Nur was die Uefa will, wird gezeigt Der Herr über die TV-Bilder
15.06.2012, 16:18 Uhr
Techniker präparieren die sogenannte Spidercam für die TV-Übertragung.
(Foto: dapd)
Protestplakate, Flitzer und Bengalos: Das alles geschieht in den EM-Stadien, ist im TV aber nicht zu sehen. Die Uefa möchte diese Szenen nicht zeigen, weil sie dem Schein eines friedlichen Fußballfestes angeblich schaden. Der europäische Fußballverband geht sogar noch weiter. Er manipuliert Fernsehbilder.
Die Szene kam gut an: Bundestrainer Joachim Löw streicht sich kurz durch sein akkurat sitzendes, dunkles Haar, nähert sich kaugummikauend von hinten einem Balljungen und patscht diesem den Ball völlig unerwartet aus den Armen. Der dreht sich schnell um und will sich gerade beschweren. Doch dann sieht er in das schelmisch grinsende Gesicht des deutschen Bundestrainers und muss selber lächeln. Toll, denken sich die 27 Millionen Zuschauer an den TV-Geräten, dass der Jogi während des Spiels am Mittwoch gegen die Niederlande zu solchen Späßen aufgelegt ist. Normalerweise kennen die Fußballfans Löw während des Spiels meist angespannt und zu 100 Prozent fokussiert.
ZDF-Reporter Michael Steinbrecher spricht Löw nach dem Spiel auf die Szene an. Der lacht nur verschmitzt und sagt: "Das war irgendwie vor dem Spiel." Steinbrecher und wahrscheinlich das Gros der Fernsehzuschauer fassen die Äußerung als Scherz auf, weil der Bundestrainer wohl nicht zugeben möchte, dass er während des Klassikers gegen die Holländer die volle Konzentration vermissen lässt. "Nee, nee", sagt Steinbrecher dann, "da stand es noch 0:0." Wie wir jetzt wissen, stimmt das nicht. Denn zum Zeitpunkt der Szene gab es überhaupt gar keinen Spielstand – die Situation spielte sich nämlich vor dem Anpfiff der Partie in Charkow ab. . Zugespitzt kann man von Manipulation und gar Betrug am Zuschauer sprechen, weil ein völlig falsches Bild des scheinbar so locker aufgelegten Bundestrainers entstanden ist.
Protest-Plakate nicht gezeigt
Für die übertragenen Bilder der Fußball-EM-Spiele ist der europäische Fußball-Verband (Uefa) zuständig. Eine Produktionsfirma erstellt in seinem Namen das TV-Signal für alle Sender. Die Uefa gibt somit vor, was im Fernsehen zu sehen ist. Bilder hingegen, die dem Eindruck eines sauberen und friedlichen Fußball-Spektakels im Stadion schaden könnten, blendet sie einfach aus. Den Zuschauern wurden daher Transparente mit politischen oder kriegerischen Botschaften, Bengalos im Fanblock oder ein Flitzer auf Abwegen vorenthalten. So blieben die Plakate der für die Zuschauer an den Bildschirmen unentdeckt. Mit der Banneraufschrift "Fairplay in Fußball und Politik" wollte das Duo gegen den Umgang mit der ukrainischen Oppositionellen Julia Timoschenko protestieren.
Wenn ZDF-Reporter Béla Réthy nicht davon erzählt hätte, was er sah, hätte es niemand mitbekommen. Auch den kroatische Fan, der sich an den Ordner vorbei Zutritt zum Spielfeld verschafft hatte, um Nationaltrainer Slaven Bilic einen Kuss auf die Backe zu drücken, fingen die TV-Kameras nicht ein – oder zumindest wurden die Bilder nicht ausgestrahlt, weil sie verboten waren. Der zweitgrößte Fußballverband der Welt schreibt den Bildredakteuren nämlich vor, wie sie sich in bestimmten Situationen zu verhalten haben. Der Leitfaden ist in einem Regelkatalog nachzulesen. Die Uefa muss sich nun den Vorwurf der Bevormundung und der Zensur gefallen lassen.
"Von Zensur würde ich nicht sprechen", sagt jedoch ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. Dass ein Veranstalter eine Produktionsfirma beauftragt, das Weltbild zu fertigen, ist nicht unüblich. In der Fußball-Bundesliga und der Champions League läuft es auch so. Während der EM haben ARD und ZDF bis auf wenige Ausnahmen bei allen Spielen das Weltbild komplett übernommen. Die Möglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten das Weltbild mit ihren zehn eigenen Kameras zu ergänzen, sind limitiert. "Wir haben da keinen Einfluss darauf", sagte eine Sprecherin des ZDF und verdeutlicht das Dilemma: "Die Bilder kommen von einer Produktionsfirma, die im Auftrag der Uefa arbeitet." Zudem sind die Positionen der Kameras bereits vorher festgelegt worden; eine freie Platzwahl gibt es nicht. Insgesamt filmen 32 HD-Kameras jedes einzelne Spiel der Europameisterschaft. Das Material wird im Internationalen Sendezentrum in Warschau geschnitten und als Fertigprodukt an die einzelnen TV-Sender weitergeleitet.
ZDF zeigt 2008 auch eigene Bilder
Dass es zum Weltbild durchaus eine Alternative gibt, bewies das ZDF vor vier Jahren. Schon während der EM in Österreich und der Schweiz brannten in den Stadien die bengalischen Feuer. Die von der Uefa gesteuerten Bilder fingen diese indes nicht ein. Im Zweiten waren sie dennoch zu sehen. "Wenn wir die journalistische Notwendigkeit sehen und die technischen Möglichkeiten haben, zeigen wir auch eigene Bilder", betont der Sportchef Gruschwitz.
Die Manipulation des juxenden Löws kommt im Vergleich mit der Formel 1 wie ein dummer Jungenstreich daher. Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone fährt nämlich einen rigiden Kurs. Der Brite hat veranlasst, dass drei Minuten vor dem Start der Rennen alle TV-Sender auf das Weltbild schalten müssen. Sie dürfen nichts verändern und sind verpflichtet, das eigene Filmmaterial am Saisonende abzuliefern.
Quelle: ntv.de