"Skat und Rotwein" Vogts gibt Löw Tips
27.06.2008, 12:13 UhrBerti Vogts kann sich in die Gemütslage von Joachim Löw hineinversetzen. Denn als letzter deutscher Bundestrainer holte der heute 61-Jährige vor zwölf Jahren mit Deutschland einen großen Titel, gewann am 30. Juni 1996 das EM-Finale von London 2:1 durch Oliver Bierhoffs Golden Goal gegen Tschechien. "Ich weiß, wie man sich vor einem großen Finale fühlt", sagt der Weltmeister von 1974 und gibt dem heutigen Bundestrainer einen guten Ratschlag für die Vorbereitung auf das Finale gegen Spanien in Wien.
"Wir haben damals Skat gespielt und ein Glas Rotwein getrunken. Das hat abgelenkt", berichtet der frühere DFB-Kapitän vom Vorabend des Finales im Londoner Wembley-Stadion über die lockere Runde mit Co-Trainer Rainer Bonhof und anderen Mitgliedern des Betreuerstabes.
Er selbst habe zu diesem Zeitpunkt gar nicht groß darüber nachgedacht, dass er mit einem Sieg in die Fußstapfen so großer Trainer wie Sepp Herberger, Helmut Schön, Jupp Derwall oder auch Franz Beckenbauer treten könne.
Schlaflose Nächte in der Vorrunde
"Das hat mich nicht interessiert. Nach dem gewonnenen Halbfinale gegen England war der ganze Ballast von mir abgefallen. Es ging gegen Tschechien, das wir ja in der Vorrunde 2:0 besiegt hatten, nur noch um das Tüpfelchen auf dem i. Da war ich ganz entspannt. Schlaflose Nächte hatte ich vor dem ersten Gruppenspiel gegen die Tschechen und dem letzten gegen Italien", sagt Vogts im Rückblick.
Keine Ansprache
Die Mannschaft von damals könne man aber nicht mehr mit der heutigen vergleichen. "Wir hatten 1996 alles gestandene Spieler, die brauchten keine Ansprache. Das waren Typen, denen musste man vor dem Finale nichts mehr sagen. Matthias Sammer, Andreas Köpke und Jürgen Klinsmann, die wussten selbst, worauf es ankommt. Da hattest du als Trainer ein beruhigendes Gefühl", erinnert sich Vogts, der mit seinem neuen Arbeitgeber Aserbaidschan pikanterweise in der WM-Qualifikation für die WM-Endrunde 2010 in Südafrika auf Löw und dessen Mannschaft trifft.
'Der Star ist die Mannschaft'
Aus dem aktuellen deutschen Team will Vogts keinen herausheben, stellte aber fest: "Ein Michael Ballack hätte auch in der damaligen Mannschaft seinen Platz gefunden." Andere aktuelle Nationalspieler nennt er nicht. Dass seit dem Amtsantritt von Löw-Vorgänger Jürgen Klinsmann, den er persönlich im August 2004 zum Deutschen Fußball-Bund (DFB) vermittelt hatte, aber der Teamgeist als höchstes Gut der Nationalmannschaft gepriesen wird, ist ihm nicht fremd.
"Mein Motto war: 'Der Star ist die Mannschaft'. Und damit bin ich ganz gut gefahren." Dass Vogts dem DFB, bei dem er viele Jahre in Lohn und Brot gestanden hat, sowie Löw den Titel von Herzen gönnt, versteht sich von selbst. "Ich habe im Schweizer Fernsehen gesagt, dass die Mannschaft den Titel holt. Dazu stehe ich, auch wenn es natürlich schwer wird."
Italien, Russland, Tschechien statt Österreich, Kroatien, Polen
In England habe es seine Mannschaft damals auch nicht einfach gehabt. "Wir hatten keine Freilose. Bei Gegnern wie Tschechien, Russland und Italien in der Vorrunde muss man erstmal weiterkommen. Und die Kroaten im Viertelfinale waren auch nicht ohne", berichtet er über den beschwerlichen Weg bis in die Vorschlussrunde, in der Gastgeber England im Elfmeterschießen aus dem Turnier geworfen wurde.
Danach hatte Vogts dann aber doch noch mal Kopfschmerzen. "Ich hatte zwei Tage vor dem Finale nur noch neun gesunde Feldspieler. Thomas Helmer, Klinsmann und Sammer waren angeschlagen. Die konnten gar nicht richtig trainieren. Das war schon ein Problem. Es wurden sogar Trikots für die Ersatztorhüter Oliver Kahn und Oliver Reck angefertigt", sagte der einstige "Terrier", der damals sogar Jens Todt noch zum Endspiel auf Antrag bei der UEFA nachnominieren durfte.
La Ola mit den Fans
Am Ende stand der größte Erfolg in seiner Trainerkarriere, und Hans-Hubert Vogts ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Unvergessen sind die Bilder, als der zuvor oftmals kritisierte Mann aus Korschenbroich nach dem Triumph allein Richtung deutsche Kurve ging und gemeinsam mit den Fans la Ola machte. "Das war mein Dankeschön an diese fantastischen Anhänger, die immer zu mir gehalten haben", erklärt Vogts diese für ihn außergewöhnliche Reaktion.
Von Jürgen Zelustek und Thomas Niklaus, sid
Quelle: ntv.de