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Nächster "Schock" in England Wenn Rassismus die Normalität ist

Azeem Rafiq (rechts) 2017 im Einsatz für Yorkshire.

Azeem Rafiq (rechts) 2017 im Einsatz für Yorkshire.

(Foto: imago/Action Plus)

Der ehemalige Cricket-Profi Azeem Rafiq sagt bei einer parlamentarischen Anhörung über den demütigenden Rassismus bei seinem Ex-Klub aus. Großbritannien reagiert schockiert - dabei ist der Fall Rafiq keine Anomalie, sondern traurige Normalität.

Der Yorkshire County Cricket Club ist so etwas wie der FC Bayern München seiner Sportart. Mehr Meisterschaften als alle anderen englischen Teams sammelte der Verein seit seiner Gründung im Jahr 1863. Der Klub repräsentiert die traditionelle Grafschaft Yorkshire, von seinen Bewohnern heute noch als "God's Own County" (Gottes eigene Grafschaft) bezeichnet.

Am Dienstag wurden nun der altehrwürdige Verein und die gesamte Cricket-Nation mit dem Rassismus konfrontiert, der den Sport und dessen Kultur und System seit Jahren zerfrisst. Mit Tränen ringend legte Ex-Profi Azeem Rafiq bei einer parlamentarischen Anhörung ein emotionales Zeugnis über seine verheerenden Erfahrungen mit Rassismus im Cricket Club von "Gottes Grafschaft" ab - und erschütterte damit ganz England. Dabei zeigte er schlichtweg die bittere Realität der asiatischen Gemeinschaft und von anderen Minderheiten in Großbritannien auf. Denn der Fall Rafiq ist alles andere verblüffende Anomalie.

Ein Schritt zurück. 2018 machte Rafiq, in Pakistan geboren und als Zehnjähriger mit seinen Eltern nach England ausgewandert, zum ersten Mal intern auf die rassistische Umkleidekabinen-Kultur im Yorkshire Cricket Club aufmerksam. Von 2008 bis 2014 und von 2016 bis 2018 hatte er für den Verein gespielt. Der Klub ignorierte die Beschwerden seines Cricketspielers, der damals auch mit der Totgeburt seines Kindes zu kämpfen hatte. Erst als der ehemalige englische U19-Kapitän sie 2020 öffentlich machte, wurde eine Untersuchung gestartet.

Weiße Mehrheit will Rassismus definieren

Vor zweieinhalb Monaten kam der Verein zu dem Schluss, dass Rafiq tatsächlich "rassistisch belästigt und schikaniert" worden war. Yorkshire "entschuldigte" sich bei dem 30-Jährigen. Der vollständige Bericht wurde allerdings nicht veröffentlicht und der Klub erklärte, keine disziplinarischen Maßnahmen gegen Spieler oder Mitarbeiter zu ergreifen. Leaks legten anschließend offen, dass der Bericht die rassistischen Beleidigungen Rafiqs als "freundliche und gutmütige Scherze" oder "Geplänkel" zwischen Mannschaftskameraden abtat.

Unter anderem ging es um die regelmäßige Verwendung einer abwertenden Bezeichnung für Personen mutmaßlich aus Südasien (insbesondere Pakistan), die hauptsächlich im Vereinigten Königreich gebraucht wird. Für Betroffene und Menschen mit Rassismuserfahrung sind derartige Herabsetzungen alles andere als "gutmütige Scherze". Und leider auch traurige Realität. Vor allem ältere Einwanderer-Generationen mussten sich dieser Art von Rassismus in Großbritannien oft anhören. Aber der Fall Rafiq zeigt, dass die heutige Welt nicht großartig anders aussieht.

Es geht dabei um die Ausgrenzung eines Individuums. Ein abwertender Begriff hat auch immer eine gewisse Entmenschlichung als Folge, die wiederum schlechtere Behandlung nach sich zieht. So wird Minderheiten ein Stück weit ihre wahre Identität genommen. Für Rafiq und viele andere war und ist das eine Normalität, die keine sein darf.

Und die Reaktion des Yorkshire Cricket Clubs offenbarte ein vielerorts wucherndes Problem: Noch immer will die dominante Gruppe oder Mehrheit festlegen, im Cricket wie auch im Rest des Landes ist sie weiß und britisch-britisch, was Rassismus ausmacht und was akzeptabel ist und was nicht. Minderheiten sollen die Vorgaben der Mehrheitskultur akzeptieren. Aber es gibt keine zwei Seiten bei Rassismus und nur die Betroffenen fühlen die Beleidigungen und Benachteiligungen.

"Leben zur Hölle gemacht"

Wie Rafiq vor dem parlamentarischen Ausschuss nun erzählte, hätten weiße Führungsspieler ihn und andere Spieler of Color auch mit der pauschal abwertenden Bezeichnung "Kevin" versehen. Auch in der englischen Nationalmannschaft sei dies "ein offenes Geheimnis" gewesen. Das rassistische Spielchen soll so weit gegangen sein, dass einer der Profis sogar seinen Hund mit dem Namen taufte, weil dieser schwarz gewesen sei. Auch "Elefantenwäscher" sei Rafiq ständig genannt worden sein.

"Schon sehr früh gab es für mich und andere Menschen mit asiatischem Hintergrund Kommentare wie 'Euer Haufen sitzt da in der Nähe der Toiletten'", sagte Rafiq. Die Verantwortlichen hätten sowas dann einfach akzeptiert. Spieler mit muslimischem Hintergrund seien während ihrer Fastenzeit für Teamfehler verantwortlich gemacht worden. Der Ex-Profi sagte, der Rassismus, den er in Yorkshire erlebt habe, sei "ohne jeden Zweifel" im ganzen Land zu finden.

Auf die Frage, ob er denke, dass Cricket in Großbritannien institutionell rassistisch sei, antwortete Rafiq: "Ja, das tue ich." Das Ausmaß des Problems sei "erschreckend". Jeder in dem Sport wisse, dass es das Problem gibt. Er habe aber "gesehen, dass einem das Leben zur Hölle gemacht wird, wenn man es ausspricht", so der Ex-Profi.

Traurige Normalität

"Glaube ich, dass ich meine Karriere durch Rassismus verloren habe? Ja, das glaube ich", zog Rafiq sein Fazit. Er wolle nun für die vielen Menschen, die kein Gehör finden, eine Stimme geben. Nicht nur im Cricket. Er habe seit 2018 gemerkt, dass sich niemand aus der Gemeinschaft meldete, um ihn zu unterstützen, weil sie sich hilflos fühlten, weil sie befürchteten, dass sie das System nicht besiegen könnten und ihnen niemand glauben würde. "Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren eine große Veränderung sehen werden", sagte Rafiq über den Grund seines öffentlichen Auftritts.

Immerhin gibt es erste Konsequenzen, durchaus selten in solchen Fällen. "Ich stimme zu, dass der Umgang mit dem Bericht auf Probleme im Zusammenhang mit institutionellem Rassismus hinweist", gab Tom Harrison, Chef England and Wales Cricket Board (ECB), vor den Abgeordneten zu. Das ECB hat Yorkshire, den FC Bayern der Sportart, bis auf Weiteres wegen der "völlig inakzeptablen" Reaktion auf den Rassismus, mit dem Rafiq konfrontiert wurde, von der Austragung internationaler Spiele ausgeschlossen. Sponsoren, darunter der Ausrüster Nike, kündigen ihre Verträge. Die Reputationsschäden sind enorm.

Auch Fans und Experten reagierten erschüttert. "Die Kultur von Yorkshire steckt in der Vergangenheit fest", verkündete sogar Roger Hutton, der wegen des Eklats scheidende Vorsitzende des Klubs. Doch er lag falsch. Rassismus ist kein Phänomen der Vergangenheit, kommt in vielen verschiedenen Formen daher und ist vielerorts noch immer traurige Gegenwart und Normalität. Gerade in einem Land mit derart blutiger und weiterhin nachwirkender kolonialer Vergangenheit.

Weniger Profis mit asiatischer Herkunft

Diesmal war es das Vereinigte Königreich, aber es hätte genauso Deutschland sein können. Ob im Profifußball oder bei den Amateuren, ob auf der Tribüne oder auf dem Platz, auch hierzulande fallen immer noch rassistische Beleidigungen. Diesmal war es Cricket. Es könnte aber jede andere Sportart sein, jeder andere Bereich des Lebens. Wie tief der Rassismus in Großbritannien noch sitzt, zeigte sich nicht erst jüngst nach dem Finale der Fußball-Europameisterschaft, als drei Schwarze Spieler der englischen Nationalelf an den Pranger gestellt wurden, weil sie ihre Elfmeter verschossen hatten.

People of Color wissen natürlich schon lange, dass für viele Rassismuserfahrungen immer noch Normalität sind. Nun weiß es auch "God's Own County", nun weiß es der Cricket-Sport. 2018, zeitgleich mit Azeem Rafiqs erster Offenlegung der rassistischen Vorgänge, veröffentliche das ECB übrigens eine Studie, die darlegte, dass Menschen südasiatischer Herkunft ein Drittel der Freizeitcricketspieler in England ausmachten, jedoch nur vier Prozent der Profis. In den vergangenen zehn Jahren soll letztere Zahl sogar um 40 Prozent gesunken sein.

Quelle: ntv.de

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