"Desaster, hässlich, weggefegt" Erschüttertes Italien stürzt in tiefschwarzes Loch

Und nun? Italien flog hochkant aus der EM.

Und nun? Italien flog hochkant aus der EM.

(Foto: IMAGO/ZUMA Press)

Mamma mia: Die italienische Nationalmannschaft wird nach einem erschreckend schwachen Auftritt von der Schweiz aus der EM gekegelt - und die Presse in Italien schäumt vor Wut. Von "Blamage", "Schande" und "Versagen" ist die Rede, die Squadra Azzurra steht vor einem Scherbenhaufen.

Viele Fans im Berliner Olympiastadion stehen noch an der Bierschlange, die italienische Nationalmannschaft ist gefühlt noch beim Pausen-Espresso, als zwei Kommentatoren des Schweizer Fernsehens aufspringen, wild die Arme in die Luft schmeißen, sich gegenseitig mit ungläubigem Blick anschreien. Es läuft die 46. Minute im EM-Achtelfinale zwischen Titelverteidiger Italien und der Schweiz und Martin Vargas erhält links im Strafraum zu viel Platz und setzt zum Kunstschuss an. Der Eidgenosse schlenzt die Kugel gefühlvoll aus knapp 16 Metern ins rechte obere Toreck. Ein Blitztor zum 2:0 für die Schweiz. Der Schock für Italien 27 Sekunden nach Wiederanpfiff, weil eine Anstoßvariante der Squadra Azzurra völlig in die Hose geht.

Was die TV-Kommentatoren nicht fassen können, ist nicht allein der Fakt, dass ihre Nationalelf zu diesem Zeitpunkt bereits mit anderthalb Beinen im Viertelfinale steht. Sie begreifen nicht, wie einfach der Sieg, der 45 Minuten später besiegelt ist, gegen Italien gelingt. Wie wenig Gegenwehr, wie wenig Aufbäumen dort auf dem Rasen von den Männern in Blau kommt. Wie schon beim Eröffnungstor gegen Albanien, das nach 23 Sekunden fiel, kassieren die Azzurri nach dem Wiederanpfiff ein Gegentor innerhalb der ersten 30 Sekunden. Der endgültige Schock bei einem verheerenden Auftritt der stolzen Fußballnation.

Das EM-Aus und der blutleere Auftritt von La Nazionale bringen die für ihre harschen Worte bekannte italienische Presse schon Minuten nach dem Abpfiff zum Schäumen. "La Gazzetta dello Sport" titelt direkt: "Italien verliert sein Gesicht." Die bekannte Sport-Zeitung erklärt weiter: "Die Schweiz spaziert zum 2:0-Sieg. Italien scheidet auf die schlechtestmögliche Weise aus dem Turnier aus, indem es von der Schweiz dominiert wird. Nach den Schwierigkeiten in der Vorrunde hatte Spalletti gehofft, dass das Spiel gegen die Schweiz der Wendepunkt sein könnte. Es wurde der Zusammenbruch - aus physischer, taktischer und psychologischer Sicht. Die Azzurri haben nichts verstanden, angefangen beim Trainer."

Infantino sieht erschreckend schwache Italiener

Nicht besser mit dem Nationalteam meint es "Tuttosport" und nennt das Ausscheiden ein "nationales Scheitern". "Weggefegt", schreibt die Zeitung weiter: "Desaster für Italien, die Schweiz dominiert. Spalletti und die Azzurri scheiden aus der EM aus." Der "Corriere dello Sport" berichtet von "einer Schande" und "Italiens Versagen": "Ohne Beine und ohne Seele scheidet die Nationalmannschaft wehmütig aus der EM aus." Laut "La Repubblica" ist für "eine der hässlichsten Nationalmannschaften der letzten Jahre" verdient Schluss. Der "Corriere della Sera" spricht von einer "schweren Blamage".

Tatsächlich übertreiben die Zeitungen kaum. Für Italien ist es das erste Spiel in Berlin und im Olympiastadion seit dem Sieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich im Finale der Weltmeisterschaft 2006. Doch gegen die Schweiz erinnert nichts und niemand an die starke Mannschaft von damals. Obwohl Trainer Luciano Spalletti gleich sechs Änderungen gegenüber der Mannschaft vornimmt, die gegen Kroatien erst in der letzten Sekunde ein Unentschieden und Platz zwei der Gruppe gerettet hatte.

Vor den Augen des italienisch-schweizerischen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino - viel Security tummelt sich auf der Pressetribüne, um Infantino eins drunter auf der Ehrentribüne zu beobachten, die Aufpasser werden aber ein aufs andere Mal von wütenden Kommentatoren aus der Schweiz weggeschickt, weil sie das Blickfeld blockieren - beginnt die Schweiz dominant, aber ein gewohnt tief stehendes Italien lässt zunächst nicht viel anbrennen. In der 24. Minute erspielen sich die Eidgenossen die erste wirkliche Chance - und die Azzurri sollten sich anschließend nie wieder erholen.

Nach einem schnellen Direktpass von startet Breel Embolo frei aufs Tor durch. Riecht nach abseits, so denken fast alle auf dem Rasen, wohl auch Embolo, der mit zu viel Zeit zum Nachdenken an Torhüter Gianluigi Donnarumma, vor drei Jahren noch Held im EM-Finale gegen England, scheitert. Die Schweizer Kommentatoren springen ein erstes Mal aus den Plastikstühlen, anschließend zieht ihr Team ein so enormes Pressing auf, dass Italien kaum aus der eigenen Hälfte kommt. Erschreckend schwache Spieler in Blau laufen nur hinterher. Trainer Spalletti wirkt an der Seitenlinie genauso rat - und hilflos wie seine Mannschaft.

Italien wehrt sich kaum

Das folgende Tor zum 1:0 hat in dieser Phase jeder im Stadion kommen sehen. Vargas bedient Remo Freuler im Sechszehner, dieser nimmt den Ball eigentlich nicht gut an, die Kugel springt über seinen Kopf. Aber macht nichts, die Italiener schauen brav zu und er darf mit links aus kurzer Distanz einschießen. Donnarumma ist ohne Chance, die beiden Kommentatoren flippen vollkommen aus. Zu diesem Zeitpunkt spricht jede Statistik für die Schweiz: 8:1 Torschüsse, 255 zu 143 Pässe, 64 Prozent Ballbesitz, 54 Prozent Zweikampfquote.

Wie reagiert die Squadra Azzurra? Gar nicht. Die Schweiz ist weiter am Drücker. Nach einer Freistoßchance, die Fabien Rieder clever auf den ersten Pfosten zieht, aber Donnarumma und das Aluminium gerade noch entschärfen, landet die Pranke des einen Kommentators aus der Vorderreihe lautstark auf dem Tisch hinter ihm. Doch anschließend muss er sich nicht mehr groß aufregen, denn Italien beweist, dass die schlechte Form aus der Vorrunde kein Zufall war. Nach dem Blitztor zum Wiederanpfiff fällt der Azzurri offensiv nichts mehr ein.

Tempo? Dringlichkeit? Anrennen? No, mi dispiace. Italien wehrt sich kaum, keine Gier, kein Aufbäumen. Sowohl Gianluca Scamacca als auch Mateo Retegui enttäuschten im Angriff wie bereits in den vorangegangenen Partien. Die Baggios, Baresis, Maldinis und Chiellinis auf dem Sofa dürften vor Wut den Rotwein bereits gegen eine Flasche Grappa ausgetauscht haben. Galionsfigur Gianluigi "Gigi" Buffon leidet auf der Bank.

Dass es so einfach werden würde, hätten sich Granit Xhaka und Co. wohl niemals erträumen lassen. Die Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer feiern sich, eine La-Ola schwappt durch das Olympiastadion. Als die niedergeschlagenen Azzurri-Kicker nach dem Abpfiff vom Platz schleichen, skandieren sie mit Blick auf das Finale am 14. Juli: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!"

Die große Angst vor der WM 2026

Einer der wenigen italienischen Spieler, der nach der Partie spricht, ist Donnarumma. "Es tut extrem weh. Wir müssen uns bei allen entschuldigen", sagt der sichtlich mitgenommene Keeper. Mit Blick auf die Zukunft fordert er: "Wir müssen schnell Lösungen finden, wir haben nicht viel Zeit. Wir werden alles analysieren." "Wir sind im Moment nicht in der Lage, mehr als das zu zeigen", räumt derweil Trainer Spalletti ein, der trotz des Desasters weitermachen darf.

Nach dem frühesten EM-Aus seit 2004 muss sich bei La Nazionale vieles ändern. Der Weg wird lang, der Weg wird steinig. "Das Spiel gestern war ein großer Rückschritt, inakzeptabel. Aber das ist der Punkt, von dem wir wieder vorwärtsgehen müssen", versucht Spalleti Tag nach dem Debakel Kraft zu finden, um die harte italienische Fußball-Realität in Angriff zu nehmen.

Bereits im September warten auf die Azzurri die Spiele in der Nations League. Weitaus mehr steht jedoch auf dem Spiel, wenn es in Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 geht. Nach 2018 und 2022 zum dritten Mal in Folge eine WM zu verpassen, käme im stolzen Italien einem Erdrutsch gleich, gegen den das EM-Aus im Vergleich wie eine süße Pannacotta mit Limoncello schmecken würde. Mamma mia.

Quelle: ntv.de

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