sieger hinterher. "Natürlich ist das hier etwas ganz Besonderes." Viele Chancen habe er wohl nicht mehr, solche Matches zu gewinnen. Im fünften Satz habe er an seine Tochter gedacht. "Ich weiß nicht, warum ich mir das gesagt habe, ich wollte es für sie und für meinen Vater tun. Es war wichtig für diese beiden Menschen. Ich habe es geschafft, ich bin glücklich." Seit 2022 ist Monfils Vater, mit der ukrainischen Weltklassespielerin Elina Svitolina bildet er (mit einer kurzen Pause) das Traumpaar des Tennis.

Um die großen Titel spielen 2023 andere. Aktuell wird Monfils, einst die Nummer sechs der Welt, in der Weltrangliste nach einer Verletzungspause weit außerhalb der Top300 geführt. Für Spektakel ist aber weiterhin allzu oft Gael Monfils zuständig. Auch 20 Jahre nach seinen ersten Matches im Profibereich. "Warum kaufst du dir ein Ticket für ein Turnier? Weil du Leute wie Gael sehen willst", sagte der ehemalige Weltklassespieler Yannick Noah, zu seiner aktiven Zeit selbst ein Spaßvogel und Publikumsliebling.

Und Monfils liefert, sein Repertoire an Zauberschlägen scheint grenzenlos. Durch die Beine vorwärts, durch die Beine rückwärts, eingesprungene Vorhand mit einem guten Meter Luftstand, Gewinnschläge sitzend, mit dem Schläger in der falschen Hand oder ein per Flugshow aus der letzten Ecke des Courts geretteter Schmetterball. 2017 beendete Monfils bei den US Open ein Match, indem er sich in der Luft einmal um sich selbst drehte und dann den Ball ins gegnerische Feld prügelte. "Siege kriegt man auch mit einer guten Show", sagte er hinterher. Monfils ist jederzeit in der Lage, ein Match in eine Show zu verwandeln. Die vielen Highlight-Videos des Routiniers sind große Tenniskunst.

"Nicht bereit aufzugeben"

"Selbst wenn ich verloren habe, bin ich nicht bereit aufzugeben. Es kommt immer ein weiteres Spiel", verkündete der Publikumsliebling im März nach einer neuerlichen Verletzung am Handgelenk. Für die Fans war die Nachricht eine Erleichterung. Aber irgendwann, das ist auch dem Franzosen klar, kommt eben doch kein weiteres Spiel mehr. Irgendwann ist Schluss und es wäre dem Wunderspieler zu wünschen, dass seine Laufbahn mit einem Feuerwerk endet. Monfils will mindestens bis zu den Olympischen Spielen 2024 durchhalten. Die Tenniswettbewerbe finden in Roland Garros statt. Es wäre ein würdiger Abschied für einen der ganz großen Persönlichkeiten des Tennissports. Aber noch sind nicht alle Zauberschläge gespielt.

Bei den French Open wartet nun Holger Rune. "Das Schlimmste ist, dass ich weiß, dass ich Schmerzen haben werde, aber dafür macht man ja Sport. Wenn ich dieses Spiel gewinnen will, muss ich mir wehtun und ich bin bereit, mir weh zu tun", sagte Monfils mit Blick auf sein Zweitrundenduell. Auch der Däne sorgt für große Emotionen: Immer wieder legt er sich mit Fans und Gegnern an, manchmal auch mit der eigenen Box. Ein großer Tennisspieler, der eine große Zukunft vor sich hat, gewiss. Die große Liebe aber hat er in den Stadien der Welt noch nicht gefunden. Gael Monfils schon.

Quelle: ntv.de

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