Danner im Interview zum F1-Titelkampf "Vettels Chancen stehen 50:50"
03.11.2010, 10:02 Uhr
Totales Desaster: Die Chancen von Red Bull auf den Fahrer- und den Konstrukteurstitel haben sich durch den Doppelausfall von Korea dramatisch verschlechtert.
(Foto: REUTERS)
In der Formel 1 stehen noch zwei Rennen an bevor endgültig der Weltmeister gekrönt wird. Nach dem Ausfall von Korea haben sich die Chancen von Sebastian Vettel dramatisch verschlechtert. RTL-Experte Christian Danner spricht im Interview mit n-tv.de über Teamorder, die Taktik des WM-Führenden Fernando Alonso und die verbliebenen Chancen des jungen Deutschen auf den Titel.
Mit welcher Taktik wird der WM-Spitzenreiter Fernando Alonso am Wochenende in Interlagos an den Start gehen?
Alonso hat seine Taktik bereits vorgegeben. Er glaubt, wenn er bei jedem Rennen aufs Podium fährt, ist er am Ende Weltmeister. Das er beim letzten Rennen (in Südkorea) gewonnen hat, war etwas mehr, als er selbst erwartet hat. Damit steht die Zuverlässigkeit im Vordergrund. Die anderen machen, seiner Meinung nach, so viele Fehler, dass sie sich selbst schlagen.
Was uns besonders interessiert: Hat Sebastian Vettel noch eine Chance auf den Titel?
Die hat er schon noch. Allerdings eine überschaubare. In dieser Saison ist es schwer sich festzulegen, weil alles etwas drunter und drüber geht. Aber mehr als eine 50:50–Chance hat er nicht, weil Alonso und auch Webber doch viel Vorsprung haben. Selbst wenn er zweimal gewinnt, braucht er schon viel Mithilfe der anderen beiden, damit es noch für den Titel reicht.
Sein Teamkollege Mark Webber hat ja, aus Sicht von Red Bull betrachtet, die weitaus besseren Karten. Würden Sie an der Stelle von Teamchef Christian Horner eine Teamorder für Webber ausgeben?

Unverhofft zum Sieg: Die 25 Punkte von Yeongam haben Ferrari-Pilot Fernando Alonso in eine formidable Ausgangsposition gebracht.
(Foto: REUTERS)
Ich würde natürlich keine Teamorder ausgeben, weil es illegal ist. Das ist ein merkwürdiger Begriff, der speziell von Ferrari missbraucht wurde und, meiner Ansicht nach, bei weitem nicht ausreichend bestraft wurde. Das Thema Teamorder muss man vergleichen mit technischen Reglements. Wenn ein Team zum Beispiel im Endspurt der WM plötzlich mit einem Vier-Liter-Motor fahren würde, dann wäre das für das Team besser. Es ist aber schlicht nicht erlaubt. Daher ist Teamorder eigentlich gar kein Thema. Das Ganze wird sich von selbst regeln und deshalb müssen wir uns gar nicht so sehr damit beschäftigen. Die Frage, wer für wen fährt, ist sehr populär. Aber es ist verboten.
Könnte Lewis Hamilton noch der lachende Dritte werden?
Auf jeden Fall. Man darf nicht vergessen, dass Hamilton, als er damals noch mit Alonso in einem Team fuhr, genau das erlebt. Damals wurde Kimi Räikkönen noch Weltmeister und weder Alonso noch Hamilton.
Aber eigentlich hat er gute Erinnerungen an Brasilien. Schließlich ist er dort auch schon Weltmeister geworden.
Er hat gute und schlechte Erinnerungen. Er hat in Interlagos schon eine Weltmeisterschaft verloren und eine gewonnen.
Werden die Teams noch mal neue Entwicklungen mit nach Brasilien bringen? Ist da noch was drin bei den Titelanwärtern?
Garantiert. Bei McLaren wahrscheinlich weniger. Die haben – ich will nicht sagen, ihr Pulver verschossen – aber sie haben ein großes Update gehabt in Japan. Und dann auch noch mal für Abu Dhabi nachgelegt. Aber bei Red Bull wird eine ganze Menge neuer Teile kommen und auch bei Ferrari kann ich mir nicht vorstellen, dass die aufgehört haben zu entwickeln. Es geht hier um die WM. Da kann man sich keine Entwicklungsstopps leisten.
Wie stark wird Red Bull auf der Strecke von Interlagos sein?
Ich würde sagen, dass sie beide Autos wieder in Reihe eins stellen.
Also wie in Japan und Korea, wo Red Bull dominiert hat?
Dominieren ist immer so eine Sache. Nur weil man die Nase vorne hat, dominiert man noch nicht. In Brasilien wird alles so eng beisammen sein, weil es kurze Runden sind. In der Vergangenheit haben sich die ersten Zehn innerhalb von ein paar Zehntel getummelt. Da wird auch dieses Mal nicht anders werden. Das wird alles sehr knapp werden. Deswegen wird es keine Dominanz geben. Dennoch sehe ich die Red Bull in der ersten Startreihe.
Spielen die Nerven in Brasilien eine besonders große Rolle? Gerade weil das Feld so eng zusammen sein wird.
Die Nerven spielen immer eine große Rolle. Aber der Wetterbericht ist wieder durchwachsen. Am Freitag soll es sonnig werden, mit ein bisschen Gewitter am Abend. Am Samstag rechnet man mit Schauern, da kann es während des Qualifyings regnen. Und am Sonntag ist Sonne vorhergesagt. Da muss man wirklich mental sehr stabil sein, um im entscheidenden Moment die schnelle Runde hinzukriegen.
Wer wird denn am Ende Weltmeister?
Normalerweise lege ich mich ja schon gerne fest. Aber dieses Mal kann ich mich einfach nicht festlegen und freue mich drauf, dass ich einfach nicht in der Lage dazu bin. Wann hat es das schon mal gegeben, dass sich die Situation im Titelkampf Rennen für Rennen immer wieder gedreht hat. Da kann man keine Prognosen machen. Wir haben die einmalige Situation, dass die Fahrzeuge von McLaren, Ferrari und Red Bull wirklich gleichwertig sind. Und die Piloten auch. Wir haben eine Leistungsdichte an der Spitze, was das Material und die Fahrer angeht, wie sie die Formel 1 seit mindestens 20 Jahren nicht mehr erlebt hat.
Erleben wir vielleicht gerade die interessanteste Formel-1-Saison, die es je gab?
Ja, mit großem Abstand. Das kann man jetzt schon sagen. Und das liegt an drei Dingen. Erstens haben wir mit Hamilton, Alonso, Button und Schumacher vier Weltmeister im Feld. Außerdem fahren unter anderem mit Jarno Trulli und Heikki Kovalainen im Feld dahinter einige Grand-Prix-Sieger. Zweitens liegen die Fahrzeuge von Ferrari, Red Bull und McLaren, zwar changierend, immer auf gleicher Höhe. Mal hatte das Auto die Nase vorne, mal das andere. Hinzu kommt, dass wir, nicht wie sonst oft, irgendwelche zu vernachlässigenden Piloten da drin sitzen haben. Und da fahren nur Top-Piloten. Von denen kann morgen jeder einen Grand Prix gewinnen. Beide Ferrari können gewinnen, genauso wie beide Red Bull oder beide McLaren. Das ist sehr selten und das ist auch der Grund, warum diese WM so unglaublich spannend ist.
Mit Christian Danner sprach Markus Mechnich.
Quelle: ntv.de