Formel-1-Grand-Prix bei Neu Delhi Glitzerwelt im armen Indien
28.10.2011, 18:19 Uhr
Weltmeister Sebastian Vettel verteilt Autogramme.
(Foto: dpa)
An diesem Wochenende startet in Indien zum ersten Mal ein Formel-1-Rennen. Die Euphorie ist groß im Land. Doch der größte Teil der Bevölkerung kann sich die horrenden Ticketpreise nicht leisten, und viele Bauern fühlen sich verschaukelt.
Die schöne, glitzernde Scheinwelt liegt nur wenige Meter von der realen Armut entfernt. In Indien findet an diesem Wochenende zum ersten Mal überhaupt ein Formel-1-Rennen statt. An keinem anderen Veranstaltungsort im Motorsport treffen die Gegensätze der beiden Welten dermaßen stark aufeinander. Die Hotels der Formel-1-Fahrer befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Baracken und Verschläge der Slums von Neu Delhi.
"Wenn man mal aus dem Hotel geht und hundert Meter nach links schaut, sieht man das wahre Indien", sagte Timo Glock nachdenklich. Den Marussia-Virgin-Fahrer bedrücken die Verhältnisse: "So extrem wie hier habe ich es noch nirgendwo gesehen." Mercedes-Kollege Nico Rosberg war nach seinen ersten Eindrücken verwirrt: "Ich habe es mir ganz anders vorgestellt. Es ist erschreckend, so etwas zu sehen." Das frühere Entwicklungsland wandelt sich zwar zu einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht. Doch allem Aufschwung zum Trotz: Die Armut ist immer noch sehr groß.
Die teuerste Karte kostet 500 Euro
40 Prozent der 1,2 Milliarden Einwohner leben unter der Armutsgrenze. Das durchschnittliche Einkommen eines Inders beträgt umgerechnet 1000 Euro im Jahr. Zum Vergleich: Die teuersten Eintrittskarten für den Grand-Prix kosten 500 Euro. Für die meisten Inder ist das unerschwinglich. Für sie bleibt das Veranstaltungsgelände, auf dem auch ganz Bollywood, Metallica und Lady Gaga zugegen sein werden, verschlossen.
Zudem fühlen sich viele Bauern von der Regierung des Bundesstaats Uttar Pradesh über den Tisch gezogen. Diese hatte ihnen ihr Land für die knapp 300 Millionen Euro teure Rennstrecke abgekauft. Nun fordern sie eine höhere Abfindung. "Wir sind nicht gegen das Rennen, aber die Staatsregierung hat ihre Versprechen, die sie uns gegeben hat, nicht gehalten", sagte Bauernführer Rupesh Verma. Manche Bauern hätten kein neues Land bekommen und seien nun arbeitslos. "Für dieses Spiel mit schnellen Autos, das für die Elite ist, wurden Landwirten die Lebensgrundlagen geraubt." Dass Proteste den Grand Prix stören könnten, gilt angesichts der Sicherheitsvorkehrungen als unwahrscheinlich.
"Die Formel 1 hat die Aufmerksamkeit auf uns gelenkt"
Doch es gibt auch Inder, die sich auf das Spektakel freuen, das nicht vom Staat, sondern von einem privaten Investor veranstaltet wird. Zu ihnen gehört Ajay Bhati. Der 35-Jährige ist Sportlehrer in einer staatlichen Schule in Rani Rampur, einem Dorf in der Nähe der neuen Rennstrecke. "Die Formel 1 hat weltweite Aufmerksamkeit auf unsere Gegend gelenkt. Das wird viel dazu beitragen, das abgedroschene Bild Indiens als Land von Schlangenbeschwörern und Puppenspielen zu ändern", sagte er und fügte hinzu: "Mit der Formel 1 sehen die Menschen Indien als ein modernes Land mit Weltklasse-Infrastruktur und Einrichtungen."
Bhati erwartet, dass im Windschatten der Formel 1 weitere Infrastrukturprojekte zur Entwicklung der Gegend beitragen und Arbeitsplätze schaffen werden. Auch Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug sieht im Grand Prix in Indien eine wirtschaftliche Weiterentwicklung des Landes, die helfe, die Armut zu lindern. Sein Fahrer Rosberg, den die offensichtliche Armut erschreckt hatte, sieht den Bau der Rennstrecke ebenfalls positiv: "Es ist doch toll, wie viele Menschen hier dran verdient haben." Nicht zuletzt erhofft sich die schwächelnde Automobilbranche in Indien einen neuen Absatzmarkt zu finden. Ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, muss abgewartet werden.
Quelle: ntv.de, mit dpa