Fans schäumen vor Wut Southgate fliegt Englands Rumpelfußball um die Ohren

Vor dieser Europameisterschaft wird England als heißer Favorit auf den Titel gehandelt. Doch mit Leistungen kann die Mannschaft von Gareth Southgate diese Rolle nicht unterfüttern. Im Gegenteil: Die Three Lions spielen schwach, die Wut richtet sich gegen den Trainer.

Für Harry Kane war die Welt weitgehend in Ordnung. Am späten Dienstagabend, so fand der Superstürmer, hatte seine englische Mannschaft bei der Fußball-EM ihren Auftrag erfüllt. Mit einem 0:0, das ereignisreicher klingt, als es in Wahrheit war (kleiner Scherz!) gegen Slowenien, die Nummer 57 der Welt, hatten sich die abermals träge herumlungernden Three Lions den Sieg in der nicht besonders schweren Gruppe C ergurkt.

Grundlage für diesen erfolgreich ausgeführten Auftrag waren ein müdes 1:0 gegen Serbien, was deutlich weniger Beachtung fand als der Wirbel um den Spielort "Gelsenkörken", ein erneut müdes 1:1 gegen Dänemark, den Achtfinalgegner der DFB-Elf, und eben das fürchterlich müde 0:0 zum Grande Finale. Der massiv gelangweilte Ex-Star Jamie Carragher fragte via X: "Wer möchte mir einen Kaffee kaufen?" Damit ist eigentlich alles gesagt.

Wenn man die positiven Dinge sehen will, dann sieht die Lage so aus: England ist ungeschlagen, England musste bislang nicht sonderlich viel Aufwand betreiben und es scheint extrem schwer, ein Tor gegen diese Mannschaft zu schießen. Das Tor der Dänen durch Morten Hjulmand war ein eher verzweifelt anmutender Schuss aus großer Distanz. Der Ball schlug perfekt ein, Torhüter Jordan Pickford war machtlos. Ohne sich weitergehend mit dem Fußball des Teams zu beschäftigen, sieht das nach einer titeltauglichen Präsentation aus.

Aber ganz so einfach kommt die Mannschaft nach dieser Vorrunde nicht davon. Denn die Auftritte sind mehr ein Gerumpel als furioser Fußball. Und den erwartet man vom teuersten Kader der EM, mit einem Marktwert von mehr als anderthalb Milliarden Euro. Trainer Gareth Southgate hat das spektakulärste Aufgebot aller Teilnehmer dieses Turniers und liefert den denkbar langweiligsten Beamtenfußball. Phil Foden eiert über den Rasen und sucht verzweifelt nach Abschlussmöglichkeiten, Weltstar Jude Bellingham leistet sich fahrige Abspiele in Serie, Bukayo Sako dribbelt manchmal zügig an und hört noch viel schneller wieder auf. Das ist, puh, alles sehr zäh.

Harry Kane freut sich, aber die Fans nicht

England - Slowenien 0:0

Tore: Fehlanzeige
England: Pickford - Walker, Stones, Guehi, Trippier (84. Alexander-Arnold) - Gallagher (46. Mainoo), Rice - Saka (71. Palmer), Bellingham, Foden (89. Gordon) - Kane. - Trainer: Southgate
Slowenien: Oblak - Karničnik, Drkusic, Bijol, Janža (90. Balkovec) - Gnezda Cerin, Elsnik, Stojanović, Mlakar (86. Gorenc-Stankovič) - Šporar (86. Celar), Šeško (75. Iličič). - Trainer: Kek
Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)
Gelbe Karten: Trippier, Guehi, Foden - Janža (2), Bijol
Zuschauer: 41.536 (ausverkauft) in Köln

In der ersten Halbzeit traf England einmal durch Saka, Vorbereiter Foden stand im Abseits. Kurz vor der Pause rauschte der Ball an Harry Kane und Co. knapp vorbei, da lag die Führung erneut im Bereich der realistischen Möglichkeiten. Und nach dem Seitenwechsel haute Declan Rice, den der FC Bayern im vergangenen Sommer ja auch mal haben wollte, wuchtig aufs Tor und schoss vorbei. Damit ist die kurze Liste der Großereignisse im englischen Spiel abgearbeitet, gegen den, wir erinnern uns, 57. der Weltrangliste.

Die brüllenden Löwen sind schleichende Kätzchen, verhuscht, ohne die gnadenlose Gier eines Raubtiers, das sie doch eigentlich sein wollen. "Die Gruppe auf Platz eins zu beenden und unser eigenes Schicksal zu bestimmen, das war unser Ziel. Ich habe das Gefühl, dass wir diesmal viel besser gespielt haben als in den anderen beiden Begegnungen", sagte Kapitän Kane. Ex-Profi Gary Neville sah das nur teilweise so und kritisierte besonders die schwache erste Hälfte. "Es war wirklich schwer anzuschauen", sagte der ehemalige Verteidiger von Manchester United. Kane pfeift auf die kritischen Stimmen: "Wir sind in der K.-o.-Runde. Wir haben uns immer wieder in den K.-o.-Runden gesteigert, das müssen wir wieder machen. Wir freuen uns auf das Achtelfinale."

Stars fallen in rätselhafte Formlöcher

Doch mit dieser Vorfreude steht die Mannschaft mittlerweile eher alleine da. Die Geduld der Fans der Three Lions, normalerweise stimmgewaltig und schnell vergesslich, wenn es mal nicht so läuft, ist aufgebraucht. Als sich die Engländer nach dem Spiel in Köln bei ihrem eigenen Anhang bedankten, flogen ihnen wütende Pfiffe und Bierbecher entgegen. Die Wut richtet sich vor allem gegen Southgate, dessen bestenfalls pragmatische und im schlechtesten Sinne fürchterlich destruktive Herangehensweise seit Jahren für Kritik sorgt. Bei der letzten EM wurde dem weiterhin überraschend passiv coachenden Übungsleiter sehr viel verziehen, weil er bis ins Finale vordrang und seine Mannschaft dort erst im Elfmeterschießen gegen Italien unterlegen war.

Die Sorge ist groß, dass wieder einmal eine große Generation im Mutterland des Fußballs daran scheitert, einen Titel nach 58 Jahren ins Land zu holen. Und diese aktuelle Generation, die scheint doch eigentlich wie gemacht dafür. Aber sie bringt es eben nicht auf den Rasen. Zumindest nicht in einer mitreißenden, oder zumindest souveränen Form. Das wäre der kleinste gemeinsame Nenner, aber auch das gelingt nicht. England ist rätselhaft schwach, großartige Einzelspieler wie John Stones oder gegen Slowenien auch Jude Bellingham sind völlig neben der Kappe. Und Trainer Southgate sitzt die Dinge aus. Personelle und taktische Debatten prallen an ihm ab, wie Wellen an den Seven Sisters zwischen Eastbourne und Brighton. Immerhin brachte er zum ersten Mal in diesem Turnier Cole Palmer, die große Entdeckung der vergangenen Saison. Beim FC Chelsea lieferte der Offensivstar herausragend ab. Bislang verzichtete der Trainer auf ihn. Auf Verständnis stieß er damit eher nicht.

"Besser es trifft mich als die Spieler"

Mehr zum Thema

"Ich verstehe es, und ich ducke mich nicht weg", sagte der Trainer zu den Pfiffen und den fliegenden Bechern. "Besser, es trifft mich als die Spieler. Wir kommen nur weiter, wenn wir alle zusammenhalten. Diese Energie der Fans ist für uns von entscheidender Bedeutung." Doch das Bemühen um Ruhe und Gelassenheit, um Verständnis für Beamtenfußball als Fundament für die Titelmission, verhallt. Die gnadenlose Boulevardzeitung "Sun" schrieb von einem "gähnend langweiligen Unentschieden". Und Southgate sei ein "Umkehralchemist, der Gold in unedle Metalle" verwandle. Der aber bleibt im heftigen Gegenwind weiter stoisch, wie er das an der Seitenlinie immer tut, und lobte seine Spieler, auf die er "sehr, sehr stolz" sei, schließlich sei der Umgang mit den immens großen Erwartungen "sehr herausfordernd". Die zweite Halbzeit hätte England, so sah er das, "komplett dominiert, und wir hatten einige gute Chancen, die wir leider nicht verwertet haben. Ich denke, wir haben uns im Umgang mit dem Ball stark verbessert. Viel Zustimmung bekam er dafür nicht. Eher keine.

Die öffentlichen Erwartungen seien größer als zuletzt, betonte der Trainer. Das liege auch an den guten Leistungen bei den vergangenen Turnieren. "Wir haben dafür gesorgt, dass England wieder Spaß macht." Jetzt sei es "mein Job, sicherzugehen, dass das Team bestmöglich spielt." Spaß? Ein guter Witz. Bislang.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen