Mit dem Kopf durch die Wand Red Bull dilettiert in Istanbul
31.05.2010, 15:05 Uhr
Da fuhren sie noch hintereinander: Red Bull hat einen Doppelsieg hergeschenkt. Nicht die ersten unnötigen Punktverluste in dieser Saison.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Der Crash zwischen den Red-Bull-Piloten Vettel und Webber wird heftig diskutiert. Die Schuldfrage lässt sich nicht klären. Für das Team ist der Unfall fatal: Viele Punkte sind verschenkt, die Stimmung ist vergiftet.
In der Formel ist nicht selten auch schauspielerisches Talent gefragt. Das musste nach dem gestrigen Grand Prix in der Türkei vor allem das Team von Red Bull beweisen. Dennoch sah man den beiden Fahrern, Sebastian Vettel und Mark Webber, sowie Teamchef Christian Horner an Gestik und Mimik an, wie sehr es in ihnen brodelte. Was sie allerdings verlauten ließen, war weichgespült und moderierend, ganz so, wie es heute eben in der Königsklasse zugeht.
Verwundern dürfte es allerdings niemanden, wenn es hinter den Kulissen laut geworden ist, richtig laut. Was dem Team in Istanbul widerfuhr, ist der zweitgrößte anzunehmende Unfall, den ein F1-Team erleiden kann. Beide Fahrer crashen, in Führung liegend, ineinander. Nur die Tatsache, dass Mark Webber das Rennen wundersamerweise auf Rang drei beenden konnte, stellt für Horner einen schwachen Trost dar. Der Doppelsieg und damit die klare Führung in der Teamwertung, sie wurden leichtfertig verschenkt.
Verarbeiten ist angesagt
Wer am Ende für den fatalen Crash verantwortlich ist, bleibt der Interpretation vorbehalten. Es lässt sich trefflich streiten, ob Webber hätte Platz machen oder Vettel zurückziehen müssen. Webber erklärte nach dem Rennen wortkarg: "Plötzlich kam er nach rechts, während ich meine Linie hielt." Auch Sebastian Vettel hielt sich mit Schuldvorwürfen zurück: "Ich war nah dran, überholte ihn links – und das war es. Keiner von uns wollte diese Berührung." Auch Christian Horner lies sich zunächst nicht zu einem eindeutigen Statement hinreißen: "Sie haben sich keinen Platz gelassen, so einfach ist das."

An Vettels Reaktion nach dem Crash war ersichtlich, dass er die Schuld nicht bei sich sieht.
(Foto: REUTERS)
Die Devise muss nach diesem unglücklichen Desaster wohl lauten: Mund abputzen und weiter - auch wenn es für die Piloten schwer sein dürfte, das Geschehene einfach wegzustecken. Interessanterweise wird hinter den Kulissen bei Red Bull die Schuld an dem Crash eher Webber zugeschoben, während das Gros der unzähligen Experten rund um die Formel 1 die Verantwortung bei Vettel sieht. Entlarvend sind dennoch die Erklärungsversuche aus dem Lager von Red Bull. Zunächst hieß es, die Reifen von Webber wären schlechter gewesen, abends wurde dann der Benzinsparmodus in dem Webber fuhr, Vettel aber nicht, als Erklärung dafür angeführt, warum der Heppenheimer hätte vorbeigelassen werden sollen.
Vettel schneller unterwegs
Klar ist, dass sich Red Bull erneut fragen lassen muss, ob die Taktik nicht zu wünschen übrig lässt in dieser Saison. Natürlich ist eine Stallorder offiziell verboten und ein problemloses Vorbeiziehen Vettels hätte sicherlich einige Fragen aufgeworfen. Aber offensichtlich war Vettel in den zwei Runden davor eindeutig schneller unterwegs. Er konnte die Lücke von einigen Sekunden zu seinem Teamkollegen schließen und hatte vor dem Crash einen Geschwindigkeitsüberschuss, den er, zugegebenermaßen recht brutal, für ein Überholmanöver nutzen wollten. So wird denn auch der Renningenieur Webbers, Ciaron Pillbeam, in die Verantwortung genommen. Er hätte seinen Fahrer über Vettels Attacke informieren müssen. Ob es was geändert hätte, bleibt aber fraglich, denn Webber hat seinen Kollegen ja durchaus gesehen - Vettel Webber hingegen nicht mehr, als er plötzlich nach rechts zog.
Wie auch immer man den Unfall zwischen den beiden beurteilen mag, für Red Bull als Team wird die Saison immer schwieriger. Sie haben eindeutig das schnellste Auto auf der Strecke, in sieben Rennen sieben Mal die Pole Position geholt. Von der Performance her müsste das österreichisch-britische Team haushoch führen. Aber sieben Poles reichten nur zu drei Siegen. In der Teamwertung führt nach dem Istanbul-Debakel jetzt McLaren. Und Webber hat in der Fahrerwertung auch nur noch fünf Punkte Vorsprung vor dem ersten McLaren und neun vor dem zweiten. Erfolg sieht anders aus.
Fehde zwischen Vettel und Webber?
Was nun droht ist ein ausgewachsener Stallkrieg zwischen den beiden Piloten und weiß: Das ist das letzte, was Christian Horner jetzt gebrauchen kann. Man erinnert sich nur ungern an die Fehde einst zwischen Alain Prost und Ayrton Senna Freunde wurden die beiden nach dem Rennen in Imola nie wieder. Und trotz des Titels für Senna im selben und für Prost im folgenden hatte das McLaren-Team wenig Freude an der Auseinandersetzung zwischen den beiden Piloten.

Vettels Auto schaffte es nicht auf den eigenen Rädern in die Box. Webber hatte unwahrscheinlich großes Glück.
(Foto: REUTERS)
Vor dem kommenden Rennen in Milton Keynes hat Red Bull einen Friedensgipfel mit Webber und Vettel anberaumt. Ohne geht es nicht mehr, wenngleich eine rasche Eskalation noch nicht zu befürchten scheint. Das Team muss sich aber auch dringend Gedanken machen, wie man solche Vorfälle künftig verhindern kann. Der Grand Prix der Türkei hat wieder einmal gezeigt, dass die einzigen, die das Team von Christian Horner stoppen können, Red Bull selbst sind. Und das haben sie, sehr zur Freude von McLaren und den anderen in dieser Saison schon zu oft getan.
Allzu viele Fehler dürfen sich die Mannen von Red Bull nicht mehr erlauben, eine Stallorder könnte Wunder wirken. Sonst bleibt dem Team mit dem besten Auto und dem besten Fahrer am Ende nur der Titel des tragischen Verlierers - so wie 2007 McLaren-Mercedes, als sich Fernando Alonso und Lewis Hamilton im verbissenen Zweikampf um den Titel um eben jenen brachten.
Quelle: ntv.de